Sven Kacirek und Daniel Muhuni haben Interviews mit Menschen aus Kenia vertont

O-Töne aus Ost­afrika

Seite 2 – »Sonic ethnography«: klangliche Aufbereitung von ethnographischen ­Daten

 

Der Grundstein für diese musikalische Brücke legten Muhuni und ­Kacirek zusammen mit Agnieszka Krzeminska, als sie Dutzende Menschen in Kenia interviewten, mit dem Ziel, diese Menschen zum Zentrum des Albums zu machen. So trugen sie 15 Stunden Material zusammen: O-Töne von Verhandlungsteilnehmern, Entwicklungshelfern, Bäuerinnen, Slum-Bewohnern und kenianischen Ökonomen. Es fand sich niemand, der eine positive Position zu EPA einnehmen und gleichzeitig Teil des Projekts sein wollte.

Aus dieser enormen Sammlung ergaben sich sechs grobe Themen­komplexe, denen die Zitate nach Kriterien wie Sprachmelodie, Dynamik und Klang der Sprache zugeordnet wurden. »Es war uns von Anfang an wichtig, einfach nur zuzuhören. Die interviewten Personen sind quasi die Solisten des Albums«, erklärt Kacirek. Um diese Aufnahmen herum ­arrangierten Muhuni und Kacirek ­einen mal minimalistischen, mal wuchtigen orchestralen Sound. Sie schöpfen dafür aus allerlei Perkussioninstrumenten, hinzu kommen elektronische Farbkleckse und kleine Fetzen kenianischen Gesangs.

Der Platte liegt ein umfangreiches Booklet bei, das die politischen Implikationen des Albums verdeutlicht. Kacirek macht nicht den Fehler, das komplexe Thema einfach erklären zu wollen

Das markanteste Element, welches sich erst bei genauerem Hinhören ­erschließt, ist jedoch das häufige Doppeln der Stimme mit einem Vibraphon oder Xylophon, was dem Gesagten eine schneidende Eindringlichkeit verleiht: »Uns ging es auch darum, mit der Musik Reflexionsräume zu öffnen, in denen der Zuhörer das Gesagte anders verarbeitet und anders wahrnimmt, als wenn die Sprache pur abgespielt worden wäre.« Man kennt diese Art der Collage vielleicht von Musikern wie The Books, und in seiner hypnotischen Qualität erinnert »Economic Partnership ­Agreement« an das nur wenige Jahre zurückliegende »Elements of Light« von Pantha Du Prince & The Bell ­Laboratory oder auch an Steve Reich. In seinen intensivsten Momenten entfaltet die Platte gar eine hermetische Schönheit, wie man sie von der Ambient-Jazz-Band Bohren & Der Club Of Gore kennt.

 

Kacirek Interview
Bild:
Agnieszka Krzeminska

 

Der Platte liegt ein umfangreiches Booklet bei, das die politischen Implikationen des Albums verdeutlicht. Kacirek macht nicht den Fehler, das komplexe Thema einfach erklären zu wollen: »Je mehr Einblicke ich bekam, desto schwieriger fiel es mir, eine klare Schuldzuweisung zu treffen. Die Situation, dass der Stärkere den Schwächeren plattmacht, durch­sickert alle Ebenen. Selbst in den Slums in Nairobi ist dieses Phänomen allgegenwärtig. Ich denke, die Menschen sollten die vorherrschende Wachstumsökonomie viel kritischer beleuchten und Alternativen zu ­dieser erarbeiten.«

Im akademischen Kontext ist in den letzten Jahren der Begriff »sonic ethnography« aufgekommen, gemeint ist damit die klangliche Aufbereitung von ethnographischen ­Daten. Dem Ethnologen und Kulturforscher Walter Gershon zufolge liegt der Vorteil dieser Methode darin, dass sie eine umfassendere ­Repräsentation der Interviewten erleichtert, ein bis dato nicht uner­hebliches Problem in der Ethnologie. »Töne entfalten sich mit einer speziellen Chronologie, Hören wird anders erfahren als Lesen. Töne gehen andere Wege, und als Hörer ist es sehr viel schwieriger, die Ohren für bestimmte Ausschnitte zu schließen.«

Muhuni und Kacirek haben es auf beeindruckende Weise geschafft, dass man nicht weghören möchte. Sie lassen sonst kaum gehörte ­Stimmen zu Wort kommen, ohne sie zu bevormunden, und stellen ihr ­eigenes enormes Talent in den Dienst ihrer Protagonisten. An diese Radikalität reicht Rock-Rebellentum im Traum nicht heran.

Sven Kacirek & Daniel Mburu Muhuni: Economic Partnership Agreement (Pingipung)