Einhörner an der Ostsee

Die Einhorn-Frage

Ein Gummitier, das erst Ärgernis ist und dann betrauert wird.
Kolumne Von

Samstags wird von der Ostsee abgereist. Zuvor wird die Luft aus dem runden aufblasbaren Einhorn-Gesamtkunstwerk (Durchmesser: mindestens ein Meter) abgelassen, mit dem namenlose, ungefähr fünfeinhalb Jahre alte Zwillinge Eltern, Strand und Ferienwohnungskomplex rund eine Woche lang terrorisiert hatten, weil es im Aufgang stand.

Das Ding selbst zu schleppen, war für die Kinder nämlich nicht in Frage gekommen, und zwar jeden Tag nicht, was allmorgendlich ab halb zehn zu ausgedehnten und nicht sehr leisen Diskussionen geführt hatte. Davon hätte man sich durchaus gestört fühlen können, andererseits bedeutete die Erörterung der Einhorn-Frage vor allem, dass das Dings nun erst einmal verschwinden würde.

An diesem Samstag liegt nur noch die traurige Einhornhülle im Weg, umringt von ebenfalls sehr traurigen Zwillingen.

Was gut war für alle, da es aus ungeklärten Gründen nicht in der Ferienwohnung der Familie wohnen durfte, sondern voll aufgeblasen im Weg stehen blieb. Wo es offenkundig regelmäßig misshandelt wurde, wenn man die Flüche der Spätheimkehrer richtig deutete. Warum das Einhorn nicht einfach jeden Tag mit einer praktischen Elektroluftpumpe neu aufgeblasen wurde, man weiß es nicht, mutmaßlich um Strom zu sparen, oder Luft, oder vielleicht auch einfach bloß, um die Nachbarn zu ärgern.

An diesem Samstag liegt aber nur noch die traurige Einhornhülle im Weg, umringt von ebenfalls sehr traurigen Zwillingen, denen immer wieder versichert wird, dass wirklich, auf jeden Fall für das Wohlergehen des Dings gesorgt ist, und selbstverständlich kann es beim nächsten Urlaub am Meer wieder benutzt werden, »würde ich dich anlügen, habe ich dich jemals angelogen?«

In Wirklichkeit ist das Einhorn natürlich tot, für alle Zeiten, denn selbst wenn es die kommenden Monate in der Garagenhaft überleben sollte, wird es nie wieder das Meer sehen. Weil es alt geworden ist und fleckig, den Glitzer verloren hat und komisch riecht, zum Beispiel, und natürlich vor allem, weil es in nur wenigen Monaten total aus der Mode gekommen sein wird. Das wissen die schwer erschütterten Zwillinge natürlich nicht, und so wird bis zur Abreise geweint und protestiert und gefleht. Durchaus herzzerreißend, aber nicht zu sehr.