Beschwere dich nicht!

Hüseyin Alptekin widmet sich auf der Biennale in Venedig den Widrigkeiten des Künstlerlebens unter kapitalistischen Bedingungen. von sabine küper-büsch

Der kleine Mann dreht sich hektisch im Kreis. Sein Blick versucht, die Menge auf dem Markusplatz zu durchdringen. »Camilla!« ruft er verzwei­felt. Endlich löst sich eine noch winzigere, rundliche Frau mit einem Kind an der Hand aus der Menge. Die Stimmung der Kleinfamilie ist deutlich gespannt. Camil­la Rocha möchte sich endlich die Kathe­drale anschauen, der eineinhalbjährige Cemali Marino ver­langt nach Eis. ­Hüseyin Alptekin entspannt sich erst, als Alfonzo auf­taucht, ein Vene­zianer in den Zwan­zigern, der dem türkischen Künstler seit der Istanbuler Biennale 2005 in Venedig bei der Organisation seiner aufwendigen Installationen hilft.

Er schaffte es, den Monsignore der Markuskathedrale davon zu überzeugen, die Repliken der Quadriga von San Marco als Kunstobjekte nach Istanbul zu bringen. Die dortige Installation thematisierte während der Istanbuler Biennale 2005 die historischen Verbindungen der Metropolen Venedig und Istanbul. Die Quadriga war während des vierten Kreuzzuges im 13. Jahr­hundert von dem venezianischen Dogen Enrico Dandolo aus Byzanz geraubt und nach Venedig gebracht worden. Die berühmten Bronzepferde stammen vermutlich von dem Triumphbogen eines römischen Kaisers. Aus Venedig verschleppte Napoleon die Quadriga nach Paris, gab sie wegen der internationalen Proteste allerdings bald zurück. Nach Istanbul, das im 15. Jahrhundert von den Osmanen eroberten Konstantinopel bzw. Byzanz, kehrten zumindest die den Originalen exakt glei­chen­den Repliken für drei Monate zurück.

»Don’t complain!«, Alptekins Beitrag zur diesjährigen Biennale in Venedig, scheint auf den ersten Blick wenig mit der Geschich­te der Repliken zu verbinden. Die klobigen, archeförmigen Blockhäuser entstanden im finnischen Vaasa und sollen eine georgische Kneipenlandschaft simulieren. Zur Eröffnung der Biennale konnten die Besucher an Tischen Platz nehmen, etwas trinken und die Videos von früheren Ar­bei­ten des Künstlers anschauen, Fotosamm­­lungen, die Camilla Rocha, eine brasilianische Künst­lerin, animiert und vertont hatte.

Hüseyin Alptekin beschäftigt sich seit Jahren mit Mobilität und Alltagskultur. In Rio de Janeiro klaubte er am Strand von Ipanema wie die örtlichen Müllsammler die Überreste der Zivilisation in Form von knallbunten Strandaccessoires auf. Er benutzt Materialien wie Postkarten, Zi­garettenschachteln, Plastikfußbälle oder Spielzeug-LKW für seine Installationen. Der Ausdruck »Incidents« umschreibt die künstlerische Verarbeitung der Erfahrung des ausländischen Fußgängers in einer ihm fremden Umgebung.

Zu den stärksten Arbeiten Alptekins dieser Art gehörte die Auseinandersetzung mit dem Balkan seit 2003. Der aus Izmir stammende Künstler beschäftigte sich mit der Wiederinbesitznahme von unbrauchbaren, der Gesellschaft gehörenden Objekten.

Im Mittelpunkt standen die in Albanien in großer Anzahl unter der Diktatur Enver Hoxhas gebauten Bunker. Diese massiven, von einer Besessenheit des Regimes zeugenden Objekte wurden in andere, nicht funktionale Kontexte versetzt. Fast zwei Jahre lang stand einer der Bunker vor der Kunsthalle Fridericianum in Kassel. In »Incident Kosovo« wurden die aus Fami­lien­alben stammenden Fotos vermisster Albaner als Teil einer neuen, politisierten Alltagskultur im öffentlichen Raum gezeigt.

In der Installation für die Istanbuler Bien­nale 2005 korrespondierten die Repliken der Pferde aus der Quadriga mit von Alptekin angefertigten Kacheln. Entfernt an türkisch-osmanische Mosaike erinnernd, schimmerten Ausschnitte der Quadriga an einer Wand des Austellungsraums, ergänzt von einer Videoinstallation, die den Transport der Quadriga-Repliken nach Istanbul zeigte.

»Don’t complain!«, der Titel der aktuellen Ausstellung in Venedig, ist eine Kritik an den Härten des globalisierten, kapitalistischen Kunstmarkts. Die finnischen Blockhütten entstanden kon­zeptionell als Auseinandersetzung mit der Umgebung, in der sich Alptekin jüngst aufhielt. Wenige Monate vor der Biennale musste er allein aus finanzieller Not in den bitterkalten Norden Finnlands reisen, um ein Stipendium anzutreten. Die Gründung von Alptekins »Sea Elephant Travel Agency« lehnt sich an Jules Vernes Roman »Kéraban-le-Têtu« an, in dem die Hauptfigur die ganze Schwarzmeerküste entlangreist, um auf die andere Seite des Bosporus zu gelangen.

Gleichzeitig zeigt die Idee die Realität Hüseyin Alptekins. Das Leben des Künstlers spielt sich ebenfalls seit Jahren auf Stipendienreisen ab. Die »Generation Stipendium« entspricht in diesem Sinne der »Generation Praktikum«, vor allem in Ländern wie der Türkei. Seine Frau Camilla lernte Alptekin in Finnland während eines Stipendienaufenthalts kennen, geheiratet wurde in Australien am Rande einer Stipendienreise, Cemali Marino wurde in Brasilien geboren.

Gekennzeichnet ist diese nur halb freiwillige Mobilität durch ununterbrochene künstlerische Produktivität und chronischen Geldmangel. Anders als in vielen europäischen Ländern profitieren türkische Künstler weder von nationalen Förderprogrammen noch genießen sie die dauerhafte Gunst großzügiger Samm­ler.

Zur Eröffnung der Biennale in Venedig flog der Hauptsponsor, eine türkische Bank, wohlhabende Türken ein. Die bereits in Fatih Akins Film »Crossing the bridge« auftauchende Musikgruppe Ba­ba Zula wurde für das musikalische Programm engagiert. Hüseyin Alptekin und seine Familie, der international bekannte Kurator Vasif Kortun und seine Assistentin stolperten drei Wochen lang in einer engen Wohnung übereinander und hatten nur ein Minimum zur Verfügung, um den ersten Pavillon der Türkei angemessen zu gestalten. Kurz nach der Bekanntgabe der türkischen Teilnahme an der Biennale in Venedig sagte die von Kortun eingeladene Künstlerin Aydan Murtaz­zaoglu mit der Begründung ab, nach der Ermordung des armenischen Journalisten Hrant Dink wolle sie ein Land wie die Türkei nicht mehr auf einer internationalen Ausstellung vertreten.

Auf dem Markusplatz hat Cemali Ma­ri­no mittlerweile das von Alfonzo besorg­te Eis auf den Boden geworfen und verlangt ein neues. Camilla Rocha schluchzt, weil sie endlich aus der kleinen Wohnung herausgekommen ist und etwas sehen möch­te. Hüseyin Alptekin zuckt die Achseln und seufzt lakonisch: »Don’t complain!«