In Frankreich gibt es heftige Auseinandersetzungen über den Umgang mit ­Wassermangel

Kampf ums kühle Nass

Die französische Regierung hat eine der größten Umweltbewegungen des Landes verboten, nachdem es bei Protesten gegen den Bau von Wasserspeichern zu Gewalt gekommen war. Der Umgang mit dem sich verschärfenden Wassermangel führt zu Konflikten.

Paris. In Deutschland ist für Vereinsverbote das Bundesinnenministerium zuständig, bei Vorliegen eines Parteienstatus das Verfassungsgericht; in Frankreich ist es das Kabinett, auf der Grundlage eines Gesetzes von 1936, das sich damals gegen die rechtsextremen ligues (Ligen) der Zwischenkriegszeit richtete. Erstmals kam es nun gegen eine Umweltorganisation zur Anwendung. Mitte voriger Woche wurden Les Soulèvements de la Terre (Die Aufstände der Erde) durch einen Ministerratsbeschluss verboten. Der frühere Präsidentschaftskandidat der Grünen, Noël Mamère, sprach von einer »Kriegserklärung an alle Umweltaktivisten«.

Les Soulèvements de la Terre, ein Netzwerk aus unterschiedlichen Gruppen wie örtlichen Bürgerinitiativen und Gewerkschaftsgliederungen, hat angekündigt, rechtlich gegen die Verbotsverfügung vorzugehen. Vorgeworfen wird der Organisation, zu Protesten aufgerufen zu haben, bei denen es gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei gab, insbesondere am Wochenende des 25. und 26. März in der westfranzösischen Region Poitou-Charentes, wo Zehntausende gegen Bewässerungsprojekte für die Intensivlandwirtschaft demonstrierten. Eine Demons­tration nahe der Kleinstadt Sainte-Soline wurde damals verboten, ein Großaufgebot an Polizei und Gendarmerie empfing die Demonstranten. Innerhalb weniger Stunden wurden 5.000 Tränen- und Reizgasgranaten ver­schossen.

Bauerngewerkschaft droht mit Selbstjustiz
Am 11. Juni gingen Anhängerinnen der Umweltorganisation in Nantes erneut auf die Straße, um unter anderem gegen industriellen Sandabbau in Erosionsgebieten zu protestieren. Dabei wurden am Rand von Protestzügen und Fahrradkorsos auch Setzlinge für intensivlandwirtschaftliche Projekte ausgerissen. Daraufhin drohte die einflussreiche konservative und mit dem Agro-Business verflochtene Bauerngewerkschaft FNSEA, die in der Vergangenheit selbst immer wieder militante und gewalttätige Protestformen gewählt hatte, in einem Brief an die Regierung unverhohlen mit Selbstjustiz, falls der Staat nicht mit Verboten einschreite.

Medien sprechen bereits vom »Wasserkrieg in den Deux-Sèvres«, einem Bezirk, in dessen Nordhälfte 16 riesige Rückhaltebecken geplant sind.

Diese Konflikte gehen letztlich auf den Klimawandel zurück. Seit einigen Jahren leidet Frankreich unter verheerenden Dürren, im vergangenen Sommer herrschte die extremste Trockenphase seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1958. Im Januar und Februar regnete es landesweit 32 Tage lang nicht. Nur im Süden des Lands wurde die Trockenheit in den vergangenen Wochen vorübergehend durch heftige Gewitter beendet.

Besonders dramatisch war die Lage in den vergangenen Monaten im Département Östliche Pyrenäen, wo im Mai die höchste Alarmstufe für Dürre ausgerufen und an einigen Orten die Trinkwasserversorgung für Haushalte eingeschränkt wurde. Der im Rathaus der größten Stadt der Py­renäen, in Perpignan, regierenden Partei – dem rechtsextremen Rassemblement national (RN) – fiel ein, für Regen zu beten. Am 18. März organisierte einer ihrer Stadtverordneten, Charles Puig, eine katholische Prozession zu Ehren von Saint Gaudérique, um ihn um Regenfälle zu bitten. Obwohl der RN nicht zuletzt aus wahltaktischen Gründen damit zurückhaltender geworden ist, leugnen Politiker der Partei tendenziell immer noch menschengemachte Ursachen des Klimawandels.

Heftig umstrittene Wasserspeicheranlagen
Der Bau von großen Rückhaltebecken, sogenannten grandes bassines, soll gegen die Misere der Landwirtschaft helfen. Im Winter werden diese aus Regenwasser oder Grundwasserbeständen gespeist, um in den Zeiten der Dürre, vor allem in den Sommermonaten, den hohen Wasserbedarf beispielsweise von Maiskulturen zu stillen.
Die Wasserspeicheranlagen sind heftig umstritten. Im westfranzösischen Département Deux-Sèvres gab es in den vergangenen Monaten besonders intensive Konflikte, darunter die verbotene Demonstration bei Sainte-Soline im März. Kritiker bemängeln, nur eine kleine Zahl großer Landwirtschaftsbetriebe werde aus den Becken versorgt, während die Landschaft und Feuchtgebiete weiter austrockneten. Medien sprechen bereits vom »Wasserkrieg in den Deux-Sèvres«, einem Bezirk, in dessen Nordhälfte 16 riesige Rückhaltebecken geplant sind.

Fabien Mazzocco, der Regisseur eines Dokumentarfilms über dieses Thema, sagte während einer Debatte bei seiner Filmpremiere in Paris Ende Mai, er sei optimistisch, dass Widerstand gegen die Projekte möglich sei. Weil sie Dutzende Kilometer lange Kanäle und Röhren benötigten, ließen sich diese Bauvorhaben gegen entschlossene Opposition wachsender Teile der Bevölkerung kaum schützen. Als Beispiel für Sabotageakte, die mit offenem Rückhalt aus der Bevölkerung ausgeführt würden, nannte er das Füllen von Wasserleitungen mit Zement.

Sollten keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen werden, ist bis zum Ende des Jahrhunderts nicht, wie im Pariser Abkommen vereinbart, mit einer Erwärmung um maximal 1,5 bis zwei Grad zu rechnen, sondern mit einer um vier Grad.

Die französische Regierung versucht unterdessen, sich mit internationalen Bemühungen zu profilieren. Am Donnerstag voriger Woche versammelte Präsident Emmanuel Macron die Repräsentanten von 40 Staaten, unter ihnen der deutsche Kanzler Olaf Scholz und Brasiliens Präsident Luiz Inácio »Lula« da Silva, zu einem »Gipfel für einen weltweiten Finanzpakt« in Paris. Das erklärte Ziel der Konferenz war es, die Schuldenkrise ärmerer Länder zu bekämpfen und ihnen zu ermöglichen, gegen den Klimawandel vorzugehen.Zwar hatten 2009 die Teilnehmer der internationalen Klimakonferenz COP 15 in Kopenhagen beschlossen, ärmeren Ländern ab 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar zu diesen Zwecken zur Verfügung zu stellen. Die seither erfolgten Zahlungen fallen jedoch nicht nur hinter dieses Ziel zurück – im Jahr 2020 waren es 83,3 Milliarden US-Dollar –, vor allem bestehen sie zu über der Hälfte aus Krediten und vergrößern dadurch die Schuldenlast der Empfängerländer. Beim Gastgeberland Frankreich liegt der Kreditanteil einer kürzlich veröffentlichten Studie von Oxfam zufolge sogar bei 92 Prozent.

Konkrete Beschlüsse nicht gefasst
Macron rief in Paris unter anderem dazu auf, dass arme Länder, wenn sie von einer Klimakatastrophe heimgesucht werden, Kreditrückzahlungen an den IWF oder die Weltbank nicht bedienen müssten. Außerdem regte er an, den maritimen Frachtverkehr, der hohe CO2-Emissionen verursacht, sowie den Flugverkehr zu besteuern. Konkrete Beschlüsse wurden nicht gefasst, das internationale Treffen hatte eher symbolische Bedeutung.

Zwei Mal, im November 2020 und im Oktober 2021, wurde der französische Staat durch die eigene höchste Instanz im öffentlichen Recht – den Conseil d‘État, der die Funktion eines Verfassungsgerichts erfüllt – sowie das Pariser Verwaltungsgericht wegen »klimapolitischer Untätigkeit« verurteilt, und zwar wegen der Nichteinhaltung des von der Regierung ratifizierten Pariser Abkommens von 2015. In einem sind Regierung und Kritiker sich jedoch einig: Sollten keine zusätzlichen Maßnahmen ergriffen werden, ist bis zum Ende des Jahrhunderts nicht, wie im Pariser Abkommen vereinbart, mit einer Erwärmung um maximal 1,5 bis zwei Grad zu rechnen, sondern mit einer um vier Grad. Das stellte sowohl eine Regierungserklärung vom 23. Mai als auch eine Stellungnahme des Nationalen Rats für ökologischen Umbau, dem NGOs, Gewerkschaften und Wirtschaftsverbände angehören, vom 18. Mai fest.