Der Dokumentarfilm über den Künstler Daniel Richter

Der Künstler als Berufsmaler

Der Dokumentarfilm »Daniel Richter« zeigt den Künstler bei der Arbeit an seinen Gemälden oder beim Plaudern und lässt nebenbei den Zuschauer an Richters subtilem Spiel mit der Künstlerfigur teilhaben.

Ob die Wahl des Mediums Film anachronistisch sei, werde sich zeigen. Mit dieser kecken Aussage leitet der Maler Daniel Richter die Filmdokumentation ein, die der Regisseur Pepe Danquart in den vergangenen Jahren über oder besser mit ihm gedreht hat. Danquart nimmt Richters Anmerkung prompt auf und zeigt Bilder der Feier anlässlich einer von Richters Vernissagen, bei der in einem mondän verspiegelten altmodischen Lokal Kunstliebhaber zu Swing und Jazz der dreißiger Jahre auf die Ausstellung anstoßen. Anachronismus scheint in Kunstkreisen in Ordnung zu sein.

Nicht nur was den subtilen Witz betrifft, haben sich hier zwei gefunden. Danquarts Filmographie wartet mit dem oscarprämierten Kurzfilm »Schwarzfahrer«, seiner Mafiakomödie »Basta – Rotwein oder Totsein«, seinem Drama »Lauf Junge lauf« über ein jüdisches Flüchtlingskind und seiner Beteiligung an Michael Glawoggers Monumentaldokumentation »Workingman’s Death« über körperliche Arbeit auf. Sein Werk ist so handwerklich gekonnt wie künstlerisch abwechslungsreich. Dabei haben Danquarts Dokumentarfilme zuletzt besser funktioniert als seine Spielfilme. Seine jüngste Doku »Vor mir der Süden« von 2020 handelte von Pier Paolo Pasolini und spannte den Bogen von den Gedanken des 1975 ermordeten Filmemachers zum heutigen Italien mit Schwerpunkt auf dem Thema Migration.

Während aus den Bildern erschöpfender Fleiß, ja sogar Monotonie spricht, erzählt Richter vom Kampf gegen die Routine und davon, wie ein Wechsel der Mittel oder Stile dabei helfen kann.

Auch Daniel Richter hat im Laufe der vergangenen Jahrzehnte handwerklich und inhaltlich abwechslungsreich gearbeitet. Anfangs waren es von ihm gemalte groteske Fratzen auf Alben der Punkband Angeschissen, später sein bekanntes Gemälde »Fuck the Police«, das 2006 das Cover des Albums »Lenin« von den Goldenen Zitronen zierte. Heutzutage ist seine Malerei weniger figürlich oder explizit. Seine Hausbesetzervergangenheit in Hamburg sieht man manchen Bildern noch an, auch wenn er mittlerweile ein getrübtes Verhältnis zur Linken hat: »Ich wäre auch heute gern noch linksradikal. Aber es ist so schwer geworden, das noch glaubwürdig zu sein«, sagte er der Welt.

In einem Interview für Vice brachte er 2013 das Problem mit deutschen Punks auf den Punkt: »Die waren eigentlich wie ihre Väter. Die haben ihre Hunde geschlagen, die haben rumgebrüllt. Die waren dumpfe, besoffene Horden von unangenehmen, dickeierigen, stumpfen Typen. Die waren wie eine Karikatur der Gesellschaft, gegen die sie waren.« Weil unter dem Begriff »Punk« aber viel mehr als das zusammenkam, konnte er sich mit der Szene identifizieren, ihrer DIY-Attitüde, den Hausbesetzungen, dem Gegenhalten bei Hippies, Nazis und Bullen.

Aber Pepe Danquart sucht in »Daniel Richter«, so der Titel des Films, nicht nach dem politischen Gehalt der Kunst seines Protagonisten. Danquart begleitet Richters Arbeit an einer Werkreihe in seinem Atelier. Er zeigt den Künstler, umflattert von seinen Papageien, als Berufsmaler, umringt von unfertigen Bildern, an denen er reihum malt. Die Bilder ähneln sich formal stark. Richter scheint sich an einem Motiv abzuarbeiten, Danquart beobachtet. Seine gestochen scharfen Aufnahmen lenken den Blick auf die tiefen Furchen, die sich in Richters Gesicht bilden, wenn er konzentriert malt, zeigen Details der Gemälde und auch lange die Gelenkschoner, die Richter trägt, um die überbeanspruchten Handknochen zu entlasten.

Während aus den Bildern erschöpfender Fleiß, ja sogar Monotonie spricht, erzählt Richter vom Kampf gegen die Routine und davon, wie ein Wechsel der Mittel oder Stile dabei helfen kann. Er plaudert übers Plattenshoppen, das mit viel Geld auf dem Konto viel entspannter geworden sei. Und er weiß trotz aller Leidenschaft für die Malerei deren Geschichte zu kritisieren, ebenso wie die Marotten des Kunstbetriebs. Richter spricht hellwach und präzise über alles, was Danquart vorgibt: Ästhetik, den Wert von Kunst, Gesellschaftskritik. Danquart baut Nähe auf, lässt den Zuschauer ins Atelier, indem er die Musik von Richters Platten mit aufnimmt, stellt er Unmittelbarkeit und Authentizität her.

Nicht nur erscheint ein Film über Richter, auch ein Bildband ist in Arbeit. Die Kunsthistorikerin Eva Meyer-Hermann lächelt, während sie Drucke für den im Mai erscheinenden Band »Daniel Richter – Bilder von früh bis heute« sortiert, den sie herausgibt. Dass das Spiel mit Autorschaft und der Künstlerfigur für die Generation der Neuen Wilden und ihre Nachfolger dazugehört, weiß Richter, aber er hält nichts davon, das so zu übertreiben wie beispielsweise der mit ihm befreundete Maler Jonathan Meese, der auch im Film auftaucht. Richter übt lieber subtil Kon­trolle darüber aus, wie seine Geschichte erzählt wird, spielt lieber mit ­Authentizität. Im Film sieht man ihn stoisch Leinwände grundieren.

Richters eigener Auskunft zufolge war es die relative Mittellosigkeit, die ihn dazu trieb, Kunst zu studieren. Er besuchte in Hamburg die Klasse von Werner Büttner, einem Autodidakten aus Berlin, der neben Martin Kippenberger und Albert Oehlen zu den populärsten der Neuen Wilden zählte. Der Witz, die Bildsprache mit ihren Bezügen zu Populärkultur und das Zynische dieser Truppe – damit konnte Richter etwas anfangen.

Büttner, Kippenberger und Co. knüpften beim US-amerikanischen abstrakten Expressionismus der Fünfziger an, dessen Fortschrittspessimismus sie ebenso ansprach wie dessen gesellschaftliche Ratlosigkeit. Die Neuen Wilden ließen sich dar­über hinaus von der Informel-Kunst inspirieren, quasi der europäischen Variante dieser amerikanischen Strömung. Ihr ganz eigener Witz, den sie ihren Arbeiten beimengten, trotzte dem polternden Antiamerikanismus eines Joseph Beuys.

Bei Daniel Richter tauchen all diese Einflüsse in der einen oder anderen Art wieder auf. Seine figürlichen, narrativen Bilder spielen mit nostalgischen, romantischen Elementen, die ins Extrem getrieben werden, zum Beispiel in der Serie, in der er Talibankämpfer und Cowboys in einem unheimlichen Kitsch zeigte: Männerhorden, die zurückgezogen in Berghöhlen leben und sich die Schauermärchen von entfesselter Lust erzählen, sich gegenseitig Feuer für die Zigarette geben und beim Anblick ­pinkelnder Frauen in Schockstarre fallen. Auch die überfüllten Schlauchboote auf dem Mittelmeer fanden als Motiv Eingang in seine Kunst. Das Politische ist implizit. Seine Bilder fallen außerdem durch Figuren auf, die aussehen, als würden sie durch Wärmebildkameras betrachtet: In grellem Rot, Gelb, Grün oder Violett sind seine Figuren gemalt. Phasenweise trat das Figürliche bei Richter ganz zurück und wich flimmernden oder wabernden Arrangements in ebenso grellen Farben.

Erst im letzten Drittel des Films löst der Regisseur auf, dass das Motiv, das Richter immer wieder abgewandelt malt, auf einem Paar versehrter deutscher Kriegsheimkehrer beruht, das Richter auf propagandistischen Feldpostkarten abgebildet fand. Das Figürliche kehrt also wieder in seine Malerei zurück. Er selbst erklärt, wie ihn das höchstpolitische Motiv persönlich umtreibt und er es gerade deshalb – schelmisch, wie er ist – in fröh­lichen Farben und modischer Gestalt für die Kunstwelt zum Verkauf aufbereitet. Richter muss seine politischen Ansichten nicht auf seinen Leinwänden ausbreiten, oder wie es der Sammler Harald Falckenberg im Film sinngemäß sagt: Richter hat kein Interesse daran, hat es auch nicht nötig, Documenta- oder Biennale-Kunst zu machen.

Pepe Danquart zeigt Daniel Richter als einen linken Intellektuellen alter Schule, der mit lässiger Attitüde und schlauem Humor zu unterhalten weiß und sein Werk im Kontext der Malerei selbst bewertet und bewertet wissen will. Dass er dabei nicht auf das schielt, was gerade angesagt ist, das ist im Kunstbetrieb von heute tatsächlich ein wohltuender Anachronismus.

Daniel Richter (D 2022). Buch und Regie: Pepe Danquart. Mit Daniel Richter, Jonathan Meese, Tal R, Harald Falckenberg, Hella Pohl, Jorg Grimm. Filmstart: 2. Februar