FDP, AfD und CDU sind die Verlierer der Hamburger Bürgerschaftswahl

Die letzte Liberale

Der Flirt mit dem Rechtspopulismus hat die Hamburger FDP den Wiedereinzug in die Bürgerschaft gekostet. Die AfD beklagt sich ­angesichts ihrer Verluste über eine vermeintliche Kampagne gegen sie.

»Wir sind in den vergangenen Wochen mehrfach in Orkane geraten, die nicht mehr zu bewältigen waren«, sagte der Spitzenkandidat Marcus Weinberg am Sonntag auf der Wahlparty der CDU Hamburg. Das habe den »kleinen Kutter« CDU »tief, tief, tief, tief beschädigt«. Weinberg wird nicht im künftigen Hamburger Parlament sitzen. Die CDU hat ihr bisher schlechtestes Ergebnis in Hamburg noch einmal unterboten: Bei der Bürgerschaftswahl 2015 hatte sie 15,9 Prozent der Stimmen erhalten, am Sonntag waren es nur noch 11,2 Prozent.

Nicht nur Weinberg bemühte Wetter­phänomene. Auch auf der Wahlparty der FDP war von Orkanen, Stürmen und hartem Gegenwind die Rede, in die die Liberalen nach der Wahl ihres Partei­kollegen Thomas Kemmerich zum ­Ministerpräsidenten in Thüringen geraten seien. Die Spitzenkandidatin der FDP, Anna-Elisabeth von Treuenfels-Frowein, hatte zwar bereits am Abend des Thüringer Wahltags betont: »Kemmerich hätte diese Wahl nicht annehmen dürfen.« Doch in derselben Erklärung hatte sie auch hervorge­hoben, Kemmerich habe mit seiner Kandidatur »als einziger Vertreter der bürgerlichen und staatstragenden Parteien Verantwortung gezeigt« und sei »gegen zwei Kandidaten der extremen Ränder angetreten«. Für Kritik hatte von Treuenfels-Frowein kein Verständnis gezeigt: »Dass meine Partei in die rechte Ecke gestellt wird, ist für mich unerträglich.«

Kapitalfreundlich und technokratisch soll es in der »Zukunftsstadt« mit der selbsternannten »Hamburg-Partei« vorangehen, regieren will die SPD »mit soliden Finanzen«.

Ihr gelang es, sich ein Direktmandat in ihrem Wahlkreis Blankenese zu sichern. Die FDP wird allerdings mit nur 4,9 Prozent der Stimmen nicht mehr als Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft vertreten sein.

Treuenfels-Frowein war in der abgelaufenen Legislaturperiode Co-Fraktionsvorsitzende in der Hamburger Bürgerschaft. Als solche war sie der AfD voriges Jahr im Streit um Antifa-Aufkleber an der Ida-Ehre-Schule zur Seite gesprungen. Dass die AfD auch mit Unterstützung des Hamburger Abendblatts die Schulaufsicht des Bildungs­senators Ties Rabe (SPD) dazu drängen konnte, die Aufkleber zu entfernen, hatte die rechtsextreme Partei als Erfolg verbucht. Alle anderen Fraktionen der Bürgerschaft hatten die Schule unterstützt.

Die Fraktion der Hamburger Grünen veröffentlichte im Februar eine ent­larvende Graphik: 251 Anträge hatte die AfD zu dem Zeitpunkt in die Ham­burger Bürgerschaft eingebracht. SPD, Grüne und Linke hatten gegen alle ­gestimmt, die CDU hatte sich 13 Mal enthalten und die übrigen abgelehnt. Die FDP-Fraktion hatte 43 AfD-Anträgen zugestimmt und sich bei 43 weiteren enthalten.

Den Platz, den CDU und FDP andernorts innehaben – Parteien der Hono­ratioren, der Schützenvereine und der Kapitalverbände –, besetzt in Hamburg traditionell die SPD. Ihr Stimmenanteil verringerte sich zwar von 45,6 auf 39,2 Prozent, sie ist aber weiterhin die stärkste Partei. Der alte und vermutlich auch neue Erste Bürgermeister Peter Tschentscher galt zu Beginn seiner Amtszeit 2018 gewissermaßen als Klon seines Vorgängers Olaf Scholz. Was beide eint, ist das autoritäre Auftreten, die normative Sprache und die Verortung am rechten Rand der Sozial­demokratie. Kapitalfreundlich und technokratisch soll es in der »Zukunftsstadt« mit der selbsternannten »Hamburg-Partei« vorangehen, regieren will diese ihrem Programm zufolge »mit soliden Finanzen« – so wie der ehemalige Erste Bürgermeister Scholz als Bundesfinanzminister eisern an der »schwarzen Null« festhält.

Während Scholz jedoch 2015 noch überheblich vom »grünen Anbau am Rathaus« sprechen konnte, muss sich Tschentscher offener zeigen für die Anliegen der Grünen. Diese konnten ihren Stimmenanteil fast verdoppeln, von 12,3 auf 24,2 Prozent. Die SPD muss sich wohl keine allzu großen Sorgen machen, dass die Grünen nicht wie bisher ihre Regierungspolitik mittragen werden, aber einige symbolische Wohltaten mehr für die grüne Klientel müssen schon drin sein. Ob der neue Koalitionsvertrag eine ökologischere, stärker grundrechteorientierte oder gar sozialere Politik beinhalten wird, dürfte die größer gewordene Fraktion der Partei »Die Linke« genau beobachten; sie legte von 8,5 auf 9,1 Prozent der Stimmen zu.

Die AfD hat es entgegen den ersten Prognosen knapp in die Bürgerschaft geschafft. 2015 hatte sie noch 6,1 Prozent der Stimmen erhalten, dieses Mal ­waren es nur noch 5,3 Prozent. Das ist auch der von 56,5 auf 63,3 Prozent gestiegene Wahlbeteiligung geschuldet. Die AfD kann offenbar nur schwer verarbeiten, dass sie nicht automatisch von Wahl zu Wahl mehr Stimmen erhält. Bei ihrem Spitzenpersonal lagen die Nerven am Wahlabend blank. »So, dann sind wir mal gespannt (auch auf die Wahlfälschungen?) – und immer daran denken: Was sind schon so’n paar Hamburger gegen viele Millionen Thüringer, Sachsen und Brandenburger«, twitterte der AfD-Bundestags­abgeordnete Stephan Brandner nach den ersten Prognosen, in denen die AfD unterhalb fünf Prozent lag.

»Das ist das Ergebnis einer maximalen Ausgrenzungskampagne«, sagte der AfD-Spitzenkandidat Dirk Nockemann im NDR-Wahlstudio. »Die Kam­pagne bestand darin, dass in schamloser Art und Weise immer so getan worden ist, als hätte die gesamte AfD in Hanau den Finger am Abzug gehabt.« Seine Partei sei in die Nähe eines »irrsinnigen Attentäters« gerückt worden, dem sie angeblich durch Formulierungen »Munition geliefert« habe. »Etwas so Wirres, etwas so Verdrehtes und Schändliches uns gegenüber habe ich noch in gar keinem Wahlkampf wahrgenommen«, klagte Nockemann. So mühte sich der Politiker darum, seine Partei zu einem indirekten Opfer des Anschlags zu erklären.

Mit Stimmenverlusten hat Nockemann bereits Erfahrung. Er war von ­August 2003 bis März 2004 Innensenator unter dem Ersten Bürgermeister Ole von Beust (CDU). Seine rechtspopulistische »Partei Rechtsstaatliche Offensive« scheiterte mit ihm als Spitzenkandidat 2004 am Wiedereinzug in die Bürgerschaft. Die Kleinpartei war innerhalb von zweieinhalb Jahren von 19,4 auf 3,1 Prozent der Stimmen abgestürzt.