In Israel wird vehement gegen die Justizreform demonstriert

Die Proteste gehen in die nächste Runde

Das israelische Parlament hat einen Teil der umstrittenen Justizreform der Regierung, die seit Monaten für große Proteste sorgt, in erster Lesung gebilligt.

Der Streit um die von der israelischen Regierung geplante Justizreform spitzt sich weiter zu. Am Montag vergangener Woche beschloss die Knesset, das israelische Einkammerparlament, in erster Lesung die sogenannte Angemessenheitsklausel. Dabei handelt es sich um einen Teil des umfassenden Reform­vorhabens, das unter anderem vorsieht, die Möglichkeiten des Obersten Gerichtshofs einzuschränken, Entscheidungen von politischen Mandatsträgern anzufechten. Das fragliche Gesetz sieht vor, dass das Oberste Gericht künftig nicht mehr Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister auf ihre »Angemessenheit« überprüfen oder aufheben kann. Damit es rechtskräftig wird, muss es noch in zweiter und dritter Lesung verabschiedet werden. Dies soll, nach dem vom Rechtsausschuss der Knesset vorgegeben Zeitplan bis Ende des Monats geschehen.

Die Justizreform zielt insgesamt darauf, die Unabhängigkeit der Judikative und ihren Handlungsspielraum gegenüber dem Parlament und der Regierung einzuschränken. Weiteres Ziel ist es, dass die Regierung mehr Einfluss bei der Ernennung von Richtern erhalten sollen. Beobachter sehen in dem umstrittenen Reformvorhaben der rechts-religiösen Regierungskoalition eine Gefahr für die israelische Demokratie und befürchten, sie könnte Korruption und die willkürliche Besetzung hochrangiger Posten begünstigen. Die Regierung wirft dem Obersten Gericht hingegen vor, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen.

Seit 28 Wochen gibt es riesige Demonstrationen gegen die Justizreform, die Parlamentsabstimmung am Montag löste erneut Massenproteste im ganzen Land aus. Tausende Demonstranten folgten dem Aufruf zum »Tag der Störung«. Es kam zur Blockade von Hauptverkehrsstraßen in Tel Aviv, Haifa und Jerusalem und zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizisten. Auch an Israels internati­onalem Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv wurde demonstriert. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein. Nach Angaben des staatlichen Fernsehsenders Kan 11 wurden mehrere Demonstranten und drei Polizisten verletzt. 120 Personen wurden demnach festgenommen.

Seit 28 Wochen gibt es riesige Demonstrationen gegen die geplante Justizreform. Die Parlaments­abstimmung am Montag voriger Woche löste erneut Massenproteste im ganzen Land aus.

Auch am Wochenende wurde in allen Landesteilen protestiert. Am erneuten »Tag der Störung« am Dienstag fanden Proteste, Kundgebungen und Verkehrsblockaden im ganzen Land statt. Tausende marschierten zur Börse in Tel Aviv, einige drangen in das Gebäude ein und warfen gefälschte Geldscheine als Symbole für Korruption. Hunderte Menschen, darunter viele Reservisten der Armee, blockierten ein Armeehauptquartier in der Stadt. Der private Fernsehsender Keshet 12 berichtete zuvor, es werde Druck auf den Gewerkschaftsverband ausgeübt, einen Generalstreik auszurufen. In Anbetracht dieser Ereignisse fürchten 67 Prozent der Israelis gar einen Bürgerkrieg, ergab eine von Keshet 12 in Auftrag gegebene Meinungsumfrage.

Kan 11 zufolge haben über 100 Reservisten der israelischen Luftwaffe aus Protest gegen das Reformvorhaben angekündigt, ab sofort den Dienst zu verweigern. Solche Drohungen gab es schon mehrfach. Einer der Reservisten ist Brigadegeneral Ofer Lapidot, der als Kampfpilot am Yom-Kippur-Krieg teilnahm und heutzutage Nachwuchspiloten der israelischen Luftwaffe ausbildet. Im Interview mit Kan 11 sagte er, er habe Angst um die »Existenz des jüdischen, demokratischen Staates, den wir kennen, für den wir gekämpft haben, in dessen Sinne wir erzogen worden sind und in dessen Sinne wir unsere Kinder erzogen haben. Und deswegen müssen wir etwas tun.«

Ende März wurden die parlamentarischen Abstimmungen über die Justiz­reform wegen der heftigen Proteste im Inland und ­Kritik aus dem Ausland zunächst unterbrochen. Bei Verhandlungen beim israelischen Staatspräsidenten, Yitzhak Herzog, wollten Politiker von Regierung und Opposition einen Kompromiss ausarbeiten, um eine breitere gesellschaftliche Zustimmung für das Gesetzesvorhaben zu ermöglichen.

Nach dem Scheitern der Verhandlungen hat die Regierungskoalition am Montag vergangener Woche nun wieder damit begonnen, ihre Gesetzentwürfe für den Umbau des Justizsystems zur Abstimmung zu bringen. Dabei ist die Koalition allerdings auch intern uneins, berichtet die Kan-11-Reporterin Yaara Shapira. Während die Reformbefürworter die Verabschiedung der Angemessenheitsklausel noch vor den Ende Juli beginnenden Parlamentsferien in Hochgeschwindigkeit durchzudrücken bemüht seien, versuche Ministerpräsident Benjamin Netanyahu immer noch einen Kompromiss für eine abgeschwächte Form des Gesetzes auszuhandeln, um die Gegner der Reform zu ­beruhigen.

Die Zustimmungswerte Netanyahus sind laut einer Umfrage von Keshet 12 mit der Wiederaufnahme der Abstimmungen und dem damit verbundenen Wiederaufflammen der Proteste gesunken. Bei der Erhebung von vergangener Woche stimmten bei der Frage, wer am besten für das Amt des ­Ministerpräsidenten geeignet sei, nur 36 Prozent für Netanyahu. 37 Prozent gaben an, der Oppositionspolitiker und ehemalige Verteidigungsminister Benny Gantz sei besser geeignet.

Druck auf Netanyahu kommt auch aus den USA, deren Präsident Joe Biden dem Kurs der Regierung Netanyahu kritisch gegenübersteht. Am Montagabend telefonierten die beiden miteinander. In einer Mitteilung der Pressestelle der israelischen Regierung heißt es, Netanyahu »informierte den Präsidenten der Vereinigten Staaten über den Gesetzentwurf, der nächste Woche von der Knesset verabschiedet werden soll, und über seine Absicht, während der Sommerpause breite öffentliche Unterstützung für den Rest der Reform zu erreichen.« Der Mitteilung zufolge lud Biden Netanyahu während des Telefonates zu einem baldigen Besuch in die USA ein.

Noch im März erklärte der US-Präsident gegenüber Reportern im Bundesstaat North Carolina, dass er nicht vorhabe, den israelischen Ministerpräsidenten in absehbarer Zeit ins Weiße Haus einzuladen. Als der CNN-Reporter Fareed Zakaria Biden in einem Interview Anfang des Monats fragte, was denn geschehen müsse, damit er Netanyahu nach Washington einlade, vermied der US-Präsident eine direkte Antwort und sagte, dass man »andere Kontakte« nach Israel habe und dass Israels Präsident Herzog bald die Vereinigten Staaten besuchen werde.