Lob der Mathematik

Abstrakte Schönheit

Laborbericht Von

»Mathe habe ich schon immer gehasst.« Selbst in bildungsbürgerlichen Kreisen erntet man mit diesem Satz zumeist emphatische Zustimmung – man stelle sich die Reaktionen vor, wenn man das Gleiche über das Lesen sagen würde. Die »Königin der Wissenschaften« hat offensichtlich ein Imageproblem, und hart­näckig halten sich Vorurteile, die Disziplin sei kompliziert oder man müsse eben ein Talent dafür haben.

Das dürfte weniger an der Mathematik selbst liegen, deren strikte Logik zumindest den Einstieg eigentlich leicht machen sollte (zugegeben: Später kann es etwas unübersichtlich werden, wenn man es beispielsweise mit partiellen Differentialgleichungen zu tun bekommt) als vielmehr an der Art des Unterrichts. Wer wenigstens in der Oberstufe mal in den intellektuellen Genuss eines selbst geführten Be­weises kommt, statt stur Aufgaben nach Schema F zu lösen, darf sich da schon glücklich schätzen.

Die Hälfte der schulpflichtigen Bevölkerung ist zudem noch immer mit Klischees konfrontiert, die nicht selten zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden. Die vergiftete Gratulation des Schulleiters zum mündlichen Mathe-Abitur – »13 Punkte, und das bei einem Mädchen!« – klingt der Autorin bis heute im Ohr.

Junge Frauen, schwarze zumal, die sich mit höherer Mathematik beschäftigen – das könnte für so manche in den USA zu woke sein.

Die allgemeine Mathemuffligkeit zieht sich bis ins Wissenschaftsfeuilleton der großen Medien. Dabei hat die Welt der Formeln nicht nur jede Menge ab­strakte Schönheit, sondern manchmal auch kleine Sensationen zu bieten: So gelang es offenbar jüngst zwei Schülerinnen einer High School in New Orleans, den Satz des Pythagoras mittels Trigonometrie zu ­beweisen. Die einzige Meldung im deutschsprachigen Raum dazu brachte das österreichische Portal Oe24 (und schrieb konsequent von »Schülern«, q. e. d.).

Wer sich auch nur bruchstückhaft an den Matheunterricht er­innert, weiß, dass es sowohl beim altbekannten a² + b² = c² als auch bei Sinus und Cosinus um Dreiecke geht. Letztlich basiert die Trigonometrie auf dem ollen Pythagoras, weshalb es bislang gängige Lehrmeinung war, dass der Versuch, das eine durch das andere zu beweisen, zu unzulässigen Zirkelschlüssen führen müsse.

Das wollten die Zwölftklässlerinnen Calcea Johnson und Ne’Kiya Jackson, ermuntert von engagierten Lehrerinnen, nicht als unumstößliche Wahrheit hinnehmen. Ob ihr Gegenbeweis wasserdicht ist, muss noch eine wissenschaftliche Begutachtung zeigen; immerhin fanden die Teilnehmenden einer Konferenz der American Mathematical Society, auf der die Teenager als einzige Nichtakademikerinnen ihre Arbeit vorstellten, schon mal keine Fehler.

Junge Frauen, schwarze zumal, die sich mit höherer Mathematik beschäftigen – das könnte für so manche in den USA zu woke sein. Ob der Satz des Pythagoras deshalb wohl demnächst in den republi­kanisch regierten Bundesstaaten von den Lehrplänen verbannt wird?