Es liegt jetzt an Europa

Ob PLO oder Hamas, das Existenzrecht Israels wird von keiner gesellschaftlich relevanten Gruppe in den palästinensischen Gebieten wirklich anerkannt, sagt itamar marcus im Interview

Itamar Marcus ist Direktor von Palestinian Media Watch, einem israelischen Institut zur Beobachtung und Auswertung der palästinensischen Medien mit Sitz in Jerusalem.

Wie reagierte die palästinensische Gesellschaft auf die Bilder von dem alten kranken Mann, der sich nach Paris ins Krankenhaus ausfliegen lassen musste?

Es kam für die Palästinenser fast wie ein Schock. Das palästinensische Fernsehen und die Gesellschaft ignorierten seine Krankheit und präsentierten ihn immer als den starken Mann. In den Tagen, als Mahmoud Abbas Premierminister war, haben die palästinensischen Medien Yassir Arafat viel Platz in der Berichterstattung eingeräumt, auch wenn der Rest der Welt ihn ignorierte. Arafat war es, der Abbas sagte, was er tun sollte. Auch wenn er alt war, wurde er als derjenige angesehen, der jede Entscheidung zu treffen hatte. Wie es jeder Diktator tut. Auch bei Umfragen, wer der nächste Präsident werden sollte, lag er in letzter Zeit immer an erster Stelle. Für viele Palästinenser ist sein naher Tod auf jeden Fall eine Überraschung.

Wie sieht die Diskussion um die Nachfolge von Arafat aus? Besteht die Gefahr eines Bürgerkrieges, werden radikale Kräfte noch mehr Macht bekommen?

Vielleicht wird es einige Kämpfe geben, aber die Ideologie aller gesellschaftlich relevanten Gruppen ist die gleiche, beispielsweise im Hinblick auf das Existenzrecht Israels. Das ist das große Problem in der weltweiten Medienberichterstattung. Arafat wird als der Gemäßigte dargestellt und Hamas als die Extremisten. Dabei ist die Ideologie der Menschen um Arafat die gleiche wie die der Hamas. In den Schulbüchern, die Arafat zu verantworten hat, steht, dass Israel kein Recht hat zu existieren. Die Selbstmord-Attentäter werden als Helden betrachtet, auch innerhalb der palästinensischen Autonomiebehörde. Wer auch immer in den palästinensischen Gebieten an die Macht kommen wird, es wird keine ernsthafte Veränderung der Ideologie geben. Jeder, der momentan das Existenzrecht Israels verteidigen würde, würde von der palästinensischen Bevölkerung nicht akzeptiert werden. Israel kann also keinen großartigen positiven Wechsel erwarten.

Wer wird der Nachfolger von Arafat werden?

Es könnte Mahmoud Abbas sein oder Ahmed Qurei, der amtierende Premierminister. Theoretisch könnte es auch ein Mann aus dem Militär werden, wie Mohammed Dahlan, der in Gaza agiert.

Sie beobachten die palästinensischen Medien. Ist Ihnen dabei eine gesellschaftliche Gruppe begegnet, die zivilgesellschaftlich agiert und die nicht vom Antisemitismus infiziert ist?

Im Moment sind das ganz wenige. Einer der Erfolge, die Arafat durch diesen Krieg, den sie Intifada nennen, erzielen konnte, war es, den Hass auf Israel zu schaffen. Beim Kampf gegen die Selbstmord-Terroristen wurden unglücklicherweise Zivilisten getötet. Das war es, was Arafat und die Führung wollten. Inzwischen wurden leider so viele Zivilisten getötet, dass die Bevölkerung Israel jetzt wirklich hasst. Sie hasst Israel wegen dieses Krieges.

Gibt es Kräfte, die sich diesem Kreislauf entziehen, mit denen man zusammenarbeiten kann?

In einer Umfrage vor einigen Monaten in der palästinensischen Bevölkerung wurde gefragt, ob es Terrorismus sei, in Restaurants Israelis in die Luft zu jagen. 79 Prozent der Befragten verneinten dies. Die überwiegende Mehrheit der Menschen ist inzwischen wirklich davon überzeugt, dass dies kein Terrorismus ist. Das ist die Tragödie. Es gibt auch einige wenige, die das anders sehen. Aber sie sind nicht in den Medien präsent. Diese Menschen sind entsetzt über die palästinensische Führung.

Was müsste die israelische Regierung tun, um diese Minderheit zu stärken?

Das ist schwierig. Jeder, der von den Israelis unterstützt wird, wird von der Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung abgelehnt. Als Mahmoud Abbas Premierminister war, hat es ihn geschwächt, dass er von den USA und Israel als Verhandlungspartner akzeptiert wurde. Israelische Unterstützung hilft dir nicht. Man muss dazu sagen, dass die palästinensische Bevölkerung durch die Medien nicht mitbekommt, was wirklich los ist. Sie bekommt die Nachrichten, die der Führung genehm sind.

Das klingt so, als hätten die Israelis gar keine Möglichkeit, Einfluss zu nehmen. Liegt eine Lösung des Konflikts allein in den Händen der Palästinenser?

Ich denke, der Schlüssel zum Frieden liegt in den Händen der Europäer. Die EU und viele europäische Länder geben Geld an die palästinensischen Autoritäten. Aber sie fordern die palästinensische Führung nicht auf, die Hasspropaganda gegen die Juden zu stoppen. Im palästinensischen Fernsehen werden beispielsweise Filme gezeigt, in denen gesagt wird, dass Moslems Juden bekämpfen und umbringen müssen. Das ist das, was die Bevölkerung zu hören bekommt. Wir können nichts dagegen tun, dass Kinder aus ihren Schulbüchern erfahren, dass alle Israelis ihr Land gestohlen haben. Es gab in den letzten Monaten eine Dokumentation im palästinensischen Fernsehen, die viermal wiederholt wurde. Darin sieht man Kinder, die Schlüssel halten. Sie singen 45 Minuten lang, dass sie sich mit ihrem Blut dafür einsetzen werden, zu ihrem angeblichen Zuhause nach Haifa, Java oder Akko zurückkehren zu können. Auch wenn sie diese Städte noch nie gesehen haben. Aber ihnen wird gesagt: Eure Heimat ist nicht in Ramallah oder Jenin, eure Heimat ist dort. Dann ist es kein Wunder, wenn Kinder anfangen, darüber zu sprechen, dass Israel zerstört werden muss. Sie werden mit Propaganda vergiftet.

Wie ist die Stimmung in Israel angesichts des absehbaren Ablebens Arafats?

Die Menschen sind müde. Sie wissen, dass Arafat für den Tod von Tausenden Israelis verantwortlich ist. Also trauert ihm niemand nach. Wir wollen Frieden. Wenn er stirbt, wird ein anderer kommen. Die potenziellen Nachfolger sind auch in den Terror verstrickt. Daher gibt es in Israel keine wirkliche Freude über Arafats Ende. Worüber ich sehr beunruhigt bin, ist, dass nach dem Tod Arafats die Amerikaner und Europäer möglicherweise zu den Israelis kommen und sagen, ihr müsst nun Kompromisse machen, jetzt ist Arafat weg.

Ist das nicht ein Problem, das sich die israelische Regierung selbst zuzuschreiben hat, weil Arafat immer als der Hauptfeind dargestellt wurde?

Es war ein Fehler, so zu tun, als sei alleine Arafat das Problem. Wir haben unsere Regierung deswegen immer wieder kritisiert. Er war der Dirigent, aber gespielt hat das ganze Orchester. Wenn er 1994 gesagt hätte, wir wollen mit Israel in friedlicher Koexistenz leben, wäre ihm jeder gefolgt. Aber das wollte er nicht.

interview: kerstin eschrich