Die Serie »Yellowstone« erzählt vom Kampf um Land, Ressourcen und Macht

Karma, Cowboy!

Die »New York Times« hat das Publikum gewarnt: Die Serie »Yellowstone« mit Kevin Costner als lassoschwingendem Ranchbesitzer sei eine »red-state show«. Der Neowestern über Viehzüchter im Zeitalter veganen Cappuccinos ist jedoch weder populistisch noch banal. Aber sind die Hipster am Ende wirklich die neuen Siedler und die Cowboys ihre Opfer?

In den USA ist »Yellowstone« die derzeit beliebteste Fernsehserie des Landes. Regelmäßig schalten rund zwölf Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer ein, für den traditionell kleinteiligen US-Fernsehmarkt eine sensationelle Quote; lediglich bei den Spielen der Nation Football Lea­gue am Sonntag gucken mehr zu. Die Serie ist ein Fernsehphänomen, das sich nicht einfach nur in den Reigen von viel gesehenen Produktionen fügt, die sich Menschen am Feierabend nebenher anschauen. Die Neowesternserie und Familiensaga »Yellowstone« ist gerade dabei, sich zum Kult zu entwickeln.

Die Serie läuft in ihrer fünften Staffel und hat mit »1883« und »1923« bereits zwei Spin-offs erhalten, weitere sind in Planung; der Serienschöpfer Taylor Sheridan ist zu einem der gefragtesten Produzenten in Hollywood avanciert und scheint pausenlos ein neues Projekt nach dem anderen vorzulegen. Neben den Ablegern von »Yellowstone« sind derzeit auch seine Fernsehdramen »Special Ops: Lioness«, »Tulsa King« und »Mayor of Kingstown« zu sehen. »Yellowstone« ist zu einer umsatzstarken Marke geworden, es gib ein eigenes Kaffee- und ein Gewürzsortiment, gerade erscheint auch ein Kochbuch, das die herzhaften Lieblingsrezepte des allseits beliebten Viehzüchterclans versammelt; »Yellowstone« ist der Name der Ranch.

John Dutton (Kevin Costner, l.) und Thomas ­Rainwater (Gil Birmingham)

John Dutton (Kevin Costner, l.) flüchtet sich in die Opferrolle. Sein Gegenspieler Thomas ­Rainwater (Gil Birmingham) erteilt Nachhilfe in Geschichte

Bild:
Paramount Network, 2020

Der Streaming-Dienst Paramount plus ist seit Dezember des vergangenen Jahres in Deutschland empfangbar und damit auch »Yellowstone«. Die Serie, die auch hierzulande immer mehr Zuschauer findet, bedient sich typischer Ingredienzien des Westerns: Männer auf Pferden, Riesenhüte, Cowboystiefel. Aber auch: Drohnen, GPS-Tracking und Smartphones. »Yellowstone« ist eine Westernserie fürs 21. Jahrhundert.

Der Schauplatz ist die bedrohte Wildnis des US-Bundesstaats Montana, die Handlung spielt in der Gegenwart. Weit weg von den größeren städtischen Ansiedlungen des Bundesstaats und noch viel weiter weg von den Küsten des Landes und den wirtschaftlich-kulturellen Metropolen New York City und Los Angeles. »Yellowstone« ist Fernsehen vor allem fürs heartland der USA. Im Zen­trum der Handlung steht ein alter weißer Mann: John Dutton, gespielt von einem, der seine große Zeit in den neunziger Jahren hatte, mit Filmen wie »Der mit dem Wolf tanzt«, »Wyatt Earp«, »Bodyguard« und »Perfect World« – Kevin Costner.

Der Kniff bei »Yellowstone« besteht darin, aus den weißen Siedlern von einst die Opfer einer heutigen Verdrängung zu machen.

Eigentlich könnte der alte Knurrhahn zufrieden sein auf seiner Riesenranch. An einer Stelle heißt es, das Dutton-Anwesen habe die Ausmaße Rhode Islands. Doch Dutton leidet und grollt immer mehr. Denn seine Ranch ist bedroht von den Umbrüchen, die die Gegenwart mit sich bringt. Da wären die Makler und Investoren, die im ländlichen Idyll gerne eine gesichtslose Planvorstadt neben die andere stellen würden – und das in unmittelbarer Nähe des Dutton-Anwesens. Da wären Politiker, die aus den Weiten des mehr oder weniger unerschlossenen Landes gerne ein Touristen-Dorado machen würden, inklusive eines viel frequentierten Flughafens.

Zu allem Unglück entdecken sogar die Hipster dieser Welt mittlerweile auch Montanas Städte wie Billings und Bozeman und beglücken diese mit ausgefallenen veganen Kaffeehauskreationen und allerlei anderen neumodischen Spinnereien, die den mürrischen John Dutton in nur noch tieferen Tonlagen zum Knurren bringen.

Dutton und seine drei erwachsenen Kinder befinden sich einem Modus steter Verteidigung gegen eine Welt, die ihrer angestammten Daseinsform an den Kragen will. Tatsächlich erscheint in Zeiten der Dominanz des Silicon Valley die Rinderzucht, der die Duttons nachgehen, als hoffnungslos überholte Einrichtung. Doch die Duttons sind bereit, ihren authentischen Western-Lifestyle zu verteidigen – mit Zähnen und Klauen und zur Not mit Hilfe jeder Menge Schnellfeuergewehre. Mit den Agenten der staatlichen Viehzuchtbehörde, die über polizeiliche Befugnisse verfügen und die eigentlich Konflikte zwischen Ranchern befrieden sollen, steht Dutton eine schlagfertige Truppe zur Seite, die im Grunde als seine Privatmiliz fungiert.

Vor der malerischen Kulisse Montanas mit seinen schneebedeckten Berggipfeln, der unendlich weiten Steppenlandschaft und den kristallklaren Flüssen, in deren Bildern »Yellowstone« schwelgt, treten die Duttons samt ihren Cowboys an, um der modernen Welt die Stirn zu bieten.

Als effektivste Waffe des Hauses stellt sich in vielerlei Hinsicht die dauergemeine und auch -betrunkene Tochter Duttons, Beth (Kelly Reilly), heraus. Den Tod der Mutter hat sie nie wirklich überwunden, anstatt in die Trauer aber flüchtet die loose cannon vom Dienst in eine anbetungswürdige Niedertracht, die vor allem ihr Bruder Jamie (Wes Bentley) sowie die zahlreichen Feinde ihres Vaters zu spüren bekommen. Als einzige Respektsperson erscheint ihr der Vater, den sie im Laufe der fünf Staffeln konsequent »Daddy« nennt. Ihren ökonomischen Scharfsinn schulte Beth in der Großstadt, aus der sie ins ländliche Idyll zurückkehrt, um für Daddy in den Kampf zu ziehen.

Vom Familienjoch befreien möchte sich hingegen der jüngste Sohn der Familie, Kayce (Luke Grimes). Er heiratet mit Monica (Kelsey Asbille Chow) eine Native American und Angehörige jenes Stammes, dem John Dutton das Land für seine Ranch einst nahm. Kayce will dem Einflussbereich des machthungrigen Vaters entfliehen, doch vermag es nicht. Er wird der Mann fürs Grobe, genau wie Rip (Cole Hauser), den Dutton vor Jahren aufnahm und als seinen Ziehsohn behandelte.

Der Western, das amerikanischste aller Filmgenres, war immer auch eine großangelegte Reflexion über die Gewalt, die das Land im Griff hat. Auch »Yellowstone« bildet da keine Ausnahme. Ultrabrutal geht es bisweilen zur Sache, wenn den Cowboys das ranchtypische »Y«-Brandmal auf der Brust eingebrannt wird, wenn Biker-Gangs eine Fehde mit den Cowboys beginnen oder andere Zeitgenossen mit Killerabsichten die unnachgiebige Revanche der Duttons zu spüren bekommen. Zwar leidet der kriegstraumatisierte Kacey, der in Afghanistan und im Irak im Einsatz war, mit jeder weiteren Gewalttat mehr, doch letztendlich tötet er, ohne zu murren. Er killt für den Staat, er killt für Daddy – was getan werden muss, wird getan.

Monica Dutton (Kelsey Asbille, r.) lebte bis zu ihrer Heirat im Reservat. Hier mit ihrem Sohn Tate (Brecken Merrill)

Neue Pferdestärken. Monica Dutton (Kelsey Asbille, r.) lebte bis zu ihrer Heirat im Reservat. Hier mit ihrem Sohn Tate (Brecken Merrill)

Bild:
Paramount Network, 2020

Als »most red-state show« verspottete die New York Times die Serie in Anspielung auf die Farbe, mit der republikanisch regierte Bundesstaaten in Graphiken versehen werden; die Republikaner haben in Montana eine satte Mehrheit. Der New Yorker verpasste Taylor Sheridans Produk­tion den Beinamen »Yeehaw Succession«. Wo auch immer über die Serie geschrieben wird, ist auch der Spott über ihre sehr direkte, manche meinen auch plumpe Machart nicht fern. Tatsächlich haben Sheridans Cowboys viel mit der erfolgreichen und von der Kritik gepriesenen HBO-­Serie »Succession« gemeinsam. Wie der Medienmogul Logan Roy, der für die Herrschaft über sein Firmenimperium einen Nachfolger sucht, will auch John Dutton einen Erben für sein Ranchreich finden – und wird im eigenen Familien- und Nachkommenkreis einfach nicht fündig.

Vermutlich wird sich inzwischen auch der eine oder andere Entscheider bei HBO über den Erfolg von »Yellowstone« ärgern, denn Taylor Sheridan hatte sein Cowboy-Epos ursprünglich diesem Sender angeboten und wurde abgelehnt. Bei Sheridan dürfte sich die nachträgliche Enttäuschung über die Zurückweisung in Grenzen halten, eine halbe Milliarde Dollar hat Paramount jüngst in die Entwicklung des »Yellowstone«-Universums gesteckt. Für den Serienschöpfer selbst ist ein entsprechend hochdotierter Vertrag herausgesprungen. Für eine Fortsetzung der Serie wird unter anderem der Star Matthew McConaughey angeheuert. Mit »6 666« und »Lawmen: Bass Reeves« warten weitere Spin-offs auf ihren Sendestart. Deutsche Zuschauer dürfen Anfang 2024 auf die Ver­öffentlichung der fünften Staffel von »Yellowstone« hoffen, in der John Dutton zum Gouverneur von Montana aufsteigt.

Es ist der identitätspolitische Aspekt der Western-Saga, dem sich ihre Popularität verdankt, zumindest bis zu einem gewissen Grad: Der Kniff bei »Yellowstone« besteht darin, aus den weißen Siedlern von einst die Opfer einer heutigen Verdrängung zu machen. In vielen Szenen suggeriert »Yellowstone«, Leute wie die Duttons seien die Native Americans von heute. Häuptling Thomas Rainwater (Gil Birmingham), der jenseits aller Klischees eine schillernde Rolle als Duttons Gegenspieler einnimmt, formuliert es so: »Vor 150 Jahren war dies alles das Land meiner Vorfahren. Bis die Großeltern dieser Leute es sich nahmen. Und jetzt wurde es ihnen weggenommen.«

Vor der malerischen Kulisse Montanas treten die Duttons samt ihren Cowboys an, um der modernen Welt die Stirn zu bieten.

Verfolgt, vertrieben und getilgt von ominösen Kräften, die mit wenigen Ausnahmen in der Serie seltsam gesichtslos bleiben. Gemeint sind Investmentbanker, Immobilienhaie, woke Hipster und sonstiges elitäres Gesocks, die die authentische Lebensform der Rancher mit ihrem gott­losen Wirken bedrohen.

Dass die Serie denn doch nicht im republikanischen Sumpf versinkt, verdankt sich einer erzählerischen Raffinesse, die die Geschichte anknüpfungsfähig und offen genug hält, um auch Widersprüche zuzulassen. So beginnt der Patriarch Dutton im Laufe der Serie eine Liebesbeziehung mit einer militanten Tierrechtsaktivistin und überzeugten Veganerin (Piper Perabo), die gegen die Rinderzucht der Duttons auf die Straße geht. Die Annäherung der beiden vollzieht sich zwar einigermaßen un­geschickt und schwerfällig, wie so manche Szene der Serie, doch beschreibt sie auch den Aushandlungsprozess in einer polarisierten Gesellschaft, die um einen Mittelweg zwischen verhärteten Positionen ringt. Kevin Costner tritt hier als archetypische Idealgestalt auf und ist kompromissloser Cowboy und Western-Gentleman zugleich.

Es ist die junge Generation, die in »Yellowstone« mit ihrer Rolle in der Welt und vor allem auch mit ihrem Männlichkeitsbild ringt. Als heimliche sympathische Hauptfigur der Serie tritt hierbei der strauchelnde Jimmy (Jefferson White) in Erscheinung. Bevor er auf Duttons Ranch anheuert, ist er ziemlich verloren im Leben. Haltlos treibt er durch den Alltag, wirkt unmotiviert oder baut ­irgendeine Scheiße im Drogenbusiness.

»Cowboy the fuck up«, hört er einen der gestandenen Männer aus der Baracke sagen. Vom Stallausmister und Hilfsjungen entwickelt sich Jimmy sukzessive zum Rodeo-König und lassoschwingenden Cowboy. Seine Geschichte ist die eines Menschen, der sich neu erfinden muss – wie so viele in den heutigen USA. Diese Selbst- und Neuerfindung kann sich nicht ohne Konflikte vollziehen. Von ihnen und ihren ­Widersprüchlichkeiten erzählt Taylor Sheridans Western-Epos in bisweilen haarsträubender, aber auch in faszinierender Weise.

»Yellowstone« kann bei Paramount plus gestreamt werden