Stolz bedruckte Brust

Die Trikotwerbung wird 30. 1973 begann mit ihr die Vermarktung des Fußballs. von jan freitag

War Eintracht Braunschweig mal hip! Gelbes Trikot, blau abgesetzt, und dann der Brustaufdruck: Jägermeister – der Hirschkopf mit Kultstatus. Was Anfang der Neunziger Einzug in die Modewelt hielt, galt vor 30 Jahren als Revolution.

Als der abstiegsbedrohte Bundesligist am 28. Februar 1973 die erste Trikotwerbung im deutschen Fußball präsentierte, war der DFB fassungslos. Handelte es sich doch um einen glatten Tabubruch in dem jungen Geschäft, das selbst Stars wie Seeler oder Overath erst seit kurzem mit mehr als 1 200 Mark brutto entlohnte. Doch was damals für Glaubenskämpfe um Kommerz und Moral sorgte, ist heute sogar in Jugendabteilungen üblich. 2003 wird höchstens darüber diskutiert, wenn Schiedsrichter für Bier- oder Auto-Reklame pfeifen.

Die Clubs der Gegenwart können über die 100 000 Mark, die sich Likör-Boss Günter Mast sein Rotwild auf der Kickerbrust pro Saison kosten ließ, nur lächeln. Rund 20 Millionen Euro zahlt die Telekom heute für ihr Logo auf den Jerseys von Bayern München. Damit belegt der Branchenprimus zwar europaweit Rang eins, doch selbst die schlechtdotierteste Erstligabrust bringt es noch auf das Zehnfache jener 400 000 Mark, die der Topclub HSV 1974 von Campari kassierte.

Als der DFB die Trikotwerbung acht Monate nach ihrer Premiere legalisierte, blieben die meisten Vereine davon zunächst völlig unbeeindruckt. Nur langsam entdeckte die Wirtschaft den Fußball als Werbeträger, Handball und Eishockey zogen gar erst Ende des Jahrzehnts nach.

Die Fernsehrechte der dritten Bundesligasaison hatten gerade mal 650 000 Mark gekostet, Tendenz sachte steigend. Ein Trinkgeld im Vergleich zu den 40 Millionen, die RTL Ende der Achtiger bezahlte, ein Bruchteil der zunächst ausgehandelten 360 Millionen Euro für die laufende Spielzeit.

Dann platzte die Blase. Und seit der Kirch-Krise werden Sponsoring und Merchandising wieder mehr Bestandteil der Planungen der Ligamanager. Als der FC Bayern 1983 ins Geschäft mit Schlüsselanhängern und Wimpeln einstieg, wurden die Einnahmen noch in Tausendern abgerechnet, jetzt verdienen allein die Münchener mit ihren Devotionalien 24,5 Millionen Euro – ein Drittel dessen, was die 36 Bundesligisten und die Hälfte dessen, was die fünf Topclubs erlösen. In einer Saison verkauften sie mehr Scholl-Trikots als Vereine wie der VfL Bochum Sportlerhemden insgesamt.

Stets im Blickfeld: Das Logo des Hauptsponsors, laut DFB-Statuten allein auf weiter Trikotflur, maximal 200 Zentimeter groß, auf Hemden, die den Teams vom Ausrüster, unlimitierte Garderobesätze inklusive, kostenlos gestellt werden. Oft hielten die Sponosor-Partnerschaften über viele Jahre. Opel gehörte zu Bayern wie der Kaiser, Continentale zu Dortmund wie die Zeche. Wer heute dagegen als Fan up to date sein möchte, muss sich etwa alle zwei Jahre ein neues Trikot für rund 60 Euro zulegen. Zumal da das Spielerpersonal nicht erst seit dem Bosman-Urteil wenig von Vereinstreue hält. Beflockungsfluktuation samt Marketingoffensiven haben die Einnahmen anschwellen lassen: 321,6 Millionen Euro kassieren die Profiteams der sechs Kernmärkte Europas gegenwärtig an Trikotwerbung. Ganz vorn liegt Deutschland, wo 28 Prozent aller Trikot-Umsätze gemacht werden. Sogar die Liga-Schlusslichter Hansa Rostock und Energie Cottbus haben mit rund zwei Millionen Euro bessere Verträge abgeschlossen als 17 der 20 spanischen erstklassigen Vereine.

Neben der ligainternen Kluft zwischen Championsleague-Aspiranten und dem Mittelfeld abwärts klafft also auch eine kontinentale. Die Regel lautet: je kleiner der Binnenmarkt, desto regionaler die Sponsoren. Fußball ist eben ein Spiegel der Gesellschaft: Der Kuchen für eine dünne Beletage, die Krümel für den Rest, der den europäischen Schnitt auf knapp 3,1 Millionen Euro Brustpreis senkt. Dennoch ist auch im Tabellenkeller viel Geld zu holen. »Sicher ist eine Tendenz zu erfolgreichen Vereinen erkennbar«, sagt Uwe Wetzel vom Branchenbeobachter Sport+Markt AG, aber bei »guter Vernetzung kommen auch die Kleinen gut weg«. Bandenwerbung, Merchandising, Betreuung samt VIP-Lounge und Sponsorenterminen am Firmensitz – Trikotwerbung ist nur im Paket zu haben. Wie einst Bayer Leverkusen hat es der VfL Wolfsburg so – dank VW – von der Provinz auf europäische Bühnen gebracht.

Und noch ein Trend bringt Geld in die Kassen: Markenstadien. Der Hamburger Volkspark heißt jetzt AOL-Arena, Münchens Olympiastadion trägt bald Allianz im Namen. Auf Sponsorenwunsch zieht ein Verein schon mal temporär um: Seine 99er Meisterfeier sendete Bayern live aus der Opel-Zentrale. Da hatte der Rekordmeister mit fast 20 Millionen Mark aus Rüsselsheim die Gesamteinnahmen aller Erstligisten der Saison 1989/90 übertroffen.

Noch vor wenigen Jahren beklagte der Wirtschaftsjournalist Hermannus Pfeiffer am Beispiel Opel die Zweitklassigkeit der Ligasponsoren. Doch 13 Jahre Bayernbrust brachten dem biederen Autobauer einen enormen Ansehensschub – und öffneten den Markt für weitere Global Player. Dabei lag Pfeiffer ganz richtig: Der Glamourclub und die Manta-Schmiede, eine Kombination wie Bonze im Blaumann. Aber sie funktioniert, beteuert Bernd Reichstein vom Fachverband Sponsoring (Faspo): »Sport kann eine Marke modernisieren und dynamisieren.« Wenn es mit dem Hauptziel Imageverbesserung nicht klappt, steigt immer noch der Bekanntheitsgrad. Und weil der Absatz vieler Sponsoren messbar steigt, seien auch Zweckgemeinschaften à la Opel/Bayern lukrativ. »Affinität und Fitting sind wichtig, aber nicht alles«, sagt Reichstein. Wichtig sei indes, zumindest in den Liga-Niederungen, das Umfeld. Die Liaison zwischen Astra und St. Pauli, erklärt Branchenkenner Wetzel, komme bei den Fans so gut an, weil die Firma in Stadionnähe braut, während Naturenergie dem SC Freiburg ein glaubhaftes Ökoimage verpasst. Ohne den ortsansässigen Cosmetic-Plagiator »LR« vom Clubpräsidenten Helmut Spikker wäre Zweitligist LR Ahlen – wobei das Kürzel (sehr trickreich) für »Leichtathletik Rasensport« steht – längst pleite. In Rostock treibt dagegen die Ostalgie Vita Cola in die Kehlen umworbener Hansafans, HSV-Anhänger fordern Holsten-Trikots gar auf eigener Homepage.

Sportsponsoring, so Faspo-Vize Reichstein, »ist ein hochemotionales Kommunikationsinstrument«. Und das gilt für alle Leibesübungen: Von drei Milliarden Euro, die deutsche Firmen 2003 ins Sponsoring stecken, entfallen laut einer Sponsor-Visions-Studie zehn Prozent auf Kultur und drei auf den Umweltschutz. Der Sport erhielt 1,7 Milliarden, vor allem der Fußball, »die größte Marketing-Plattform überhaupt« (Reichstein). Handball, Tennis, Eishockey, Boxen folgen noch hinter den Funsport-Arten. Dort werden zwar kleinere Brötchen gebacken, aber mehr. »Handballer sind seit den frühen achtzigern lebende Litfasssäulen«, schildert Arnulf Beckmann vom Deutschen Handballbund die dort übliche Bepflasterung der Trikots mit vier, fünf Sponsoren.

Ähnlich sieht es in der Eishockey-Liga aus, wo der ECD Iserlohn 1987 schon mal für Ghaddafis Grünes Buch warb. Das große Geld aber fließt in den Profifußball. Doch als die Bundesliga vor zwei Jahren mit 150 Millionen Mark den nächsten Einnahmerekord verbuchte, zahlte Real Madrid für Figo 116 Millionen – alles eben eine Frage der Relation. Nur jene 100 000 Mark, die Braunschweig für den Likör-Deal erhielt, sind mit nichts mehr vergleichbar – so viel kostet heute die Handynummer eines Spielervermittlers.