Außenseiter bei der Fußball-WM I: China

Mehr weiße Pfeifen

Die Fussballmannschaft Chinas fährt zum ersten Mal zur WM. Die Begeisterung der Fans wird auch von Bestechungsskandalen in der Liga nicht getrübt.

Mit China hat sich für die diesjährige Fußballweltmeisterschaft streng genommen eines der Mutterländer der Kickerei qualifizieren können. »Tsu Chu« hieß dort um 3 000 vor unserer Zeitrechnung eine beliebte Sportart, bei der es darum ging, einen Ball per Fuß in ein Tornetz zu spielen. Der Ball bestand aus acht zusammengenähten Lederstücken, die mit Haaren und Federn gefüllt waren.

Zunächst von den Soldaten des Kaisers ausgeübt, ging es schon damals bei dem Spiel um weit mehr als die Punkte, die für erfolgreiche Schüsse vergeben wurden. Die Sieger erhielten neben silbernen Pokalen auch Geschenke. Die Verlierer wurden dagegen vom aufgebrachten Publikum mitunter nicht nur verspottet, sondern sogar verprügelt.

Weil es aber auch im alten Reich der Mitte regelmäßig zu Streitereien über unfaire Aktionen kam, wurde dort wohl das erste Regelbuch geschrieben. Spielführer, Taktiken, die Beschaffenheit des Balles, alles wurde festgelegt.

Um das Jahr 900 verlor das chinesische Fußballspiel jedoch an Popularität, es dauerte etwas mehr als 1 000 Jahre, bis die Kickerei wieder en vogue war. Und zwar bei beiden Geschlechtern; nicht nur Männer, auch Frauen spielten gern Fußball, was ihnen in den meisten anderen Ländern damals noch strikt verboten war.

1924 wurde Chinas Fußballverband Zhong-guo Zu-giu Xie-hui gegründet, der seit 1931 Mitglied der Fifa ist. Aus politischen Gründen wurde die Meisterschaft in den Jahren 1966 bis 1972 nicht ausgetragen, auch 1976 wurde sie ausgesetzt. Als besonders großen Schock dürften die Fans das jedoch nicht unbedingt empfunden haben, denn der Ligabetrieb ruhte sowieso traditionell alle vier Jahre.

In diesem Turnus werden die »Nationalspiele« ausgetragen, bei denen Teams und Einzelsportler der Provinzen in verschiedenen Sportarten gegeneinander antreten. Erst 1994, als die Profiliga eingeführt wurde, musste die Meisterschaft nicht mehr der chinesischen Olympiade weichen.

Nun allerdings wird die Liga wieder beeinträchigt. Weil sich in den letzten Wochen gleich elf der 35 Mitglieder des Nationalkaders - darunter der Stürmer Hao Haidong, der Kapitän Ma Mingyu und der Spielmacher Yu Genwei - verletzten, ergriff der chinesische Fußballverband strikte Maßnahmen. Die Nationalkicker dürfen zu den letzten beiden Spielen der Liga nicht mehr auflaufen. Vielleicht wird das die betroffenen Sportler nicht unbedingt stören, denn im chinesischen Profifußball geht es augenscheinlich nicht mit rechten Dingen zu. Schiedsrichterbestechungen waren fast alltäglich, der Fußballverband reagierte nun darauf und setzte eine Sonderkommission ein.

In den Medien wurden bestechliche Referees aufgefordert, sich zu melden und »ihr Fehlverhalten zu beichten, das die Gefühle von fast 400 Millionen Fans im ganzen Land und die Regeln des Fair Play und des Fußballgewerbes verletzt hat«. Dann würde ihnen vergeben, sie dürften weiter pfeifen und obendrein anonym bleiben. 50 Schiedsrichter gestanden ob solcher Aussichten bereits, Bestechungsgelder angenommen zu haben. Die Funktionäre werteten das als Erfolg, sie sind der Überzeugung, mit dieser Aktion das Image des chinesischen Fußballsports auch im Ausland aufpoliert zu haben - auch wenn sie ein bisschen spät kommt.

Denn eigentlich hätten die Offiziellen längst gewarnt sein müssen. Bereits vor einigen Jahren musste ein Sonderkommando der Polizei einen Referee vor wütenden Fans retten, die sich vor seiner Kabine versammelt hatten. Der Mann hatte ein lupenreines Tor für Xi'an nicht gegeben, was dem Team den Aufstieg in die Profiliga vermasselte. Bereits damals waren Bestechungsvorwürfe laut geworden.

In den chinesischen Medien firmiert der jetzt aufgeckte Bestechungsskandal unter dem Namen »Schwarze Pfeife«. Mit der »Weißen Pfeife« wird jedes Jahr der beste chinesische Schiedsrichter ausgezeichnet. Aber die Referees scheinen nicht das einzige Problem zu sein. Fußballwetten sind, obwohl in China illegal, äußerst populär, so mancher Buchmacher dürfte daher versucht sein, Spielergebnisse in seinem Sinne zu manipulieren. Zumal viele Funktionäre korrupt seien.

Die Liebe der Fans zu ihrem Sport können solche Machenschaften jedoch kaum trüben. Der ARD-Reporter Gerd Ruge berichtete vor einiger Zeit in einem Interview von der großen Fußballbegeisterung der Chinesen. In Changchun etwa habe sein Kamerateam eine Gruppe Studenten getroffen, die »Fußball in Trikots von Borussia Dortmund spielten«. Im Interview habe sich dann herausgestellt, dass die Jungs große Fans des Vereins und des deutschen Fußballs seien. Aber auch »bei einem Treffen mit chinesischen Fernsehkollegen ging es nur kurz um das deutsche Fernsehen. Die zweite Frage war gleich: Warum haben die Deutschen so schlecht Fußball gespielt? Und die dritte Frage: Haben Sie schon mal die Frau von Lothar Matthäus interviewt?«

Vor so viel Liebe zur Kickerei mussten letztlich auch die Organisatoren der Fußball-WM kapitulieren. Gerade mal 11 000 Karten für die Vorrundenspiele waren dem chinesischen Verband zugeteilt worden, um die sich jedoch mehr als 100 000 Fans bewarben. Vor einigen Wochen wurden dann doch noch 4 000 Tickets mehr bewilligt, was die Preise auf dem Schwarzmarkt allerdings nicht wesentlich verringern wird. Statt der offiziellen 68 bis 170 Euro werden in Peking und Shanghai mittlerweile 900 Euro geboten.

Aber nicht nur die Fans erwarten große Taten von ihren Idolen: Eine Firma für Haushaltswaren verkündete nun werbewirksam, für jedes erzielte Tor umgerechnet 14 000 Euro in einen Fonds zur Förderung des Jugendfußballs einzuzahlen. Auch der Trainer der chinesischen Nationalmannschaft weiß um die große Begeisterung über die erste WM-Teilnahme. Der Jugoslawe Bora Milutinovic berichtete in einem Interview: »Ich weiß, dass die chinesische Sportzeitung in unregelmäßigen Abständen erscheint und eine Auflage von etwa 500 000 Exemplaren hat. Aber als wir uns qualifiziert hatten, mussten 2,6 Millionen Exemplare gedruckt und praktisch täglich ausgeliefert werden.«

Der als internationaler Erfolgstrainer geltende Milutinovic will keine Prognose abgeben, wie weit er es mit seinem Team bringen kann. In der Vorrunde haben es die Chinesen immerhin mit Brasilien, der Türkei und Costa Rica zu tun. Im Fußball sei »schlichtweg nichts unmöglich«, sagte der Trainer, aber das Achtelfinale zu erreichen, werde sehr schwierig. »Unser großer Vorteil ist vielleicht, dass wir nichts zu verlieren haben.«

Immerhin erklärte das Fußball-Idol Pele der chinesischen Zeitung Shanghai Daily, er sehe das Team eigentlich als sicheren Achtelfinalisten. Die mangelnde Erfahrung mit großen Turnieren werde durch den »exzellenten Trainer« ausgeglichen. So ganz trauten die Sportjournalisten des Blattes dem Urteil des Brasilianers jedoch nicht und zählten alle seine falschen Voraussagen für Fußball-Weltmeisterschaften auf.

Dabei besteht zu Optimismus durchaus Anlass. Milutinovic brachte seit 1986 Mexiko, Costa Rica, die USA und Nigeria zu Fußballweltmeisterschaften. Und jedes von ihm trainierte Team überstand die Vorrunde.