Der niederländische ­König hat sich für die Sklaverei entschuldigt

Jubel für den König

Auf der Gedenkfeier zum 150. Jubiläum der Abschaffung der Sklaverei in Amsterdam bat der niederländische König Willem-Alexander erstmals bei den Nachfahren der Versklavten um Entschuldigung. Kritikern gehen solche Gesten und die bisherigen Bemühungen zur Aufarbeitung der niederländischen Kolonialgeschichte nicht weit genug.

Es war ein großes Fest. In strömendem Regen fand am Samstag am Denkmal für die Sklaverei im Oosterpark in Amsterdam die offizielle Gedenkfeier zum 150. Jahrestag der Abschaffung der Sklaverei statt. Zwar wurde diese in den Niederlanden per »Emanzipationsgesetz« offiziell bereits 1863 verboten, doch erhielten die letzten Versklavten in den niederländischen Kolonien die Auflage, noch zehn Jahre weiterzuarbeiten. In seiner Rede bat der niederlän­dische König Willem-Alexander um Entschuldigung für die Rolle des Königshauses bei der Sklaverei. »Heute stehe ich vor Ihnen als Ihr König und Teil der Regierung und bitte um Entschuldigung«, sagte er unter Jubel. Bei seinem Besuch im Januar im karibischen Teil des Königreichs hatte er sich noch nicht dazu durchringen können.

Niederländische Sklavenhändler, unter anderem der Niederländischen Westindien-Kompanie, verschifften schätzungsweise über 600.000 Frauen, Männer und Kinder und zwangen sie zu unbezahlter Arbeit. An den Handelskompanien hatte auch das Königshaus Anteile. Zum 150. Jahrestag hat dieses untersuchen lassen, wie viel Gewinn es aus seiner direkten Verwicklung in die Sklaverei zog. Den ersten wissenschaftlichen Schätzungen zufolge soll das Königshaus der Oranier allein von 1675 bis 1770 umgerechnet 545 Millionen Euro verdient haben. Doch lange wurde die Rolle der Niederlande im Kolonialismus und in der Sklaverei mit Verweis auf die Großmächte Großbritannien, Spanien und Portugal relativiert. Dabei zählten auch die Niederlande zu den bedeutendsten Kolonialmächten der Welt. Um 1650, auf dem Höhepunkt ihrer Macht, wurde etwa die Hälfte des Welthandels von den Niederländern umgeschlagen.

Ministerpräsident Mark Rutte hatte schon im Dezember um Entschuldigung für die Rolle des niederländischen Staats in der Sklaverei gebeten. Er verzichtete allerdings darauf, den Nachkommen der versklavten Menschen eine Entschädigung anzubieten. Eine zur Vorbereitung des Jubiläumsjahrs von der Regierung eingesetzte Kommission hatte in ihrem 2021 erschienen Bericht »Ketten der Vergangenheit« weitreichende Empfehlungen für Forschung, Bildung und künstlerische Projekte zum Umgang mit der Geschichte der Sklaverei erarbeitet. Der Bericht verweist auf Formen des institutionellen Rassismus wie racial profiling in Polizeibehörden. Zudem forderte die Kommission, dass der Staat seine Schuld gesetzlich anerkennt, damit sich daraus auch Rechtsansprüche ­ableiten lassen.

Das Thema Sklaverei wurde lange verdrängt. Das hat auch die Mehrheitsbevölkerung der Niederlande geprägt.

Doch das lehnt die Regierung bis heute ab. Auf Anfrage der Jungle World teilt Pauline van Voorst für das Ministerium für Inneres und Königsreichsangelegenheiten mit: »Eine Entschuldigung kann nur einmal ausgesprochen werden. Im Gegensatz zu einem Gesetz ist sie als moralisch-ethische Geste unwiderruflich, wenn sie mündlich erfolgt.« Daher habe die Regierung sich gegen den juristischen Weg entschieden. Stattdessen wurde ein mit 200 Millionen Euro dotierter Fonds für Initiativen eingerichtet, die sich mit den Nachwirkungen der Sklaverei in den Niederlanden und ihren ehemaligen Kolonien befassen und die Aufklärung über das Thema verbessern sollen.

Einigen in den Niederlanden ist das nicht genug. Zwei Gruppen, Black Ma­nifesto und The Black Archives, organisierten vor der Rede des Königs einen Protestmarsch unter dem Motto »Keine Heilung ohne Wiedergutmachung«. Die Demonstration war Teil der Ketikoti-Feierlichkeiten, einem Feiertag suri­namischen Ursprungs, der jährlich am 1. Juli an die Abschaffung der Sklaverei erinnert. Der Name kommt aus der Kreolsprache Sranantongo und bedeutet »zerbrochene Ketten«. Die Aktivis­t:in­nen fordern vom niederländischen Staat, Aufbauprogramme in den ehemaligen Kolonien zu finanzieren. »Wir verdienen Reparationen für 300 Jahre Kolonialismus und Sklaverei«, sagten Jessica de Abreu und Mitchell Esajas, zwei der Gründer:innen der Black Archives in Amsterdam, die sich als Nachfahren von Versklavten sehen.

»Der Heilungsprozess wird noch lange andauern«, merkt Rose Mary Allen an, die als Historikerin und Anthropologin an der Universität von Curaçao arbeitet. Sie untersucht mündliche Quellen, um das Wissen über die Sklaverei auf der Insel zu erforschen, die bis ins 18. Jahrhundert das Zentrum des karibischen Sklavenhandels war und seit 2010 eigenständiges Bundesland innerhalb des Königreichs der Niederlande ist. Gemeinsam mit der Historikerin Esther Captain vom Königlich Niederländischen Institut für Südostasien- und Karibikstudien in Leiden hat sie vor wenigen Tagen das Buch »Staat und Sklaverei« über die koloniale Vergangenheit der Niederlande und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart herausgegeben.

»Auf den karibischen Inseln und in Suriname wurde schwarzen Menschen 400 Jahre lang beigebracht, dass man sich auf eine bestimmte Art und Weise gegenüber weißen zu verhalten hat«, sagte sie der Jungle World. Zugleich habe die Täterschaft und die lange Verdrängung des Themas auch die Mehrheitsbevölkerung der Niederlande geprägt. »Das verändert sich nicht so schnell«, sagt Allen. »1863 und 1873 sind wichtige Daten. Aber entscheidend wird sein, was nach dem Jubiläum passiert. Es muss ein nachhaltiger Prozess sein«, fordert Allen.

Einer Umfrage vom Meinungsforschungsunternehmen I & O Research vom Juni zufolge gaben nur 40 Prozent der Befragten Niederländer an, die Entschuldigung der Regierung mitzutragen. Rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien wie die Partij voor de Vrijheid von Geert Wilders lehnen die Entschuldigung grundsätzlich ab. Allerdings hat sich das Stimmungsbild in den vergangenen Jahren leicht verändert. So hatten bei einer Umfrage vom November 2022 etwa 63 Prozent der Befragten angegeben, dass die Rolle der Niederlande in der Geschichte der Sklaverei bedeutend gewesen sei. Knapp zwei Jahre zuvor waren das rund sieben Prozentpunkte weniger.

»Für das veränderte Bewusstsein hat die kritische Diaspora aus den ehema­ligen Kolonien eine wichtige Rolle gespielt«, sagt Allen. »Sie brachte ihre Erkenntnisse zurück auf die Inseln, wo sie durch das dort vorhandene Wissen ergänzt wurden.« So komme es zu einer gegenseitigen Bereicherung in den Debatten. Aus Allens Sicht müssten Bildung und Forschung weiterhin eine zentrale Rolle spielen. Die Gründung eines Museums für die Geschichte der Sklaverei in Amsterdam, das die Parlamentsabgeordnete der linken Partei BIJ1, Sylvana Simons, gefordert hat, mit Dependancen in den ehemaligen ­Kolonien könne hierfür ein wichtiger Schritt sein. »Ich wünsche mir, dass eine jüngere Generation die Arbeit fortsetzt, die wir begonnen haben«, sagt Allen.