Doping im Mikrokosmos

Wie denken Amateur-Radfahrer über den Dopingskandal und Jan Ullrich? Ein Blick in die einschlägigen Internetforen. von elke wittich

Was die Fernsehzuschauer, für die der Radsport zumeist gleichbedeutend mit der Tour de France ist, am vergangenen Freitag ziemlich kalt erwischte, dürfte für die Fans der Sportart keine allzu große Überraschung gewesen sein. Schließlich wurden die Entwicklungen um den spanischen Dopingmediziner Eufemiano Fuentes in Internetforen wie dem von radsport-aktiv.de schon seit dem 23. Mai, als die Praxis des Arztes durchsucht worden war, sehr aufmerksam verfolgt und spanische Zeitungsartikel zur Not mit Online-Übersetzungshilfen wie Bablefish ins Deutsche übertragen.

Trotzdem versuchten einige Unentwegte auch dort zunächst, die Affäre als von den Medien völlig grundlos hochgekochte Sensation darzustellen. Als sich abzeichnete, dass Jan Ullrich und die anderen Beschuldigten nicht an der Tour teilnehmen dürfen, wurden rasch Verschwörungstheorien verbreitet. Wie etwa von einem User des forum.tour-magazin.de, dessen Bemühungen, den Seriensieger Lance Armstrong in den Skandal zu verwickeln, jedoch abgeschmettert wurden: »Wenn ich nur an die zig dämlichen Ami-gegen-Deutsch-Diskussionen hier im Forum oder die hässlichen, schon fast faschistischen Äußerungen zu Armstrongs Todeskampf denke, wird mir immer noch speiübel. Er hat siebenmal gewonnen und das verdient«, antwortete User steel-is-real. Andere wandten ein, dass wohl grundsätzlich jeder Spitzenfahrer dopen würde, der US-Amerikaner aber eben nie überführt worden und deswegen die Unschuldsvermutung unbedingt auf ihn anzuwenden sei. Außerdem habe Armstrong mit dem derzeitigen Skandal so viel zu tun »wie Bär Bruno mit Massenmord an Wanderern«.

Diejenigen, die sich moralisch empören und Jan Ullrich am liebsten des Landes verwiesen sehen wollen, werden zu mehr Realismus aufgefordert. User Caad etwa gibt zu bedenken: »Mindestens seit den Sechzigern hat garantiert ein Großteil der Profis was genommen, das ist Fakt. Und mit der Zeit sind es halt immer mehr geworden, da sonst der Unterschied zwischen dem Ungedopten und dem Optimierten zu groß gewesen wäre. Und schließlich lastet auf den Profis ja auch ein großer Druck: Wenn ich weiß, dass die Spitze dopt (und natürlich auch hart trainiert) und ich dasselbe mache, aber trotzdem nicht rankomme an deren Leistung, dann kommt da ganz automatisch ein psychologischer Druck auf einen zu, der einen vor die Wahl stellt: mitmachen, die Gesundheit riskieren und mit abkassieren oder ewig der Wasserträger bleiben, der nur ein mageres Gehalt bekommt, bei keinem großen Rennen dabei ist und dem dann ständig der sportliche Leiter im Nacken sitzt und sagt, dass du bessere Ergebnisse einfahren musst oder dir ein neues Team suchen darfst.«

Zu erwarten, dass man in einer Umgebung, in der Doping an der Tagesordnung ist, clean bleibe, sei extrem blauäugig, fährt er fort, schließlich werde auch im Alltagsleben unentwegt geschummelt, um einen persönlichen Vorteil zu erlangen.

»Ich vergleiche das Dopen auch immer gern mit der Schulzeit: Radsport und Schule sind ein in sich geschlossener Mikrokosmos – eine eigene Welt, zumindest bei mir war es so. Und in dieser Welt der Schule gibt’s immer wieder Tests und Klausuren, bei den Profis halt die Rennen. Und wer – jetzt mal ganz ehrlich – hat damals in der Schule nicht gespickt oder beim Nachbarn abgeschaut, nur um eine bessere Note zu bekommen? Bis auf äußerst wenige Ausnahmen, haben doch alle geschummelt. Und nicht anders sehe ich das bei den Profis, nur dass dort halt viel Geld und die Gesundheit auf dem Spiel steht.«

Aber dopen wirklich alle Profis? Was denn mit denjenigen sei, die nicht auf der Fuentes-Liste aufgetaucht seien, fragt ein User namens Radsportinteressierter und erhält die knappe Antwort: »Die gehen halt zu anderen Ärzten.«

Entsprechend gering ist die Hoffnung, dass der Skandal irgendetwas ändert. Nichts werde passieren, nach kurzer Zeit werde alles so sein wie immer, befürchtet Beißer, es gehe weiter, weil die »Erde eine Scheibe ist, weil sich die Sonne um die Erde dreht, weil der Profiradsport sauber ist.«

Während die meisten Fans sich Sorgen um die Zukunft der Tour de France machen und die Kommentatoren plötzlich beklagen, dass Sportler, Fernsehsender, Journalisten und Sponsoren jahrelang voneinander profitierten und daher kaum Interesse an ehrlichen Diskussionen über das Doping hatten, befürchten ehrenamtliche Trainer und Betreuer der Amateur-Radsportvereine vor allem die Auswirkungen auf ihre tägliche Arbeit. Wie die meisten Breitensport-Clubs sei man notorisch knapp bei Kasse, klagte ein Verantwortlicher für eine Kinder- und Jugendabteilung, bisher habe man jedoch im Sommer immer vom gesteigerten öffentlichen Interesse am Radfahren während der Tour profitieren können. Würde er allerdings in der derzeitigen Situation um Spenden bitten, »würde ich keinen müden Euro erhalten«. Außerdem riefen ständig besorgte Eltern an, die wohl bereits ihre Kinder in den Händen der lokalen Dopingmafia wähnten, »und natürlich auch Jugendliche, die verunsichert fragen, ob sie wirklich nur dann eine Chance auf Erfolg haben, wenn sie illegale Substanzen einnehmen«.

Vage Hoffnungen, vielleicht sei alles doch nicht ganz so schlimm und das Team Telekom habe zum Beispiel seinen Star Jan Ullrich rein prophylaktisch suspendiert, werden jedoch rasch zunichte gemacht, denn auch wenn der Sponsor die vorliegenden Indizien nicht veröffentlicht, werden in den Foren alle Informationen akribisch gesammelt und mit bislang vorliegenden Erkenntnissen verglichen. User Bergprofi postet am Starttag der Tour Beweise gegen Rudi Pevenage, die zuvor in der franzö­sischen Tageszeitung Le Equipe veröffentlicht wurden: »Pevenage: Am 17. Mai um 23.27 Uhr bekommt Fuentes eine SMS von einem belgischen Telefon: ›Freund, wann können wir mal sprechen? Rudicio.‹ Am 18. Mai um 12.20 Uhr bekommt Fuentes einen Anruf von derselben Nummer. Da er beschäftigt ist, geht der Anrufbeantworter dran, mit der Bitte, später zurückzurufen. Der Anrufer sagt: ›Heute Abend. Jetzt ist gerade ein Zeitfahren.‹ Das Zeitfahren des Giro war am 18. Mai.«

Damit sind die meisten Diskussionen darüber, ob Ullrich & Co. nicht vielleicht doch unschuldig sein könnten, hinfällig. Und so ganz langsam wendet man sich in den Foren anderen Fragen zu, wie der, ob man nun trotzdem die Tour angucken soll und wie das alles weitergehen könnte. Und man erhält Ratschläge wie diesen: »Schnapp dein Rad und raus, genieß das schöne Wetter.«