Die Ausstellung »Fotografische Arbeit« von Heinz Peter Knes

Die Arbeit des Fotografen

Der Fotograf Heinz Peter Knes reflektiert in seiner neuen Ausstellung über die Arbeit anderer ebenso wie auf seine eigene.

Die Fotografie rechnet, historisch gesehen, noch nicht allzu lang zu den anerkannten Künsten. Das Angewandte und das Handwerkliche haften ihr immer noch an. Das entbehrt nicht einer gewissen Komik, ist doch heute – frei nach Beuys – jeder ein Fotograf. Nicht einmal mehr die Produktionsmittel sind exklusiv. Rauschunterdrückung, Weichzeichner, Bildstabilisator, alles ist heute in den kleinen Handykameras inte­griert. Das Bild entsteht nicht mehr in abgedunkelten Laboren mit Hilfe von Chemikalien, sondern irgendwo in der nahezu immateriellen Sphäre des Chips, ist ein Resultat der Datenverarbeitung. Die Fotografie wurde durch die Demokratisierung ihrer Herstellungsverfahren in den vergangenen Jahren nicht eben aufgewertet.

Die »fotografische Arbeit«, die Knes in seiner ersten institutionellen Einzelausstellung in Deutschland zeigt, ist im Gegensatz zu seinen früheren Arbeiten überraschend spröde.

Und dann betitelt da einer – Heinz Peter Knes – seine neue Ausstellung im Künstlerhaus Bremen ausgerechnet mit »Fotografische Arbeit«. Da stellt man sich Andreas Gursky vor, der mit schwerem Gerät anrückt: Hebebühnen, Drohnen, großen Objektiven. Doch so arbeitet der 1969 geborene Knes nicht. Bekannt wurde er Mitte der neunziger Jahre – »Kids« lief gerade in den Kinos – mit Bildern von Jugendlichen. Manche scheinen unbemerkt fotografiert worden zu sein (»Boy Downtown«), andere schauen provozierend in die Kamera (»Eva, Lederarmband«). Alle sind sie jung, sehr jung, manche erst an der Schwelle zur Pubertät. Ihre Blicke aber sagen, dass sie durchaus wissen, was da noch auf sie zukommt, die erste Liebe, der erste Sex. Die Blicke und ­Posen der Jugendlichen, gepaart mit der piefigen westdeutschen Um­gebung, in der sie aufgenommen wurden, ergeben gemeinsam eine anrührende und doch gespannte Stimmung. Gefährlich können die ­Bilder dem werden, der sie beim Betrachten womöglich etwas zu sexy findet.

Die »fotografische Arbeit«, die Knes in seiner ersten institutionellen Einzelausstellung in Deutschland zeigt, ist im Gegensatz zu seinen früheren Arbeiten überraschend spröde. Die Ausstellung besteht aus vier Teilen, die sich beim Betrachten nicht gleich erschließen, dann Sinn ergeben und daraufhin etwas langweilen, kurz: nach Entschlüsselung streben.

Hinter einem roten Vorhang abgetrennt vom Rest des Ausstellungsraums läuft groß projiziert »Ein Riemenschneiderfilm« (2019). In statischen Kamerabildern, unterlegt mit sphärischem Sound, werden wurmstichige Holzfiguren gezeigt. Tilman Riemenschneider hat sie angefertigt, oder genauer: sie wurden in Riemenschneiders Werkstatt hergestellt. Riemenschneider war ein Holzbildhauer in der Phase zwischen Spät­gotik und Renaissance. Er war aber auch von 1521 bis 1524 Bürgermeister von Würzburg und zog auf Seiten der Bauern in den Krieg zu Beginn der Reformation. Er wurde gefangen genommen, was auch seine künst­lerische Karriere beendete. Typisch für seine Zeit, hatte er zuvor im Auftrag des Würzburger Bischofs gearbeitet. Die Vorgaben für Form und ­Inhalt waren also eng gesetzt. Seine Figuren hingegen zeichnen sich durch eine Ausdrucksstärke aus, die den bischöflichen Auftrag künstlerisch unterläuft. Was als Holzstatue einer Madonna verkauft wurde, ­erinnert eher an eine sorgenvolle Bäuerin. Mit diesen Figuren konnte und sollte man sich die einfache Plebs identifizieren. In Knes’ Fotografien sind immer wieder Betrachter ins Bild gesetzt, die sich von gelehrten Kunsthistorikerinnen die Schnitzereien erklären lassen und über so viel Könnerschaft staunen. Langsam umschmeichelt die Kamera im Film die Stücke, seziert die Gestik und Mimik der Figuren, zeigt die Wunden, die die Zeit in sie geschlagen hat, vor allem aber spürt sie den Händen nach, die aus dem Holz erst die Figuren machte.

Wieder im hellen, luftigen Raum sieht man eine kleinere Projektion. »Hannah Arendt’s Library« heißt diese Arbeit, die zuerst 2012 als Fotobuch veröffentlicht wurde. Sie versammelt Aufnahmen von Zetteln und Notizen, die postum aus den Büchern, mit denen Arendt arbeitete, herausgenommen und archiviert wurden. Eine Stimme verliest dazu die Autoren und Titel der Bücher: Kant, Hegel, Heidegger, Rousseau. Der gedankliche Kosmos Arendts wird sichtbar, der den ganzen Raum prägt. Die großen Namen der Aufklärung und der westlichen Theoriegeschichte begleiten akustisch das Betrachten der anderen Arbeiten im Raum.

So hat man also diese Namen im Kopf, wenn man sich die auch als Buch konzipierte Arbeit »Der weltrevolutionäre Prozess seit Karl Marx und Friedrich Engels bis in die Gegenwart« von 2020 anschaut. Auf einer Stellwand ist eine Fotografie des Berliner Marx-Engels-Forums angebracht. Die Aufnahme zeigt auch die vier silbernen Stelen, die 1989 vom Fotografen Arno Fischer und Filmemacher Peter Voigt installiert wurden. Eine nüchterne Beschreibung der nur leidlich erkennbaren Arbeit ist daneben zu lesen: »Die Stelen sind, jeweils in Zweiergruppen angeordnet und auf der Vorder- und Hinterseite mit Bildern versehen, Teil des Marx-Engels-Forums in Berlin. Die 144 von Fischer und Voigt aus­gewählten Fotografien schildern den Weg der Arbeiterklasse in die Zukunft, erzählen von der Ausbeutung, vom Widerstand gegen sie und von den konkreten Kämpfen der Arbeiter. Sie zeigen aber auch den gesellschaftlichen Alltag nicht nur im zu überwindenden Kapitalismus, sondern auch im real existierenden Sozialismus.« Knes hat die Anordnung der Fotos darunter auf kleinen Blättern als Schema dargestellt, statt Fotos sieht man schwarze Kästen, die, nebeneinander gehängt, ein Lochstreifenmuster ergeben, einen Code, der, übersetzt in Sprache, ein Zitat von Friedrich Engels ist: »Es kommt darauf an, zu erreichen, dass die Arbeiterklasse als Klasse handelt.« Knes löst das Rätsel der scheinbar zufälligen Anordnung der Bilder, indem er sie wiederum in eine abstrakte Form bringt. Für das gleichnamige Buch hat er jedes der Fotos auf den Stelen abfotografiert, denen die Witterung bereits zugesetzt hat.

Die Bilderserie »Prozess« von 2020 wirkt daneben alltäglich und viel weniger theoriegeladen. Knes hat 54 kleinformatige Fotografien ohne Rahmen an einer langen Wand angeordnet. Der Zusammenhang zwischen den Bildern und ihre Anordnung erscheint zunächst zufällig. Ist es eine Art Tagebuch, Schnappschüsse aus dem Alltag? Handelt es sich erneut um ein Lochstreifenmuster? Der Titel scheint hier der Schlüssel zu sein. Kreisten die drei anderen Werke in der Ausstellung jeweils um die ­Arbeit von anderen, macht dieses nun die Arbeit des Künstlers selbst zum Thema. Eine Aufnahme zeigt beispielsweise das Mikrophon, in das der Text für die Arendt-Arbeit eingesprochen wurde, ein anderes das Grabmal eines am HI-Virus verstorbenen, von Knes geschätzten Fotografen, das nächste eine telefonierende Kollegin oder ein improvisiertes Fotostudio mit Blitzlicht. Diese Bilder handeln ganz praktisch von der Arbeit des Künstlers.

Das fotografische Bild hat durch seine Omnipräsenz an Wirkkraft und Relevanz eingebüßt. Kraftvoll wirkt in der künstlerischen Fotografie heutzutage möglicherweise nicht mehr das perfekte Einzelbild, sondern es kommt auf die Konzeption der Bilderreihe und ihre Kontextua­lisierung an, es geht um Assoziationen und Nuancen, darum, allen möglichen Formen der Fotografie nachzuspüren, die Möglichkeiten und Grenzen zu reflektieren, darum, über das Sehen nachzudenken. Heinz Peter Knes beschäftigt sich genau damit, er leistet Arbeit am ­Begriff – mit Bildern.

Die Ausstellung »Fotografische Arbeit« von Heinz Peter Knes läuft noch bis zum 22. November im Künstlerhaus Bremen.