Nach dem Putsch nähert sich die Militärjunta Nigers Russland an

Frankreich raus, Russland rein

Der Militärputsch in Niger zielt vor allem auf einen Wechsel des Hauptverbündeten.

Paris. Die neuen Machthaber im Niger lassen gerne russische Fahnen schwenken – doch äußere Einflüsse allein können keinen Umsturz erklären. Der Militärputsch im Niger, der am 26. Juli begann, entstand zunächst aus Unzufriedenheit innerhalb der Armee: Dort rangelte man um Posten, insbesondere nachdem der 2021 gewählte Staatspräsident Mohamed Bazoum im Mai Umbesetzungen an der Spitze der Armee vorgenommen hatte.

Im Unterschied zu den Militärputschen in den Nachbarländern Mali 2020 und 2021 sowie Burkina Faso 2022 ging die Initiative dabei nicht von den unteren oder mittleren Rängen aus, die sich gegen die Generalität und gegen die Staatsführung durchsetzten, sondern von der Armeeführung. Der am vorvergangenen Freitag zum neuen Staatschef proklamierte General Abdourahamane Tchiani leitete bis dahin eine Eliteeinheit, die den Staatspräsidenten beschützen sollte.

Die neuen Machthaber favorisieren offenkundig einen teilweisen oder vollständigen Bündniswechsel, um sich auf Russland statt auf den bisherigen Hauptverbündeten Frankreich zu stützen. Französischsprachige afrikanische Medien berichten, möglicherweise wolle Niger die russische Söldnertruppe Wagner aus Mali, wo sie ohnehin präsent sei, herüberholen.

Die russische Regierung strebt seit fünf bis sechs Jahren verstärkt nach politischer und militärischer Einflussnahme in Afrika, um den geostrategischen Bedeutungsverlust Russlands seit dem Zusammenbruch der UdSSR so weit wie möglich rückgängig zu machen. Ökonomisch hingegen ist Russland bislang in der Sahelregion, wie im Großteil des übrigen Afrika, noch ein Zwerg. Unter den nichtwestlichen Staaten spielt vor allem China im Niger eine bedeutende Rolle, wo es derzeit nach Frankreich der zweitwichtigste Investor ist. Bislang reagiert die Regierung in Peking nur sehr vorsichtig auf den Machtwechsel und gab lediglich der Hoffnung auf eine friedliche ­Lösung Ausdruck.

Unter den nichtwestlichen Staaten spielt vor allem China im Niger eine bedeutende Rolle, wo es derzeit nach Frankreich der zweitwichtigste Investor ist.

Auch die US-Regierung hielt sich zunächst zurück. Am Dienstag voriger Woche hieß es aus dem Weißen Haus, man habe keinerlei Hinweise darauf, dass Russland in den Putsch verwickelt sei. Man habe keine Entscheidung zur Evakuierung von US-Staatsbürgern aus dem Niger getroffen und auch nicht beschlossen, Entwicklungshilfe einzufrieren – wie Frankreich dies vorige Woche für den Niger, zu Anfang dieser Woche auch für Burkina Faso tat. Die Behörden in Paris ließen seit dieser Entscheidung alle ausreisewilligen französischen Staatsbürger sowie rund 500 Angehörige anderer westlicher Staaten evakuieren.

Doch inzwischen hat auch die US-­Regierung mit dem Ausfliegen des als »nicht wesentlich« bezeichneten Teils ihres Personals aus der nigrischen Hauptstadt Niamey begonnen. Präsident Joe Biden schlägt nun auch ­an­dere Töne an und forderte wie sein französischer Amtskollege Emmanuel ­Macron, den gestürzten Präsidenten­ ­Bazoum wiedereinzusetzen. Am Donnerstag voriger Woche appellierte ­dieser in der Washington Post an die USA und die »internationale Ge­meinschaft«, gegen die Putschisten­regierung vorzugehen, um eine De­stabilisierung der Region zu ver­hindern.

Politisch richten sich die neuen Machthaber vor allem gegen Frankreich. Insbesondere kündigte die Junta vier militärische Kooperations- und Stationierungsabkommen mit Frankreich auf. Dessen Regierung wiederum beruft sich auf die »Illegitimität« der neuen Machthaber: Nur mit demokratisch legitimierten Regierenden, verlautet dazu nun aus Paris, könne man darüber diskutieren. Doch das älteste der bislang gültigen militärischen Kooperationsabkommen zwischen Frankreich und Niger, dasjenige vom 19. Februar 1977, das zu den vier aufgekündigten Abkommen zählt, wurde unter dem 1974 aus einem Armeeputsch siegreich hervorgegangenen Staatspräsidenten Seyni Kountché abgeschlossen – also mit einer Militärregierung.

Am Sonntag demonstrierten etwa 30.000 Unterstützer der Putschistenregierung in einem Stadion in Niamey. Relevante Teile der Gesellschaft verhalten sich jedoch eher skeptisch und ­abwartend unter den neuen Verhältnissen. »Wir befinden uns zwischen Hammer und Amboss, zwischen den Militärs und der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft« (Ecowas), meinte zum Beispiel eine in Niamey ­tätige Anwältin, Bijou (Nachname ist der Redaktion bekannt), im Telefon­gespräch mit der Jungle World. Die Ecowas droht Niger seit Wochenbeginn mit einer militärischen Intervention, nachdem ihr Ultimatum zur Wiedereinsetzung Bazoums am Sonntagabend ausgelaufen war. Zu den treibenden Kräften zählen dabei die an Frankreich orientierten Regierungen im Senegal und in der Côte d’Ivoire sowie das englischsprachige Nigeria, die mit Abstand stärkste regionale Militärmacht.

Am Montagabend kündigte die Ecowas einen neuen Sondergipfel zu Niger im Verlauf dieser Woche an. Am späten Abend ernannte ein Sprecher der Militärjunta den Ökonomen Ali Mahamane Lamine Zeine zum neuen Pre­mier­minister. Dieser hatte einige Jahre unter dem 2010 gestürzten Präsidenten Mamadou Tandja als Wirtschafts- und Finanzminister fungiert, zuletzt arbeitete er für die Afrikanische Entwicklungsbank im Tschad.