Ferien mit Mieko Kawakami, Jens Rachut, Barbie und Twitter-X

Phallischer Trennungswurm unterwegs ins Lektorat der Einsamkeit

Popkolumne. Über wohltemperierte Sommerlektüren, die man zu den Klängen einer Punk-Oper genießen kann.
Die Summens Von

Skiweitsprung ist ein prima Thema in heißen Zeiten. Deshalb empfiehlt sich als Sommerlektüre Joshua Groß’ Roman »Prana Extrem« aus dem vorigen Jahr. Man taucht ein in eine Welt voller Riesenlibellen, Maggi-Fix-Tüten, Marihuana-Wolken und Chupa-Chups-Lollis. Auch der Rapper Lil Wayne und der österreichische Skiverband kommen vor. Das geht alles so lange, bis ein Meteorit dem Leben des Protagonisten einen tieferen Sinn verleiht.

Zwischendrin hören wir das neue Jens-Rachut-Album »Ein Krieg der Stille«, das er unter dem Namen Kleiber herausgebracht hat. Mit von der Partie sind Thomas Wenzel von den Goldenen Zitronen und Fritzi Ernst, ehemals Schnipo Schranke. Der Plot dieses Konzeptalbums mit Anleihen an die Klassik: Ein phallischer Trennungswurm macht die Liebe zwischen den Menschen erst möglich und am Ende wieder kaputt. Männer jagen sowieso lieber Wildschweinen hinterher, roden Wälder und bauen sinnlose Häuser. »Einfacher ist ein Neuanfang mit Fremden«, heißt es am Ende der Punk-Oper. Etwas in der Art hat sich wohl auch Elon Musk gedacht, als er Twitter vorige Woche offiziell in X umbenannte.

Die Feministin Kawakami könnte eine Tochter Haruki Murakamis sein, von der er lernen könnte, wie man komplexe, eigenständige Frauenfiguren entwickelt.

Auch der Literatur-Shooting-Star Mieko Kawakami schildert die Begegnung mit Fremden, um der Hauptfigur ihres jetzt auf Deutsch erschienenen Romans »All die Liebenden der Nacht« einen Neuanfang zu ermöglichen. Fuyuko wohnt in einem kleinen Appartement in Tokio und arbeitet ebenso einsam wie gewissenhaft als Korrekturleserin. Wie man wirklich lebt, weiß der traumatisierte Millennial nicht. In einem erschreckenden Moment der Selbsterkenntnis beschließt sie, etwas zu ändern und mit dem Trinken anzufangen. Die Zufallsbekanntschaft mit einem Physiklehrer hindert sie daran, vollends abzustürzen. Mit dem geheimnisvollen Mann führt sie von beredtem Schweigen durchzogene Gespräche über das Licht. Aber auch Fukuyos neue, lebenshungrige Kollegin trägt dazu bei, dass sie sich endlich aus ihrem Schattendasein löst.

Das ist allerdings nur die Geschichte, die sich an der Oberfläche abspielt. Die Feministin Kawakami könnte eine Tochter Haruki Murakamis sein, von der er lernen könnte, wie man komplexe, eigenständige Frauenfiguren entwickelt und eine Story schlüssig und furios zu Ende bringt. Apropos. Auch in dieser Kolumne darf ein Name auf gar keinen Fall fehlen: Barbie. Was für ein Coup!