Statt Bällen nun Eier

Fabien Barthez beendet seine Karriere und ist darüber kein bisschen traurig. von elke wittich

Abgesehen von Jubel- oder Foulszenen ist Fußball ein weitgehend körperloses Spiel. Berührungen sind selten, wohl auch, weil die meist sehr konservativ denkenden Fans alles, was dem traditionellen Männerbild nicht entspricht, gleich als »schwul« diffamieren würden.

Vor diesem Hintergrund war eine Geste, die es einige Jahre lang zum Ritual zwischen zwei Fußball-Nationalspielern brachte, umso erstaunlicher: Während der WM 1998 platzierte Laurent Blanc vor und nach jedem Spiel mitten auf die Glatze des französischen Nationaltorhüters Fabien Barthez einen dicken Kuss. Nach dem Titelgewinn machte sich sogar der Staatspräsident Jacques Chirac bei der offiziellen Feier im Elysée-Palast die glücksbringende Gewohnheit der beiden Kicker zu eigen und schmatzte unter dem Jubel der Fans le divin chauve, den göttlichen Kahlkopf.

Dabei war die Barthez’sche Fußballkarriere nicht unbedingt zwangsläufig. Sein Vater Alain war ein sehr erfolgreicher Rugby-Profi, der es sogar ins Nationalteam geschafft hatte, die Familie wohnte dazu in Lavelane nahe Toulouse, wo das Spiel mit dem eiförmigen Ball ein beliebter Volkssport ist. Fabien entschied sich jedoch für den Fußball und wurde Torwart, obwohl Experten bis heute recht sicher sind, dass er dank seiner spielerischen Fähigkeiten auch als Feldspieler Erfolg gehabt hätte.

Nun jedoch ist für ihn Schluss mit dem Sport, wie er Ende voriger Woche in einem Interview mit dem französischen Fernsehsender TF 1 erklärte.

Seit dem Ende der letzten Saison hatte der Torwart keinen Profivertrag mehr, seinen Kontrakt mit Olympique Marseille hatte er nicht verlängert, weil er zurück nach Lavelane wollte, um für seine schwerkranke Mutter zu sorgen. Schon kurz nach der WM hatte sein ehemaliger Teamkollege Eric Cantona gesagt, Barthez sehe seiner Zukunft sehr gelassen entgegen. »Er hat viele Angebote, aus der Türkei, aus Italien, aus England und aus fußballexotischen Ländern wie Katar, aber die interessieren ihn einfach nicht.«

Barthez hatte gehofft, bei seinem ersten Verein Toulouse FC die Karriere beenden zu können, »der einzige Verein, zu dem ich wirklich gewollt hätte, wollte mich nicht, deswegen höre ich jetzt ganz auf«, sagte er. Und er fügte pragmatisch hinzu: »So etwas passiert halt, damit muss man leben.«

Dass der TFC an der Verpflichtung des mittlerweile 35jährigen nicht interessiert war, ist dabei streng genommen sogar Barthez’ eigene Schuld. »Er zeigte, dass man sich auch auf junge Torhüter verlassen kann«, sagte Elie Baup, ehemaliger Trainer von Toulouse FC, wo der Keeper im Jahr 1990 als 19jähriger seine Karriere als Profi begann. »Bevor er auf der Bildfläche erschien, musste ein Torwart mindestens 25 oder 26 Jahre alt sein, bevor er überhaupt die Chance erhielt, regelmäßig für das A-Team eines der Top-Vereine zu spielen.«

Barthez sollte diese Praxis, zumindest für französische Vereine, beenden helfen. Gerade 21 Jahre alt, gewann er am 26. Mai 1993 mit Olympique Marseille das Champions-League-Finale gegen den AC Milan. Ein Jahr später allerdings folgte für Olympique Marseille, nachdem Einzelheiten um von der Vereinsleitung verschobene Spiele aufgeflogen waren, der Zwangsabstieg. Barthez blieb zunächst beim Club, wechselte allerdings 1995 zum AS Monaco, mit dem er zwei Mal französischer Meister wurde. Von 2000, dem Jahr, in dem er als Mitglied der Europameister-Elf zum Welttorhüter des Jahres gewählt worden war, bis 2003 spielte er für Manchester United.

In Großbritannien leben wollte er jedoch nicht. Mit Rücksicht auf seine damalige Freundin, das Super-Model Linda Evangelista, flog er täglich vom gemeinsamen Wohnort Paris zu seinem Arbeitsplatz, was vermutlich keine schlechte Entscheidung war, denn mit dem Orientierungsvermögen des Torwarts scheint es nicht weit her zu sein. Das einzige Mal, als er selber mit dem Auto zum Training fuhr, landete er nicht auf dem Gelände von Manchester United, sondern im gut 150 Kilometer entfernten Liverpool.

Den Vereinsmanagern war vermutlich egal, wo der Torhüter wohnte, solange er gute Leistungen brachte. Und die brachte er, die Meisterschaft in der Premier League 2001 war auch ein Verdienst des französischen Stars.

Barthez’ Leben als Torhüter zeichnete sich allerdings neben genialen Momenten auch immer wieder durch Aussetzer aus. Seine Fans liebten den wortkargen Individualisten dafür. Die Haschisch-Affäre 1995, in deren Verlauf er wegen des Konsums der nicht leistungssteigernden, aber eben verbotenen Droge für zwei Monate gesperrt wurde, tat seiner Beliebtheit ebenso wenig Abbruch wie eine sechsmonatige Sperre wegen Anspuckens eines Schiedsrichters im Jahr 2005.

Einige Fans von Manchester United hatten bereits in den Neunzigern zu Ehren ihres Idols die »Church of Barthez« gegründet. »Barthez ist Gott. Ganz klar. Durch die Reflexionen des Flutlichts auf seinem kahlen Schädel erkennt man eine Art Heiligenschein um sein Haupt herum«, erklärten sie die Wahl des Fanclubnamens, um süffisant fortzufahren: »Jesus mag vielleicht wundersamerweise Wasser in Wein verwandelt haben, aber Barthez hat es mehr als einmal geschafft, einen simplen Rückpass in ein Tor für den Gegner zu verwandeln.«

In den entscheidenden Momenten war der Torwart jedoch fast immer ein wichtiger Rückhalt seiner Mannschaft, wie im Finale der diesjährigen WM, als er nach dem Platzverweis für Zinédine Zidane die Rolle des Kapitäns übernahm, sein Team bis ins Elfmeterschießen rettete und dort einen Schuss von David Beckham hielt.

Barthez bereitete sich schließlich hochprofessionell auf die Spiele vor. Und er sorgte nicht nur dafür, dass er körperlich in Form war. Das routinemäßige Abspielen der Nationalhymnen bei internationalen Begegnungen habe er als lästige Störung seiner Konzentration aufs Match empfunden, »wie ein Tiefseetaucher« habe er in seiner aktiven Zeit sein wollen, sagte er kürzlich in einem Interview. »Über die Jungs wird gesagt, sie könnten sich so stark konzentrieren, dass sie nichts mehr um sich herum hören oder sehen. Genauso fühlte ich mich auf dem Platz auch. Nichts zählte mehr, außer eben in der direkten Konfrontation mit dem gegnerischen Stürmer zu gewinnen.«

Damit ist jetzt aber Schluss. »Klar, viele Torhüter spielen heutzutage noch mit 37, 38 oben mit«, erklärte Barthez, »ich will aber ein neues Leben beginnen. Und neue Erfahrungen machen, darauf freue ich mich.« Während seine Fans über den Rücktritt des Welt- und Europameisters traurig sind, sieht er selbst allerdings keinen Grund für Wehmut: »Es wird mir auch weiterhin gut gehen, nur halt eben ohne Fußball.«

Wobei Barthez in Zukunft durchaus weiter mit Bällen, nur halt eben eiförmigen statt runden, zu tun haben wird. Der meistgeküsste Glatzkopf des modernen Profifußballs prüft der­zeit das Angebot eines Fernsehsenders, im nächs­ten Jahr als Co-Kommentator beim Rugby Worldcup zu arbeiten: »Warum auch nicht? Ich bin schließlich mit dem Sport aufgewachsen.«