Fleißig dagegen

Zum 1. Mai planen Politgruppen in verschiedenen Städten Proteste gegen Schröders Agenda 2010. von martin kröger

Schon in der Bibel finden Ameisen wegen ihres Fleißes Erwähnung. Im antiken Rom verkörperten die kleinen Tierchen, die »gut organisierte Staaten bilden« (Brockhaus), symbolisch den Reichtum – übrigens aufgrund der ihnen nachgesagten prophetischen Gabe. In der Neuzeit wird den Ameisen eher der Hang zu unermüdlicher und disziplinierter Arbeit zugeschrieben, von einem Ameisenleben neben der Schufterei ist in der Zoologie bislang nichts bekannt.

Ausgerechnet die Thüringer Politgruppe »Die Ameisen« hält überhaupt nichts von der Arbeit. »Gegen die Arbeit, für das Leben« wollen sie am 6. Mai in Erfurt demonstrieren. Damit teilnehmende PolitaktivistInnen nicht in Verdacht geraten, ihr Hobby zum Beruf zu machen, bittet die Gruppe in ihrem Aufruf »um Freizeitbekleidung. BerufsdemonstrantInnen können den Kapuzenpullover zu Hause lassen, es geht schließlich gegen die Arbeit.« Sie wenden sich gegen die Lohnarbeit und stellen sich eine Gesellschaft vor, »in der die konkrete Bedürfnisbefriedigung von Menschen im Mittelpunkt steht und nicht das Geld«.

Da es ganz ohne Geld vorerst nicht gehen wird, fordert die Berliner Initiative »Für eine linke Strömung« (Fels) schon seit längerem die Einführung eines Existenzgeldes, das den Zwang zur Lohnarbeit aufheben soll. Die Debatte um eine Existenzsicherung, die zu den Zeiten, als die Grünen noch in der Opposition waren, in ihrem Programm auftauchte und in der der Form des »Bürgergeldes« sogar eine Forderung der FDP war, ist allerdings wieder eingeschlafen.

Aus Protest gegen den von der SPD und der PDS gebildeten Berliner Senat, der die staatlichen Einsparungen im Sozialbereich am konsequentesten durchsetzt, plant Fels für diesen Sommer die Kampagne »Berlin umsonst«. Gerade dort, wo die Einsparungen des Senats für die Mehrheit der Bevölkerung deutlich zu spüren sind – etwa durch die starke Anhebung der Eintrittspreise in den städtischen Schwimmbädern oder die ständige Verteuerung des öffentlichen Nahverkehrs – sind Proteste geplant. Als Vorbild dienen dabei Aktionen aus dem vergangenen Jahr, als das Kreuzberger Freibad in der Prinzenstraße gestürmt und ein Nulltarif erzwungen wurde.

Bislang sind die Widerstandsaktionen gegen die von Bundeskanzler Gerhard Schröder angekündigten Kürzungen der Sozialleistungen allerdings zersplittert und unkoordiniert. Viele Gruppen hoffen, den Schwung der großen Antikriegsdemonstrationen im Frühjahr in einen kontinuierlichen Protest gegen die rot-grüne Regierung umwandeln zu können. Umstritten ist dabei, welche Bündnisse dafür geschlossen werden sollen. Insbesondere, ob es möglich wäre, mit den in Arbeitsmarktfragen eher konservativen Gewerkschaften zusammenzuarbeiten.

Fels versteht seine Teilnahme an der Initiativgruppe für ein Berliner Sozialforum als eine kritische Begleitung desselben. Das Sozialforum will, angelehnt an die Veranstaltungen von Porto Alegre und Florenz, ein Netzwerk sozialpolitisch agierender Gruppen und Gewerkschaften schaffen (Jungle World, 13/03).

Auch in Hamburg versuchen »autonome und antifaschistische Gruppen« mit den Gewerkschaften zusammenzuarbeiten, ohne allerdings auf radikalere Positionen zu verzichten. Zum ersten Mal seit langem wird es in diesem Jahr eine eigenständige »sozialrevolutionäre« 1. Mai-Demonstration geben, bei der der Widerstand gegen den Sozialabbau das zentrale politische Thema sein wird. Dabei soll an die Proteste gegen die Räumung des Bauwagenplatzes Bambule und gegen die Politik des Innensenators Ronald Schill angeknüpft werden. Im Umgang mit den Gewerkschaften haben die AufruferInnen eine Doppelstrategie: Am Morgen soll ein »sozialrevolutionärer Block« an der DGB-Demonstration teilnehmen, danach aber ohne die Gewerkschafter zum Fischmarkt weiterziehen.

Dirk Hauer von der Gruppe Blauer Montag, die in der »Sozialen Opposition Hamburg« aktiv ist, sieht eine eigene Demo nicht unbedingt als Fortschritt: »Einen Sozialprotest links von den Gewerkschaften und ohne die Gewerkschaften kann es in Hamburg nicht geben.«

Schließlich hätte sich im letzten Jahr bei gemeinsamen Demonstrationen von Gewerkschaftsverbänden und den BambulistInnen gezeigt, wie stark so ein Bündnis sein könne. Um die weitere Vernetzung und Mobilisierungsfähigkeit zu garantieren, soll auch in Hamburg ein Sozialforum ins Leben gerufen werden.

Berührungsängste mit den Gewerkschaften kennt auch das Berliner »Anti-Hartz-Bündnis« nicht. »Einer für alle – alle für einen!« ist das Motto. Die Organisation setzt auf die Vereinigung aller »betrieblich, gewerkschaftlich, sozial und außerparlamentarisch Widerspenstigen«. Ziel ist es, die Ausbreitung von prekären Arbeitsverhältnissen zu stoppen und Kürzungen der Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie andere anvisierte Maßnahmen zu verhindern, mithin also die soziale Marktwirtschaft in ihrem gegenwärtigen Zustand zu verteidigen. Bei der Agenda 2010 der Bundesregierung handele es sich »um ein gigantisches Spar- und Umverteilungsprogramm zugunsten des Kapitals mit dem Ziel der Ausweitung des Niedriglohnsektors«, an dessen Ende der Zwang stehe, jede Arbeit anzunehmen, schreibt das Bündnis in seinem Aufruf zum 1. Mai. Der »Tag der Arbeit« wird anstrengend für die AktivistInnen: Morgens will man gemeinsam mit den Erwerbsloseninitiativen als »Block des konsequenten Widerstands« auf der DGB-Demo mitmarschieren, am Nachmittag soll die revolutionäre Maidemonstration in Kreuzberg verstärkt werden.

Durch die Beteiligung an der Demonstration der Gewerkschaften soll der Druck auf den linken Flügel der SPD verstärkt werden, sodass letztendlich die Pläne für die Agenda 2010 voll und ganz aufgegeben werden müssen. Kompromisse, wie sie durch die Teilnahme von GewerkschaftsfunktionärInnen an der Hartz-Kommission bereits eingegangen worden sind, lehnt Gernot Wolf vom Anti-Hartz-Bündnis Berlin allerdings ab. »Wir denken auch darüber nach, ob wir zu bundesweiten Protestaktionen zum Sonderparteitag der SPD am 1. Juni aufrufen.«

Die Diskussion über den Umgang mit den linken Flügeln der Gewerkschaften und der SPD hat die Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg (Also) bereits hinter sich. »Wir werden uns hüten, auf jede Sau zu hüpfen, die gerade durch’s Dorf getrieben wird«, verkündet sie auf ihrer Homepage. In den 20 Jahren ihres Bestehens hat sie wohl genug Erfahrungen gesammelt. Gleich drei Tage in Folge, vom 28. April bis zum 1. Mai, will die Gruppe in Oldenburg »gegen Arbeitslosigkeit und Sozialabbau« auf die Straße gehen. Vor dem örtlichen Arbeitsamt will »Also« Informations- und Diskussionsveranstaltungen, offene Sozialberatungen und Aktionen veranstalten, um den Widerstand zu organisieren und auf die Kürzungen aufmerksam zu machen. Mit ihrem Protestmarathon erinnern die Oldenburger fast schon wieder an die fleißigen, unermüdlich ein Mehrfaches ihres Körpergewichts tragenden Ameisen.