Ein Schuss, ein Tor

Gerade die großen Fußballspiele der Geschichte sind als Kriminalfälle denkbar. Matti Lieske beweist es. von martin krauss

Meistens geht die Verbindung von Krimis mit irgendetwas anderem, meist als höherwertig Erachtetem nicht gut. Nun hat Matti Lieske Krimis um den Fußball geschrieben, und damit niemand gleich so etwas Schreckliches wie eine angeblich halb- oder dreiviertelauthentische Geschichte über Doping oder Schiebung wittert, bindet er seine elf Geschichten an große historische Spiele an: das »Wunder von Bern« 1954, als die BRD durch ein 3:2 über Ungarn Weltmeister wurde; das Sparwassertor, als die DDR 1974 mit 1:0 gegen die BRD gewann; die 2:3-Niederlage Englands 1889 gegen Schottland; die 2:4-Niederlage Deutschlands bei der 1938er WM gegen die Schweiz, der sensationelle 2:1-Sieg von Manchester United im Finale der Champions League 1999 über Bayern München usw.

Vielleicht sind jetzt die Bedenken klarer geworden, ansonsten: Entweder man erzählt ein Fußballspiel spannend nach, was schon an sich kaum gelingen kann, denn wo bleibt die Spannung, wenn das Ergebnis fest steht? Oder man konstruiert einen Kriminalfall möglichst spannend und stringent und erzählt ihn dann auch so. Aber wenn man beides kombiniert, so die Überlegung vor Lektüre des Bandes, geht bestimmt die Spannung unter, und die Stringenz geht vermutlich auch noch verloren. Und wenn man ganz viel Pech hat, dann will der Autor einen auch noch zum vermeintlich kritischen Freund der Konspirationstheorie machen, der hinter jedem kaputten Geldautomaten einen Weltverschwörung vermutet.

Das einzige, was die anfänglichen Bedenken ein wenig zerstreuen kann, ist der Autor: Matti Lieske ist nicht nur als Sportredakteur der taz mit gutem Ruf ausgestattet, sondern hat sich einen solchen auch als Krimiautor erarbeitet (»Die Katarakte von Iguacu«, Kiepenheuer u. Witsch 1995).

Was die jahrzehntelange berufliche Beschäftigung mit dem Sport lehrt, macht den Band zum Ereignis der Kriminalliteratur: Alle Storys gehorchen nämlich dem Gebot, ein Fußballspiel nicht als ein irgendwie kurioses Ereignis darzustellen, in ihnen wird deutlich, dass ein großes Spiel eine Attraktion darstellt, die normale und alltägliche gesellschaftliche Abläufe durcheinanderrüttelt.

Nicht was durchschnittliche linke und linksliberale Krimiautoren auf so schreckliche Art vorgemacht haben, dass für ihr im Duktus eines Studienrates vorgetragenes politmissionarisches Anliegen der Fußball eine austauschbare Kulisse darstellt, findet hier statt, sondern das Gegenteil: Lieske schildert, wie es die Fußballbegeisterung ist, die einen jüdischen Emigranten 1938 ins Pariser Prinzenparkstadion zum WM-Spiel der Schweiz gegen Deutschland gehen lässt. Er erzählt, wie dieser Emigrant zusammen mit ein paar Freunden den Fußball als Bühne nutzen will, um gegen das Naziregime zu demonstrieren. Und dann ergibt sich aus der Erzählung, wie der junge Mann den Typen trifft, der sich durch Arisierung am Geschäft seines Vaters bereichert hat, und wie er ihn nach dem Spiel verfolgt.

In einer anderen Geschichte wird die Fußball-WM 2002 in Japan und Südkorea unter dem Gesichtspunkt analysiert, dass die Spiele von einem der im fernöstlichen Raum ja wirklich weit verbreiteten illegalen Wettsyndikate manipuliert sein könnten.

Oder Lieske schildert, wie ein junger, selbstverständlich der Oberschicht entstammender englischer Fußballnationalspieler des Jahres 1889, der insgeheim seiner Passion im Londoner Rotlichtmilieu nachgeht, dort Jack the Ripper trifft, sich aber nicht traut, ihn anzuzeigen, weil dann sein Doppelleben auffiele. Doch als er im Stadion spielt, da sieht er Jack the Ripper auf der Tribüne.

In einer weiteren Geschichte schildert Lieske, wie die große politische Bühne, die der italienische Diktator Benito Mussolini beim Finale der Fußball-WM 1934 gesucht hat, von Widerstandsgruppen genutzt werden sollte, um ihn vor den Augen der Weltöffentlichkeit in die Luft zu sprengen. Und wie dann nicht nur der Fußball für Unwägbarkeiten sorgte.

Solche Geschichten trägt Matti Lieske in dem Band vor. Weil der Autor ein tiefes Verständnis von Fußball hat, steht bei ihm das Spiel, also auch die gesellschaftliche Bedeutung des Spiels, immer im Vordergrund. Zur Kulisse taugt der Fußball nicht, erst recht nicht, wenn man, wie Lieske, ausnahmslos ganz große Spiele der Fußballhistorie ausgesucht hat.

Der Band fällt im Übrigen, was ja bei Krimis überhaupt keine Selbstverständlichkeit ist, durch liebevolle Gestaltung auf. Die soll hier gar nicht ausgeplaudert werden: Wenigstens in die Hand nehmen sollte man das Buch, beim Durchblättern wird man dann schon bemerken, welche grafischen Elemente mit dem Wort »liebevoll« gemeint sein könnten.

Was aber vielleicht am stärksten auffällt, ist die angenehme Sprache des Bandes: Es ist weder die atemlos nach Spannung hechelnde und wahrscheinlich durch Textbausteine konstruierte Sprache der meisten Krimis, wo – ein Beispiel – der Kommissar noch einen tiefen Zug aus seiner Zigarette nimmt. Noch ist es die an Platitüden ja nicht gerade arme Sprache des Fußballjournalismus, wo ein Spiel von Hitchcock nicht spannender hätte inszeniert werden können und ständig hundert-, ja tausendprozentige Chancen versiebt werden. Nein, nein, »Bei Anstoß Mord« fällt durch eine angenehme Erzählsprache auf, und zudem sind die Storys wirklich spannend.