Das Buch

»Haben Sie das Buch gelesen?« »Das steht so nicht in dem Buch.« »Wenn Sie mein Buch gelesen hätten … « Es waren vor allem solche Sätze, we­niger seine Thesen, die von Thilo Sarrazin im Gedächtnis geblieben sind. Aber was in »Deutschland schafft sich ab« stand, war gar nicht von Belang, theoretisch hätte er auch 300 weiße Seiten abgeben können. Wurde doch der Inhalt vollkommen überwältigt von der symbolischen Funktion, die das Buch hatte: als Identitätsstifter für Rechte, die zutiefst dankbar waren, dass wieder einmal ein Sozialdemokrat ihr schmutziges Geschäft verrichtete. Ähnlich läuft es auch mit »Unterwerfung«, Michel Houellebecqs Islam-Epos. Denn eigentlich ist das Buch für ein breites Publikum unlesbar, besteht es doch zu großen Teilen aus literarhistorischen Betrachtungen über französische Autoren, von denen der überwiegende Teil der Leserschaft niemals gehört haben dürfte. Allein das Gerücht, es handele sich um ein islamkritisches Buch, treibt es derzeit die Bestsellerlisten hoch; allein die vage Hoffnung, auch nur ein Fitzelchen des eigenen Ressentiments bedient zu bekommen, lässt das Publikum die Brieftaschen zücken. Mehr als Fitzelchen bekommen sie auch nicht: Die tatsächlich islamkritischen Passagen sind so wenige, dass man sie an einer Hand abzählen kann. Noch dazu sind sie gefiltert durch den Ich-Erzähler, einen vom Leben gelangweilten Literaturwissenschaftler, der sich zurücksehnt in die Zeit der französischen décadents und jedem Reaktionär die Hand reicht, der ihm verspricht, die Langeweile und Mühsal der Demokratie für ihn abzuschütteln. Dass hier ein Rechter spricht, als Parodie eines Rechten, spielt aber für das deutsche Publikum keine Rolle. Der Pegida-Bürger fühlt sich verstanden und geschmeichelt.