Knapp vorbei ist auch daneben

Am Antikriegstag wollen Nazis in Dortmund demonstrieren. Viele Linke sind empört, doch eine radikale Kritik können sie nicht formulieren, weil ihnen dafür die Kriterien fehlen. Ein emanzipatorischer Antifaschismus müsste den Schwur von Buchenwald endlich ernst nehmen. von ivo bozic
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Die Dortmunder Grünen sind empört. Ausgerechnet am 1. September wollen Neonazis in Dortmund auf dem Friedensplatz gegen Krieg demonstrieren und damit »einen inhaltlich eindeutig belegten Tag für ihre Zwecke umdeuten«, erklärt der Kreisverband. Hintergrund ist die Ankündigung rechtsextremer Gruppen, am Antikriegstag wie bereits in den vergangenen Jahren »gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege« auf die Straße gehen zu wollen. Ausgerechnet Nazis! Wo doch der Antikriegstag eigentlich an den Überfall Nazideutschlands auf Polen erinnert und also klar antifaschistisch kodiert ist. »Am 1. September beabsichtigen die Nazis und Neonazis nun, den symbolträchtigen Tag zu schänden«, klagt Ulrich Sander von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA).

Doch die allgemeine linke Empörung hat einen merkwürdig schalen Beigeschmack. Tatsächlich versuchen Nazis seit Jahren, linke Codes und Themen aufzugreifen und sich anzueignen – im Grunde ist es jedoch weniger ihr Verdienst als der der Linken, dass das auch gelingt. Seit Jahren schon demonstriert die Friedensbewegung am 1. September lieber gegen US-amerikanische »Kriegstreiberei« als gegen deutschen Faschismus.

In diesem Jahr etwa ruft Attac zu einer Demonstration in Gorleben auf, um einerseits gegen das Atommülllager zu protestieren und andererseits gegen Krieg. Um Deutschland geht es da auch: »Wir prangern an, dass in Deutschland Atombomben stationiert sind« – amerikanische natürlich. Außerdem planten, heißt es bei Attac, die USA einen Krieg gegen den Iran, dem – offenbar völlig zu Unrecht – »unterstellt« werde, Atom­waffen bauen zu wollen. Aus einer Demonstration gegen Atomkraft in Deutschland formt Attac also einen indirekten Appell für die Atomkraft im Iran. Dass Attac am Tag der Erinnerung an das deutsche Weltkriegsmassaker lieber über amerikanischen Imperialismus reden möchte, bedeutet zudem, ein Nazikompatibles Feindbild in den Mittelpunkt zu rücken, und die deutsche Nazigeschichte aus dem Diskurs hinauszudrängen.

Aber selbst da, wo nicht die amerikanische, sondern die deutsche Militärpolitik im Mittelpunkt der Aktivitäten jenes Tages steht oder zumindest einmal stand, wie etwa noch beim Aufruf des Dortmunder Friedensforums zum 1. September 2000, wird schon mal aus dem Spruch »Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!« kurzerhand ein »Nie wieder Krieg – Nie wieder Verfassungsbruch!« – vom Faschismus, geschweige denn Nationalsozialismus fand sich kein Wort mehr. Dabei ist schon die Geschichte jener »Nie-wieder«-Parole eine Geschichte reaktionärer Geschichtsklitterung durch die Linke. In der DDR wurde unter dieser Losung vor der Frauenkirche in Dresden der Opfer britischer Luftangriffe auf Deutschland gedacht. Und sowieso: Die SED hatte ausgerechnet den 1. September sorgfältig von seiner spezifischen deutschen Geschichte getrennt und zum »Weltfriedenstag« umfunktioniert. Die Nazis sind also mitnichten die ersten, die das Gedenken an diesem Tag umgedeutet haben.

Der oben zitierte Ulrich Sander erklärte an anderer Stelle die Strategie seiner Organisation: »Die VVN-BdA strebt die Verbindung von Antimilitarismus/Antifaschismus mit der Friedensbewegung an. Die Losung ›Nie wieder Krieg – Nie wieder Faschismus‹ sollte in ihrer Einheit wiederhergestellt werden. Dazu müsste an den Konsens von 1945 wieder angeknüpft werden.« Doch welcher Konsens soll das sein, wenn die Friedensbewegung sich heute hauptsächlich auf die damaligen Befreier als ihren Feind konzentriert?

Die Losung, die vermeintlich Friedensbewegung und Antifa so hübsch unter einen Hut bringt, stammt übrigens nicht, wie regelmäßig – vor allem von der VVN – vorgebracht wird, aus dem Schwur der KZ-Überlebenden in Buchenwald. Deren Schwur lässt sich ganz und gar nicht antiamerikanisch und im Übrigen auch nicht pazifistisch auslegen. Heißt es darin doch: »Wir danken den verbündeten Armeen der Amerikaner, Engländer, Sowjets und allen Freiheits­armeen, die uns und der gesamten Welt Frieden und das Leben erkämpfen. Wir gedenken an dieser Stelle des großen Freundes der Antifaschisten aller Länder, eines Organisatoren und Initiatoren des Kampfes um eine neue demokratische, friedliche Welt, F. D. Roosevelt. Ehre seinem Andenken!« Hinter ein entsprechendes Antikriegstags-Transparent würden sich gewiss keine Nazis einreihen. Aber wohl auch die wenigsten Linken.

Der 1. September ist nur ein Beispiel für den hilflosen Umgang der meisten Linken, auch der anti­faschistischen Linken, mit dem Naziproblem. Wo die ideologischen Grundlagen der Neonazis nicht thematisiert werden, mutiert die Kritik zu einer inhaltsleeren Kritik ihrer Strukturen; eine Kritik, die man getrost dem bürgerlichen Staat überlassen kann. Und deshalb sollte man für die dumme Debatte um die rassistische Attacke in Mügeln dankbar sein. Der Mügelner Bürgermeister hat völlig Recht: Eine Parole wie »Ausländer raus« kann (fast) jedem in Mügeln mal über die Lippen kommen. Genau das ist das Problem. Und selbst wenn der Herr Recht hätte und es in Mügeln keine organisierten Nazis gäbe (was nachweislich nicht stimmt), auch dann hätte es jederzeit zu einem solchen Vorfall kommen können. Mügeln hat, auch darin ist dem Bürgermeister zuzustimmen, kein Naziproblem – denn die Mügelner haben offenbar tatsächlich kein Problem mit Nazis. Was dem Bürgermeister als Verharmlosung ausgelegt wird, ist in Wirklichkeit die drastische Beschreibung der braunen Verhältnisse nicht nur jener Region – eines Landkreises übrigens, in dem die Partei »Die Linke« zweitstärkste Kraft ist.

In einem Land wie Deutschland, in dem sich einer Umfrage zufolge jeder Dritte als »links« bezeichnet und wo sich der gewalttätige Rassismus gleichzeitig ungebrochen austoben kann und sich das rassistische Ressentiment als derart beharrlich erweist, reicht es nicht, den Blick auf Nazi-Kameraden und -Kameradschaften zu richten. Die Antifa wäre gut beraten, sich auf den Grundgedanken ihres politischen Ansatzes, den Antifaschismus, zu konzentrieren und seine wesentlichen Bestandteile herauszuarbeiten. Ihr Kampf wäre dann allerdings ein Kampf nicht nur gegen die NPD und dumpfe Skinheads, sondern gegen alle autoritären und chauvinistischen Tendenzen – ob beim Staat, bei Islamisten oder auch bei Linken.

Ein genauerer Blick auf die Zeit-Umfrage, nach der es in Deutschland von Linken nur so wimmelt, lohnt sich übrigens. Die Kriterien waren: »soziale Gerechtigkeit«, »Privatisierung staatlicher Unternehmen«, »Mindestlöhne«, »Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr« und »Rentenalter«. Man kann zu allen diesen Themen eine durch und durch linke Überzeugung haben und dennoch ein Nazi sein. Das lässt sich leicht durch einen Blick ins Parteiprogramm der NPD beweisen. Staatsfetischismus ist eben eine zuverlässige Klammer zwischen Links und Rechts. Wo also alle Kriterien zur Bewertung von Links und Rechts abhanden gekommen zu sein scheinen, ist es wohl kaum möglich, sich glaubwürdig »gegen Rechts« zu engagieren. Außer, man reduziert das Problem auf prügelnde Nazi-Hools. Dagegen jedoch hat gefälligst die Polizei vorzugehen, emanzipatorisches Potenzial birgt dieser Abwehrkampf nicht.