Der antisemitische Anschlag von 1972 und die Rolle der DDR

Sprachliche Dehnung der Wahrheit

Am 5. September jährt sich der antisemitische Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft im Jahr 1972 zum 48. Mal. Die Rolle der DDR ist weitgehend in Vergessenheit geraten.

Es sollten »heitere Spiele« werden. Nach den nationalsozialistischen »Propagandafestspielen« des Jahres 1936 wollte die sozialliberale Koali­tion unter dem hochmodernen Acrylglasdach des Münchner Olympia­stadions der Welt das moderne, demokratische und unbeschwerte Deutschland präsentieren. Doch die Olym­pischen Spiele 1972 sollten wegen des Terroranschlags auf die israelische Mannschaft in die Geschichte eingehen.

In den frühen Morgenstunden des 5. September 1972 überwanden acht palästinensische Terroristen den Zaun des Olympischen Dorfs, verschafften sich unbemerkt von den Wachleuten Zugang zur Unterkunft der israelischen Sportler und nahmen elf ­Geiseln. Sie töteten dabei den Gewichtheber Josef Romano und den Trainer der Ringer, Mosche Weinberg.

Die DDR-Mannschaft blieb der Gedenkfeier für die Ermordeten fern, da die Bundesrepublik sie organisiert hatte.

Die Terroristen der Organisation »Schwarzer September« verlangten die Freilassung von 232 Palästinensern aus israelischen Gefängnissen sowie der deutschen RAF-Terroristen Andreas Baader und Ulrike Meinhof. Gegen acht Uhr morgens hatte sich, wie der Politikwissenschaftler Matthias Dahlke in seinem Buch »Der Anschlag auf Olympia ’72« beschreibt, ein Krisenstab um den Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und den Präsidenten des Nationalen Olympischen Komitees, Willi Daume, gebildet. Nachdem mehrere Verhandlungsversuche mit dem Anführer der Terroristen, der sich selbst Issa nannte, gescheitert und entsprechende Ultimaten abgelaufen waren, bekräftigen die Terroristen, dass es ihnen weder um Lösegeld oder Geiseln gehe, sondern um die Gefangenen.

Im weiteren Verlauf verlangten die Terroristen einen Flug vom Militärflughafen Fürstenfeldbruck nach Kairo. Auf dem Flughafengelände in Fürstenfeldbruck eröffneten als Scharfschützen auf dem Dach und dem Flugfeld positionierte Streifenbeamte, die weder über die adäquate Bewaffnung verfügten noch unter­einander Funkkontakt hatten, das Feuer. Der Befreiungsversuch wurde zum Fiasko: Alle Geiseln sowie ein den Einsatz lediglich beobachtender Polizist wurden getötet. Drei der acht palästinensischen Terroristen überlebten. Ein israelischer Sicherheitsexperte attestierte der deutschen Polizei »dilettantisches Vorgehen«. Während der gesamten Dauer der Geiselnahme hatten die deutschen Behörden jegliche Hilfe aus Israel abgelehnt, obwohl bekannt war, dass israelischen Spezialeinheiten große Erfahrung mit Geiselnahmen hatten, und obwohl es damals noch keine geeignete deutsche Antiterroreinheit gab.

Die Ereignisse nach dem Attentat waren ebenfalls skandalös. Nach kurzer Unterbrechung gingen die Spiele weiter, als wäre nichts geschehen. Während die Leichen der fünf getöteten Geiselnehmer in den Libanon überführt wurden und ein pompöses Begräbnis erhielten, wurden die drei überlebenden Geiselnehmer mit einer dubiosen Flugzeugentführung freigepresst. Einer von ihnen, Abu Daoud, wurde später in einem Krankenhaus in der DDR behandelt. Deutsche Neonazis, die mutmaßlich bei der Vorbereitung des Anschlags halfen, blieben von der Justiz unbehelligt. Die DDR-Mannschaft blieb der Gedenkfeier für die Ermordeten fern, da die Bundes­republik sie organisiert hatte.

»Heitere Spiele« hätten es auch für die DDR werden sollen, denn sie durfte zum ersten Mal mit einer eigenen Mannschaft antreten. Das Verhältnis zur Bundesrepublik hatte sich seit 1969 mit der Bildung der sozial­liberalen Koalition aus SPD und FDP unter Bundeskanzler Willy Brandt deutlich entspannt. Die DDR hoffte auf weitere diplomatische Anerkennung und darauf, sich international als das antifaschistische »bessere Deutschland« präsentieren zu können. Als »Diplomaten im Trainings­anzug« ließ die Führung der DDR ihre Sportler durch das Ministerium für Staatssicherheit schützen und überwachen. Dessen Aufgabe war es, ­Doping zu vertuschen, »Republikfluchten« zu verhindern und auf die Außenwirkung der DDR zu achten.

Die Selbstdarstellung der DDR wurde jedoch durch den Angriff des Schwarzen September empfindlich gestört, hatte der Staat sich doch zuvor mit der »Sache der Palästinenser« deutlich solidarisiert. So schickte sich die DDR an, alles zu tun, um nicht mit dem Massaker in Verbindung gebracht zu werden. Staats­führung und -medien verurteilten den Terror der Palästinenser zunächst scharf, allerdings mit einer denkwürdigen Begründung. Der Historiker Jeffrey Herf verweist in seinem Buch »Unerklärte Kriege ­gegen Israel« auf eine Radiosendung, in der es hieß, der Schwarze September habe ein »Verbrechen gegen die Olympischen Spiele« verübt und damit der palästinensischen Sache geschadet. Diese Darstellung ­ignoriert nicht nur, dass sich der Anschlag gegen den Staat der Shoah-Überlebenden richtete, sondern auch, dass die Opfer israelische Juden ­waren. Die sprachliche Dehnung der Wahrheit ermöglichte es, an der Staatsdoktrin des Antizionismus festzuhalten, ohne den inhärenten ­Antisemitismus zu reflektieren.

Während die Terroristen namentlich genannt wurden, findet sich in keinem DDR-Medium ein Hinweis auf die Identität der Opfer. Damit folgte man einem ständig wieder­kehrenden Schema der Berichterstattung: Ermordeten arabische Terroristen Israelis, wurde dies entweder verschwiegen oder beschönigend als »Widerstand« bezeichnet. Israels Selbstverteidigung wurde dagegen als illegitime Aggression dargestellt. So wurde der palästinensische Terror als Befreiungskampf im Sinne der antiimperialistischen Ideologie gerechtfertigt. Dass die DDR das Mas­saker überhaupt verurteilte, stellt so gesehen eine einmalige Ausnahme in der Geschichte dieses Staates dar.

Die Unterstützung für Yassir Arafat, den Vorsitzenden der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), und andere Terrorpaten ging allerdings weit über diesen ideologischen Beistand hinaus. Die DDR hatte Jeffrey Herf zufolge bereits 1968 diplomatische Beziehungen zur PLO aufgebaut, um ihr Ansehen in der arabischen Welt zu stärken. Innerhalb ­weniger Jahre erhielt die PLO mehrere Millionen Mark Zuwendungen aus der DDR. Verletzte PLO-Kämpfer wurden auf Kosten der DDR eingeflogen, um in ostdeutschen Krankenhäusern behandelt zu werden. Ein geheimer Teil von Arafats Fatah, seit 1968 dominante Kraft in der PLO, war wiederum der Schwarze September. Arafat müsste somit von den Anschlags­plänen der Gruppe gewusst haben, auch wenn er dies immer wieder ­bestritt. Zeugen bestätigen mittlerweile, dass Abu Daoud, der Draht­zieher hinter dem Massaker von München, zuvor Arafats Zustimmung eingeholt hatte. Die SED-Funktionäre hatten also den Terror finanziert, den sie öffentlich verurteilten. Auch der Anschlag von München änderte nichts an der Terrorunterstützung der DDR. Bereits ein Jahr später, 1973, verpflichtete sich das Land, mehrere Tausend Handfeuerwaffen und 500 Sprengsätze an die PLO zu ­liefern.

Waffenlieferungen und großzügige Spenden wie die der DDR hatten es der PLO erst ermöglicht, ein internationales Terrornetzwerk aufzubauen und Anschläge in Europa zu planen. Dass die DDR den Terror sogenannter palästinensischer Freiheitskämpfer während der Olympischen Spiele 1972 ausnahmsweise nicht herunterspielte oder gar heroisierte, sondern als das bezeichnete, was er war, ist vor allem zwei Umständen geschuldet. Zum einen sollten die verbesserten Beziehungen zur Bundesrepublik, die damit einhergehende wachsende ­internationale Anerkennung und deren wirtschaftliche Vorteile auf ­keinen Fall gefährdet werden. Zum anderen wurden die Taten vor den Augen der Weltöffentlichkeit begangen, das Attentat vom 5. September 1972 gilt als erster live im Fernsehen übertragener Anschlag. Dies machte eine Verharmlosung der mörderischen Gewalt unmöglich. Jeder Versuch, das Massaker zu ignorieren oder gar zu verteidigen, hätte das Bild vom friedliebenden sozialistischen Staat beschädigt, das die Führung vermitteln wollte.