Gespräch mit dem Umweltaktivisten Andri Snaer Magnason über die isländische Energiepolitik

Rettet die Feuchtgebiete

Gletscherflüsse wurden umgeleitet, Wasserfälle trockengelegt. Alles für die Aluminiumindustrie. Der Umweltaktivist und Autor Andri Snaer Magnason räumt mit dem PR-Mythos von der unberührten Insel auf.

Was einem in Island sofort auffällt, ist der verschwenderische Umgang mit Energie auf der Insel. Stromsparen scheint nicht besonders verbreitet zu sein. Auch nicht in unserem Wellness-Hotel. In den Umkleiden im Spa-Bereich trocknet man sich beispielsweise mit einem Heißluftföhn die Haare und lässt sich gleichzeitig von einem Tischventilator kühle Luft ins erhitzte Gesicht blasen. Und für die Trocknung der Füße gibt es spezielle Fußföhns. Ein schlechtes Gewissen braucht man wohl auch nicht zu haben, denn die Energie kommt nicht aus Atomkraftwerken, sondern aus der Erde und dem Wasser.
Der Reichtum an natürlichen Energiequellen habe Island in der Folge aber auch ökologische Probleme eingebracht, glaubt Andri Snaer Magnason. Er ist der Energieexperte unter den isländischen Autoren. Der Umweltaktivist wurde 1973 in Reykjavík geboren, schreibt Lyrik, Kinderbücher, Romane und Theaterstücke und bringt seine Botschaften mit viel Phantasie unter die Isländer. 1996 brachte er den Lebensmitteldiscounter Bonus dazu, seinen Band mit konsumkritischen »Supermarktgedichten« ins Sortiment aufzunehmen, und erzielte Rekordauflagen. Auf seine Initiative hin wurden 2006 in Reykjavík für eine Stunde sämtliche Lichter ausgeschaltet, während ein Astronom im Radio den Sternenhimmel erklärte.
Passenderweise trifft man sich mit Magnason in einem stillgelegten Umspannwerk im Gewerbegebiet von Reykjavík, wo sich ein paar Künstler und Designer ihre improvisierten Ateliers eingerichtet haben. »Ich bin nicht der isländische Al Gore«, erklärt er uns gleich zu Beginn. Diesen Ausspruch werden wir nach unserer Rückkehr nach Berlin aus seinem Mund noch ein paar Mal in anderen Medien hören und lesen. Wir sind schließlich nicht die einzigen Journalisten, die sich vor der Buchmesse mit dem Autor in dem alten Fabrikgebäude treffen und sich von ihm die Umweltprobleme auf der Insel erklären lassen. Aber Magnason hat einen wunderbar trockenen Humor, und seinen lakonischen Witz hört man sich auch zweimal an. Wenn die Folgen der industriellen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen insbesondere durch die Aluminiumindustrie auf der Insel allmählich bekannter werden, dürfte das schließlich auch das Verdienst des in diesen Tagen unermüdlich Interviews gebenden Autors sein.
2006 schien für viele die Welt auf Island noch in Ordnung zu sein, auch für die Banker, die beste Geschäfte machten, und für die Touristen, die sich über eine unberührte Natur freuten. In diesem Jahr erschien sein Buch »Traumland«. Untertitel: »Was bleibt, wenn alles verkauft ist«. Es ist eine ganz eigene Mischung aus Sachbuch, Jugendliteratur, Essay, Polemik und Tagebuch. »Dieses Buch«, schreibt niemand Geringeres als die National-Ikone Björk in ihrem Vorwort zur deutschen Ausgabe, »schlug ein wie eine Bombe. Die Politiker hatten unsere Natur ohne unsere Zustimmung als billige Energiequelle an die Industriegiganten der Welt verhökert. Das isländische Volk war stinksauer.« Nicht zuletzt auch deshalb, weil Konzerne wie Alcoa US-Unternehmen sind und die Isländer wegen der bis 2006 dauernden US-Truppenpräsenz ausgesprochen misstrauisch auf amerikanische Großprojekte reagieren.
»Die Aluminiumschmelze ist einer der energieaufwendigsten Industriezweige und wird von Konzernen wie Alcoa aus diesem Grund nach Island ausgelagert«, erzählt Magnason. Er rechnet vor: »Die Alcoa-Fabrik an der Ostküste verbraucht sechsmal so viel Strom wie alle Haushalte Islands zusammen. Eine Fabrik, die knapp 500 Menschen Arbeit bietet, wird fast doppelt so viel Strom verschlingen wie 300 000 Menschen und alle ihre Einrichtungen benötigen.« Gleichzeitig entsprechen die CO2-Emissionen der Fabrik dem Ausstoß von 170 000 Autos, das ist ein Vielfaches aller Autos auf Island. Für das Wasserkraftwerk wurden Gletscherflüsse umgeleitet und Wasserfälle trockengelegt, und die Stauseen fressen sich immer weiter in die Landschaft vor. Die Pointe an der Sache sei, sagt der Autor, dass das Recyclen von Aluminium um ein vielfaches billiger und ökologischer sei.
Wenn man aus Deutschland kommt, im Ruhrgebiet aufgewachsen ist und im Schatten irgendwelcher Atomkraftwerke gewohnt hat, kann man die Drastik der Umweltprobleme auf Island, die Magnason schildert, vielleicht nicht ohne Weiteres nachvollziehen. Aber der Autor sieht sich als Vertreter einer visionären Öko-Bewegung, deren Ziel es ist, ein Bewusstsein für Ökologie in einem Land zu schaffen, das sich stets darauf verlassen konnte, dass die industrielle Revolution an der Insel vorbeigegangen und es eines der größten unberührten Naturgebiete Europas war. Eine intakte Natur vor der Haustür zu haben, war eine Selbstverständlichkeit. Das mit der großen Naturliebe der Isländer hält der Autor ohnehin für eine Reiseführerweisheit. »Viele Isländer finden die Vulkanlandschaft im Grunde öde. Sie vermissen Bäume und wünschen sich einen Schwarzwald auf der Insel. Das ist nur eine Steinwüste für sie. Viele Isländer kennen ihre Insel gar nicht.« Deshalb auch sei die Ansiedlung der Aluminiumindustrie ohne öffentliche Debatten um die Konsequenzen vonstatten gegangen.
Dass Magnason heute einen Status als ökologischer Visionär genießt, hat auch damit zu tun, dass sich seine 2006 gemachten Prophezeiungen bereits zwei Jahre später mit dem Kollaps des Finanzsystems zu bestätigen schienen. Viele Isländer sehen heute einen Zusammenhang zwischen dem Bankenkollaps und dem Stau­dammprojekt. Island war während der Bauzeit des Großprojekts mit ausländischen Krediten überschwemmt worden, bis der aufgeblähte Bankensektor kollabierte.
Die Krise sei ein heilsamer Schock gewesen und habe ein vorsichtiges Umdenken bewirkt, meint der Autor, der gute Chancen sieht, dass in Zukunft nicht mehr eine Aluminiumschmelze nach der anderen genehmigt wird. Er fordert »mehr Diversität statt immer nur Aluminium«. »Warum«, fragt er, »soll ein Land, das traditionell vom Fischfang gelebt hat und neuerdings einen Tourismusboom erlebt, sich nicht neue Wirtschaftszweige erschließen und zum Mekka für Design werden?« Die Insel sei viel zu schön, um sie mit Aluminiumfabriken vollzubauen.
Mit dieser Ansicht steht er längst nicht mehr alleine da: Ende September wurden die Pläne eines chinesischen Investors bekannt, der im Hinterland des Fischerdorfes Húsavík an der Nordküste auf einem 300 Quadratkilometer großen Areal ein Hotel- und Golfressort errichten möchte. Huang Nubo, der 2010 das chinesisch-isländische Literaturfestival unterstützte, will sich auf seinen zahlreichen Islandreisen in die Insel verliebt haben. »Ein verrückter Plan«, sagt Andri Snaer Magnason. Große Lust, als nächstes ein Buch über Golfen am Polarkreis zu schreiben, scheint er nicht zu haben.

Andri Snaer Magnason: Traumland. Aus dem Englischen von Stefanie Fahrner. Orange Press, Freiburg 2011, 285 Seiten, 20 Euro
Andri Snaer Magnason: Bonus. Aus dem Isländischen von Tina Flecken. Orange Press, Freiburg 2011, 96 Seiten, 9,99 Euro