Ausprobiert, Teil 19: Snooker

Das Ende einer Karriere

Ausprobiert, eine Serie über Sportarten, die unsere Autorinnen und Autoren als Kinder geliebt oder gehasst haben – oder die sie schon lange im Fernsehen faszinieren. Teil 19: Snooker – eine Sportart, die nicht überall auch von Frauen gespielt werden darf, die überdies auch nur eine Bruchteil der Männer-Prämien damit verdienen können. Und die trotzdem ziemlich faszinierend ist.

Vor etwas mehr als 20 Jahren, ich war gerade sechs Jahre alt geworden, feierte ein Schulfreund mit Orangensaft, Süßigkeiten, Spielzeug und Billard seinen Geburtstag. Es war eine berauschende Party, die bis tief in die Abendstunden ging und die so aufregend war, dass ich mich an die Tage danach nicht mehr erinnern kann. An die Geburtstagsfeier hingegen schon, denn dort sah ich zum ersten Mal einen Poolbillardtisch, der mich gleich magisch anzog. Und dann nahm die Tragödie ihren Lauf, als ich nur einen Stoß vom Pokal entfernt war, diesen jedoch selbstverständlich vergeigte und unter Tränen, aber als Meister der Herzen, an der Hand meiner Mutter die Party verließ. Wer kennt dieses Gefühl nicht? So kurz vor dem langersehnten Triumph zu scheitern, das war ein bisschen wie 2001, als Schalke 04 doch nicht Meister wurde.
So groß meine Faszination für die Sportart an diesem Tag war, so schnell verflog sie auch wieder. Ich konnte mich nie wirklich von dem bitteren zweiten Platz erholen und kehrte dem Billardtisch den Rücken. In jeder Kneipe, in der ich etwa zehn bis zwölf Jahre später zum Billardspiel aufgefordert wurde, lehnte ich dankend ab. Ich wollte nichts mehr mit diesem Sport zu tun haben. Bis ich irgendwann Eurosport einschaltete und zum ersten Mal Snooker live im Fernsehen sah. Ich kannte die Regeln nicht, war verwirrt über die 15 roten Kugeln und die sechs andersfarbigen auf dem Tisch. Je länger ich aber der Partie zuschaute, desto mehr verstand ich, was da vor sich ging. Eine rote Kugel hat den Wert von einem Punkt, die gelbe ist zwei Punkte wert, die grüne drei, die braune vier, die blaue fünf, die pinkfarbene sechs und die schwarze sieben Punkte. Nach meist maximal 19 auszutragenden Frames steht fest, wer gewonnen hat. Bei Beginn eines »Break«, der Spielzeit, in der eine Person durchgehend am Tisch ist, muss zuerst eine rote Kugel angespielt bzw. versenkt werden. Anschließend darf man sich eine andersfarbige vornehmen. Nachdem beispielsweise die schwarze gefallen ist – so heißt es in der Snooker-Sprache, wenn die Kugeln erfolgreich in den Netzen unter den Löchern gelandet sind –, kommt diese zurück auf den Tisch und eine rote muss wieder versenkt werden. Denn: Bis alle roten Kugeln gefallen sind, werden die anderen Farben wieder zurück auf den Tisch gelegt. Das kann dauern, im Idealfall erreicht ein Spieler das »Maximum Break«, dann hat er ohne Unterbrechung 147 Punkte geholt.
Ich saß also vor dem Fernseher und fragte mich, warum diese Billardart eigentlich Snooker heißt. Ein Blick ins Wörterbuch half mir weiter. Eigentlich handelt es sich bei dem Wort nämlich um ein Verb, und das steht für »jemanden sperren oder behindern«, davon war jedoch auf dem TV-Bildschirm bislang wenig zu sehen. Auf einem 3,56 Meter langen und 1,78 Meter breiten Tisch versenkten die Spieler fleißig die Kugeln in den Taschen, bis einer begann, ­einen Safety-Ball zu spielen. Er beförderte die Kugel, nachdem die vorher zu berührende leicht touchiert worden war, hinter die gelbe Kugel am anderen Ende des Tischs. »Seltsamer Move«, dachte ich mir, kurz danach beging der Gegenspieler das erste Foul, als er über die Bande nicht den »Ball on« traf, also den Ball, der gerade zuerst berührt werden musste. Der andere Spieler entschied sich, den Ball noch einmal spielen zu lassen, und der Schiedsrichter kam, um die Situation wieder in den nahezu identischen Stand zu bringen wie zuvor. Vier Punkte gibt es für jedes Foul, außer der »Ball on« hat eine Farbe, die einen Wert von mehr als vier Punkten hat. So war dann auch der Begriff Snooker klar: Sperren und Behindern wird vor allem dann benutzt, wenn der Vorsprung eines Spielers höher ist als die verfügbaren Punkte auf dem Tisch. Wie das ganze letztlich ausging, weiß ich nicht mehr genau. Genauso wenig kann ich mich erinnern, wer überhaupt gegen wen gespielt hat, mir wurde aber klar, dass ich die Sportart mag und ich mich näher mit ihr befassen möchte.
Schnell stieß ich auf die Namen der Stars, wie Ronnie O’Sullivan, John Higgins oder Michaela Tabb. Letztere ist bis 2015 Schiedsrichterin beim Snooker gewesen, war vorher Weltmeisterin im Pool-Billard, hatte sich aber vor allem über ihre Schieds­richtertätigkeit einen Namen gemacht. Snooker-Weltmeisterschaften werden gesondert auch für Frauen ausgetragen, wobei diese auch an der Profi-Weltmeisterschaft teilnehmen können, was bislang aber nur Reanne Evens gelungen ist, die 2010 auch mit einer Wildcard des Weltverbandes an der Snooker Main Tour teilnehmen durfte, wo die Platzierungen in der Weltrangliste ausgespielt werden. Ihren Status nutzt Evens auch dazu, über Sexismus beim Snooker zu sprechen. Gegenüber BBC Sport erklärte sie beispielsweise, dass es in einigen Clubs Frauen verboten sei, Snooker zu spielen.
Das Preisgeld bei den Weltmeisterschaften fällt höchst unterschiedlich aus: Die Weltmeisterin erhält 1 500 Pfund, während der Weltmeister 300 000 Pfund bekommt. Selbst das Überstehen der Qualifikation für die Männer-WM sichert den Teilnehmern noch 12 000 Pfund und damit fast das Zehnfache, was eine Weltmeisterin einstreichen kann. Aber selbst dieses bessere Taschengeld wird nicht automatisch in jedem Jahr ausgezahlt: Die Frauen-WM musste immer wieder wegen Mangels an Sponsoren abgesagt werden – seit 1998 wird sie ab dem Halbfinale als Nebenveranstaltung der Männer-WM ausgetragen.
Im Snooker ist es damit ähnlich wie in vielen anderen Sportarten, wo Frauen benachteiligt werden. Kritik bleibt jedoch bislang ungehört. Was sehr schade ist, denn der Sport ist nicht nur zum Zuschauen faszinierend. Wenn jemand es schafft, eine Kugel über eine Distanz von drei Metern exakt in einer minimal größeren Tasche zu versenken, so begeistert mich das, genauso wie die kniffligen »Safeties«, das genaue Abpassen, Ausrechnen und Spielen der Kugel. Das sollte für mich als besagtem Meister der Herzen vom Kindergeburtstag auch möglich sein, dachte ich. Und so begann kürzlich mein erster Versuch am Snooker-Tisch. What a feeling! Voller Tatendrang wollte ich mein damals entdecktes Talent nun endgültig aufblühen ­lassen, denn wer weiß, vielleicht bringe ich es mit Anfang 30 doch noch zum Snooker-Profi. Wir begannen gleich einen Frame. Der dauerte wenig überraschend Ewigkeiten, nach zwei Stunden waren wir immer noch nicht fertig. Es war ein einziges Glücksspiel, meine Hände waren unruhig, ich war nicht in der Lage, die Kugel nach dem Versenken, was ohnehin schon schwer genug war, dann noch für den nächsten »Ball on« zu platzieren. Das Spiel endete mit einem angemessenen Punktestand. Das lag aber weniger an unserer Spielkunst, sondern mehr an den Fouls und den sich ständig abwechselnden Breaks. Hätte Reanne Evens uns gesehen, sie wäre nicht sehr begeistert gewesen.
Feststeht nunmehr, dass Snooker immer noch eine schöne Sportart ist, dass ich kein Snooker-Profi mehr werde und dass ich Reanne Evens fest die Daumen drücke, damit sie bald Weltmeisterin in der Sportart wird, in der offenbar nur Männer Profis sein können.