Der Vorsitzende der Brexit Party, ­Nigel Farage, macht mit latent antisemitischen ­Äußerungen auf sich aufmerksam

Ein Brexiter auf Globalistenjagd

Der Vorsitzende der britischen Brexit Party, Nigel Farage, macht mit latent antisemitischen Äußerungen auf sich aufmerksam.

Dass Antisemitismus sowohl von rechts wie von links ein Problem ist, zeigt sich manchmal an einem einzigen Tag. Am 28. Juni schrieb der offiziell verifizierte Account von »Black Lives Matter UK« (BLM) auf Twitter: »Während Israel die Annexion des Westjordanlands vorantreibt und der britischen Mainstream-Politik das Recht auf Kritik am Zionismus und den kolonialen Bestrebungen der israelischen Siedler genommen wird, stehen wir laut und deutlich neben unseren palästinensischen Kameraden.« Der Tweet brachte es auf 27 000 Retweets und 48 000 Likes. Jedoch distanzierte sich auch eine Vielzahl von Sympathisanten vom britischen BLM-Ableger.

Am selben Tag erging sich Nigel Farage, der Vorsitzende der Brexit Party, in öffentlichen Äußerungen über die Macht von »Globalisten« und den Investor George Soros. Seine Einlassungen wurden ebenfalls heftig für ihre antisemitischen Konnotationen kritisiert. Eine große Überraschung können Farages Äußerungen allerdings nicht gewesen sein. Er ist regelmäßig in rechten Medien zu Gast und zeigt dort kaum Berührungsängste mit Verschwörungstheoretikern, die eindeutig Judenhass schüren.

Erst im Dezember 2019 wurde der breiteren britischen Öffentlichkeit bekannt, dass Farage zwischen 2011 und 2016 mindestens sechsmal in der Radioshow des US-amerikanischen Pastors, Alt-Right-Anhängers und Verschwörungstheoretikers Rick Wiles aufgetreten war. Wiles, ein ehemaliger Marketingmanager, verbreitet über seine Website Trunews, die früher Christian News Channel hieß, seit rund 20 Jahren antisemitische und rassistische Hetze. Zu seinen neueren Verschwörungstheorien gehört, dass das Impeachment-Verfahren gegen den US-Präsidenten Donald Trump ein versuchter »Staatsstreich von Juden« gewesen sei. Zuvor hatte er unter anderem behauptet, der Terroranschlag in Las Vegas 2017 sei »von Regierungstruppen des schwullesbischen Nazi-Regimes« begangen worden und die »jüdische Mafia« habe John F. Kennedy ermordet. Es seien »nicht die Muslime, die uns töten, es sind die Juden«, hatte Wiles in einem Video auf seinem mittlerweile dauerhaft gesperrten Youtube-Kanal gesagt; Jesus sei von »den Juden« umgebracht worden, damit diese ungestört ihr zionistisches Weltreich errichten könnten.

Farage teilt Wiles’ Ansichten sicher nicht im Detail, aber auch er sieht die Welt und besonders Europa von finsteren »Eliten« bedroht, wie er 2011 in einem Interview mit dem von Trump mehrmals bei Twitter zitierten Wiles sagte: »Wir haben es in Europa heute wirklich mit etwas Schrecklichem zu tun.« Von Juden spricht Farage nicht, sondern von den Bilderbergern und anderen, die »eine moderne Form des Kommunismus« verkörperten. Wiles‘ Anhänger interpretierten das vermutlich mehrheitlich als Verweis auf jüdische Machenschaften, denn geübte Verschwörungstheoretiker wissen, dass die Juden, der Kommunismus, der Satan, der ehemalige US-Präsident Barack Obama und so weiter im Prinzip eins sind, nämlich das Böse, das sie ausrotten oder versklaven will.

An 28. Juni wurde Farage dann deutlicher. In einem Video auf Twitter warnte er vor dem »Kulturmarxismus«, der Großbritannien bedrohe – den Ausdruck hatte unter anderem der norwegische Terrorist Anders Breivik in seinem Manifest verwendet. Außerdem behauptete Farage, Unternehmen, die nicht länger Werbung in rechten Fernsehsendungen schalteten, seien dem Druck von »Soros-finanzierten Organisationen« ausgesetzt gewesen. Soros gehört zu den wichtigsten Hassfiguren der internationalen Rechten, und auch Farage beschäftigt er sehr. Kurz vor seinem Video-Statement hatte Farage bereits in einem Interview mit dem rechten Nachrichtenportal Breitbart News über Soros’ angeblichen Einfluss lamentiert.
In einem Kommentar für das Magazin Newsweek schrieb Farage Ende Juni unter der Überschrift »Antwortet auf das Coronavirus mit mehr Nationalismus« über »die nicht gewählten Globalisten«, namentlich die US-amerikanische Investmentbank Goldman Sachs, die in das öffentliche Leben »aufgrund geheimer Empfehlungen der großen Banken« eingriffen. In einem Interview in der gleichen Ausgabe bezeichnete er BLM als »radikale Sozialisten«, die den Nationalismus zu zerstören versuchten und von Globalisten finanziert würden.

Jüdische Organisationen protestierten umgehend gegen die latent antisemitischen Äußerungen Farages. Andrew Percy, Abgeordneter der Tories und der Vorsitzende der parlamentarischen Arbeitsgruppe gegen Antisemitismus, warnte, Farages Tendenz, »alles so zu simplifizieren, dass eine große Verschwörungstheorie herauskommt«, sei gefährlich, denn er bediene damit »rassistische und antisemitische Klischees«.

Farage wird gleichwohl weiter versuchen, mit populistischem Verschwörungsgeraune auf sich aufmerksam zu machen. Der Mann braucht derzeit offenkundig Eigenwerbung: Anfang Juni verlor er seine wöchentliche Talkshow beim Radiosender LBC, nachdem Mitarbeiter sich immer öfter über die sihm gegründeten Brexit Party fehlt es außerdem, solange der britische EU-Austritt nach Plan verläuft, an einer Arbeitsgrundlage.