Verfolgt durch den Männerstaat
Allein einen Begriff wie »Männerstaat« positiv zu benutzen, lässt auf ein frauenfeindliches Weltbild schließen. Die russische Gruppierung dieses Namens bestätigt denn auch alle Befürchtungen. Ihr Gründer Wladislaw Posdnjakow formulierte 2016, dem Gründungsjahr von »Männerstaat«, Grundsätze, die ein von Männlichkeitswahn und Sexualneid geprägtes rechtsextremes Weltbild offenlegen: Er strebt die Errichtung eines »Nationalpatriarchats« an, das nicht nur Frauen zu gefügigen Wesen deklassieren, sondern auch die Vorherrschaft der »weißen Rasse« sichern soll.
In den vergangenen fünf Jahren initiierte »Männerstaat« eine Vielzahl an Hetzkampagnen gegen LGBT-Rechtlerinnen, Feministinnen, Journalistinnen und bestimmte Restaurantketten. Eine Moderatorin des oppositionellen Internetsenders TV Rain, Anna Mongait, interviewte im Sommer ein gleichgeschlechtliches Paar, das sich für ein Titelblatt der Glamour-Zeitschrift Elle hatte ablichten lassen. Prompt erschien ein Aufruf von »Männerstaat«, Grüße an Mongait auszurichten. Die fanatische Anhängerschaft weiß, was dann zu tun ist: Es werden Privatadressen offengelegt, die Betroffenen und teilweise auch deren Freunde und Familien erhalten unzählige Drohungen voller Gewaltphantasien – Säureattacken werden darin ebenso wie Vergewaltigungen und Mordanschläge angekündigt.
»Die wichtigste Einschränkung ist, dass wir alle unsere Publikationen überall mit der Markierung ›ausländischer Agent‹ versehen müssen.« LGBT Network
Im August veröffentlichte die in Dutzenden russischen Städten vertretene Sushi-Kette Jobidojobi Werbefotos, die drei junge hellhäutige Frauen zeigen, die um einen dunkelhäutigen Mann mit einem Teller Sushi ringen. Posdnjakow rief dazu auf, falsche Bestellungen bei Jobidojobi aufzugeben. Als einer der Besitzer Todesdrohungen erhielt, löschte das Unternehmen das Foto und entschuldigte sich bei der »russischen Nation«, die sich von den Fotos unangenehm berührt gefühlt habe. Tanuki, eine weitere Kette, die japanische Speisen verkauft, hatte sich zuvor durch die Verbreitung eines nach dem gleichen Schema – helle Frau, dunkler Mann – inszenierten Fotos mit Jobidojobi solidarisch erklärt und sich damit Bombendrohungen eingehandelt. Statt sich zu entschuldigen, forderte Tanuki den Internetunternehmer Pawel Durow, den Gründer des sozialen Netzwerks Vk.com (vorher Vkontakte.ru) und des Messenger-Diensts Telegram, auf, Posdnjakows Telegram-Kanal zu blockieren.
Im vergangenen Jahr schon blockierte Vk.com den Account von »Männerstaat« mit damals 160 000 Followern. Auf Telegram hatte Posdnjakows Kanal 99 000 Follower. Durow weigerte sich zunächst, ihn zu abzuschalten; erst nachdem »Männerstaat« Mitte Oktober gerichtlich als extremistisch eingestuft worden war, kam er der Forderung nach. Doch längst existieren weitere Kanäle, auf denen der rechtsextreme Männerbund seine Aktionen koordiniert. Posdnjakow setzte sich nach einer Verurteilung zu zwei Jahren auf Bewährung wegen Aufstachelung zum Hass bereits 2019 ins Ausland ab – er hatte eine Hetzkampagne gegen Frauen begonnen, die während der Fußball-WM in Russland mit Ausländern geflirtet hatten. Die Bewährungsstrafe wurde später ausgesetzt, weil der entsprechende Paragraph in der Zwischenzeit geändert und das darin vorgesehene Strafmaß abgemildert worden war.
Auch nach dem kürzlich erfolgten Verbot seiner Gruppe macht Posdnjakow ungehemmt weiter. Anfang voriger Woche traf es die in Moskau lebende Feministin Darja Serenko. Auf Facebook machte sie auf die in Russland gängige Praxis aufmerksam, Hinweise auf die nationale Zugehörigkeit immer nur dann publik zu machen, wenn Migranten – ob mit russischem Pass oder ohne – Straftaten begehen. Rhetorisch fragte sie: »Ein russischer Mann erschlug seine Lebensgefährtin. Menschen mit slawischer Nationalität verursachten eine Massenschlägerei nach einem Fußballspiel. Aus Sibirien Zugereiste besetzen ein Drittel der Arbeitsplätze auf Moskauer Baustellen. Sehen wir häufig solche Überschriften?«
»Männerstaat« reagierte mit voller Wucht. Noch am selben Tag begann Serenkos Telefon im Sekundentakt zu klingeln, es hagelte Drohungen, zu Dutzenden versuchten Unbekannte, bei unterschiedlichen Banken Kredite auf ihren Namen zu beantragen. Instagram löschte einen von Serenko verfassten Beitrag, in dem sie offenlegte, wer hinter den Attacken steht. Es war nicht die erste Attacke gegen sie, ähnliche gab bereits in der Vergangenheit von verschiedenen Gruppierungen, nicht nur von »Männerstaat«, und wieder gingen diffamierende Nachrichten auch an Arbeitergeber und Institutionen, denen Serenko verbunden war. »Sie vergiften den Raum um dich herum«, beschreibt sie die Folgen dieser Hetze. Aber all das sei immerhin noch kein Status als ausländische Agentin, kein Hausarrest, keine Gefängnisstrafe und keine erzwungene Emigration.
Als feministische Aktionskünstlerin hat auch Darja Apachontschitsch zu spüren bekommen, was es heißt, Adressatin von Morddrohungen zu sein. Doch auch staatliche Stellen maßregelten sie. Im Dezember 2020 wurde sie ins Register von Personen aufgenommen, die angeblich die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllen. »Meine Geschichte mit der Einstufung als ausländische Agentin ist vermutlich weniger traumatisch als Festnahmen auf der Straße«, resümiert sie im Gespräch mit der Jungle World, denn für ihre politischen Aktionen wurde sie auch schon festgenommen. »Ich wurde in einen Polizeitransporter verfrachtet. Daraufhin hat mich das Rote Kreuz entlassen«, erzählt sie. Bei der Hilfsorganisation unterrichtete Apachontschitsch Russisch als Fremdsprache für Migrantinnen und Migranten. Das Justizministerium hatte ihr Gehalt als ausländisches Einkommen gewertet, obwohl sie für die russische Sektion des Roten Kreuz tätig war.
Im Sommer 2020 wurde sie wegen einer feministischen Aktion verurteilt, das Urteil wurde später aber aufgehoben. Apachontschitsch hat Sankt Petersburg mittlerweile verlassen und mit ihrem fünfjährigen Sohn in Georgien Zuflucht gefunden. Trotzdem: Freiwillig wäre sie niemals gegangen. »Das Fass zum Überlaufen gebracht hat eine Hausdurchsuchung.« Diese erfolgte im Frühjahr dieses Jahres; als die Polizei danach ihre Ausweise zurückgab, lag der Reisepass oben, der Personalausweis unten; eine Geste.
Als »ausländische Agenten« werden immer mehr Personen und Organisationen gebrandmarkt: Offiziell registrierte Organisationen, nicht registrierte Gruppen, Medien, Einzelpersonen. Jede Woche werden Neuzugänge erfasst. In der ersten Novemberhälfte wurde auch das LGBT Network aufgenommen, das als informelle Dachorganisation für regionale Gruppen fungiert. Igor Kotschetkow, einer der Gründer und ein ehemaliger Vorsitzender des Netzwerks, blieb in seiner Reaktion auf Facebook gelassen. Das LGBT Network sei anders als Medien schließlich nicht von Werbeeinnahmen abhängig, und dem Staat habe an einer Zusammenarbeit ja ohnehin nie gelegen. Anlass, die Tätigkeit aufzugeben, sehe er nicht.
Trotzdem behindert der neue Status die Arbeit. »Die wichtigste Einschränkung ist, dass wir alle unsere Publikationen überall mit der Markierung ›ausländischer Agent‹ versehen müssen«, teilte das LGBT Network der Jungle World mit. Das Gesetz biete viel Auslegungsspielraum und damit auch Potential für weitere rechtliche Schritte. Kotschetkow wurde zudem wenige Tage später auch als Einzelperson ins entsprechende Register aufgenommen.
Etliche russische Organisationen arbeiten längst nicht mehr als eingetragene Vereine und haben sich unter dem Druck zur Selbstauflösung genötigt gesehen. Was passiert, wenn dies nicht freiwillig geschieht, führt der Staat jetzt eindrücklich am Beispiel von Memorial vor– der ältesten und einer der größten Nichtregierungsorganisationen Russlands. Fast gleichzeitig erhielten das Menschenrechtszentrum von Memorial und der Dachverband Memorial International Mitteilungen der jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften, dass diese die Auflösung der Organisationen beantragt hätten. Das Zentrum und der Dachverband hätten gegen das Agentengesetz verstoßen, lautete die lapidare Begründung. Das Menschenrechtszentrum stehe zudem unter Verdacht, Extremismus und Terrorismus zu befürworten. Dessen Vorsitzender Alexander Tscherkassow wirkte im Gespräch wenig überrascht: »Sie haben nach einer Methode gesucht, die Organisation abzuschaffen, und nun die simpelste gewählt.« Die Gerichtsverhandlungen sind noch für November anberaumt.