Spiel ohne Kampf

Bei der antirassisitischen Fußballweltmeisterschaft geht der größte Pokal nicht an die Sieger. von jan freitag

Mehr als 2500 Spielerinnen und Spieler bei einem Fußballturnier – das klingt eigentlich nicht schlecht. Eigentlich. Denn wenn es um ein Ereignis wie die »Antirassistische Fußball-WM 2003« geht, meint die Organisatorin Daniela Conti, »müssten es noch viel mehr sein«. Schließlich sei Rassismus in den Stadien und drumherum ein globales Problem und Fußball weltweit die beliebteste Sportart. Trotzdem ist die »Mondiali Antirazzisti«, die in der zweiten Juliwoche zum siebten Mal stattfand, inzwischen ein Massenevent. »Das ist schon Wahnsinn«, urteilt AS Rom-Fan Conti über die Resonanz auf ihr alternatives Sportangebot gegen Ellenbogen, Rassismus und Kommerz im Milliardengeschäft.

168 Teams hatten sich zur siebten Auflage des antirassistischen Festivals im italienischen Monteccio Emilia angemeldet. Darunter viele Fanclubs, Ultras und ad hoc umgetaufte Vereine, aber auch lose zusammengewürfelte Freizeitmannschaften, ein Behindertenteam und zwei Resozialisierungprojekte. Dass es ein paar weniger waren, die letztlich gegen den Ball treten durften, lag unter anderem an einem der erklärten Hauptgegner aller Beteiligten: Silvio Berlusconi. Einigen Teams, etwa aus Nigeria und Mazedonien, verweigerten die Behörden das Visum. Das sei zwar keine direkte Einflussnahme, aber doch eine Frage politischer Rahmenbedingungen im rechtsregierten Italien, meint Daniela Conti. Die 32jährige im Dauerstress, hauptberuflich für das linke Sportprojekt »Progetto Ultra« in Rom tätig, zuckt mit den Schultern: Menschen wie der italienische Regierungschef und neue EU-Ratspräsident »stehen für Professionalisierung und Kommerzialisierung und zerstören so den Fußball«. Kein Wunder also, dass einer der beliebtesten Parolen am Spielfeldrand lautete: »Berlusconi pezzo di merda!« – »Berlusconi ist ein Stück Scheiße!«

Wegen der Absage aus Nigeria blieben die Mannschaften aus europäischen Ländern unter sich. Eine Weltmeisterschaft sei es aber trotzdem, beteuert Conti. Dafür bürgten Immigrantenteams mit Wohnsitz Europa, 31 an der Zahl, ethnisch überwiegend homogen besetzt. Und wie üblich sorgen die Teams aus Asien, Afrika und Lateinamerika nicht nur für kulturelle Vielfalt, sondern auch für spielerische Akzente. Um es vorweg zu nehmen: Die marokkanische Mannschaft aus dem italienischen Novellera gewinnt das Turnier nach Siebenmeterschießen. Nicht, weil die Partie zuvor unentschieden geendet hätte. Nein, Halbfinale und Endspiel werden gar nicht erst ausgetragen. Im Vorjahr lieferten sich die Finalisten aus dem Senegal und Südamerika eine veritable Keilerei. Mit der weiteren Regelverschärfung – beim zweiten »fiesen Foul« hat man das Spiel mit drei zu null verloren – sollte der Wettbewerbscharakter so gering wie möglich gehalten werden. Wo es noch an der propagierten solidarischen Gesinnung fehlt, soll das Regelwerk nachhelfen.

Bei den siegreichen Nordafrikanern scheint die Botschaft angekommen zu sein. »Wichtig ist nicht, dass wir gewonnen haben«, sagt einer von ihnen bei der Pokalverleihung, »sondern dass wir alle hier sind.« Die ganze Veranstaltung ist manchmal tatsächlich, was sie sein soll: ein Freizeitfußballturnier mit gebändigtem Siegeswillen in solidarischem Miteinander. Überall herrscht chronische gute Laune, nach den Matches versammeln sich sämtliche Spieler zum Gruppenfoto, bei Regelverstößen kommt es nur in den seltensten Fällen zu Zankereien, 72 gemischtgeschlechtliche Teams sorgen dafür, dass kickende Männerbünde nicht zur vollen Entfaltung kommen. Friede, Freude, Eierkuchen.

Nur manchmal kommt es unter Alkoholeinfluss zu Kontrollverlusten: Im inoffiziell »Testosteron-Halle« getauften Restaurantzelt finden allabendlich maskuline Sprechchorschlachten statt. Besoffene Gestalten mit nackten Oberkörpern grölen noch auf den Tischen, als auch der letzte Punk-Gig auf der Bühne vorbei und der Berliner Reggaestar Gentleman wieder in seinen komfortablen Tourbus gestiegen ist. Kein Wunder, dass in den langen Bankreihen so viele Frauen zu finden sind wie funktionsfähige Hirnzellen im Durchschnittshooligan. Also fast keine.

Aber das sind Randgeschichten, und schließlich reden wir von Fußball. Der wird in vielen hundert Gruppen- und K.O.-Rundenspielen auf insgesamt 14 Kleinfeldrasenplätzen gespielt, die den Veranstaltern von der Kommune kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Da gewinnt South City Cottbus im Viertelfinale gegen die als unschlagbar geltenden Makossa Boys Camerun, bei denen ein Nationalspieler dabei sein soll, per Eigentor mit 1:0 – und die Loser lachen ob der eigenen Chancenverwertung. Da verlieren die Filigranfußballer der Freak Boys Bologna mit dem gleichen Ergebnis gegen die Deutschtugendrackerer Abfahrt Bambule! – und die Unterlegenen skandieren den Namen der siegreichen Hamburger. Da schlägt das beste Frauenteam Paulchens Panther aus Detmold eine Männerhorde aus dem Süden, aber blöde Sprüche bleiben aus. Und nach den jeweils nur 20 Minuten langen Turnierspielen in der prallen Sonne treffen sich die Unermüdlichen am frühen Abend zu gemischten Freundschaftskicks bei 23 Grad.

Dabei ist das Alternativangebot auf dem weitläufigen Gelände groß. Es gibt eine Piazza Antirazzista mit Videovorführungen, Infotafeln, Kickertischen. Auf dem ganzen Gelände stehen Stände mit Projektpräsentationen, linkem Merchandising und Essen. Abends berichten Resistenza-Veteranen von ihrem Untergrundkampf gegen die Faschisten. Es gibt eine Arena mit Live-Konzerten und mehrere dicht bewaldete Zeltplätze, auf denen die insgesamt 5 000 Besucher der Mondiali ihre Lager aufgeschlagen haben. Es stapelt sich der Plastikmüll und manche vermissen eine vegane Küche; die Veranstalter versprechen Abhilfe im nächsten Jahr.

Rund 140 000 Euro kostet die fünftägige Veranstaltung. Trotzdem kommt die WM ohne Eintrittsgeld und Beiträge aus. Die Organisatoren bekommen Geld aus kommunalen und europäischen Fördertöpfen, aus dem Verkauf auf dem Gelände und sammeln Spenden.

Beim ersten Anlauf 1997 war der Aufwand noch kleiner. Gerade mal 80 Kicker, verteilt auf acht Teams aus vier Ländern spielten in Montefiorino damals um den Titel. Seither ist das Turnier jedes Jahr gewachsen. Allein 40 kamen dieses Jahr aus Deutschland, davon neun aus Berlin. Die weiteste Reise haben – dank der Absage aus Nigeria – Wiara Lecha aus Polen. Dafür werden sie mit einem Pokal bedacht. Vergeben wird auch einer für den besten Fansupport, das beste Frauenteam und – der mit Abstand größte Pott – für den größten Beitrag zum antirassistischen Gesamtprojekt. Letzterer geht an Roter Stern Leipzig.

2004, prophezeit Daniela Conti, »wird sich am Ablauf sicher einiges ändern«. Was genau, wird sich zeigen, wenn der Organisationsstab wieder zusammensitzt. Also bald, denn die Planung, sagt Conti und lacht trotz drohender Erschöpfung, »geht eigentlich gleich nach dem letzten Spiel los«.

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