Die Verurteilung »der Politik« folgt einer deutschen Tradition

Michel und die Politik

Sprachkritik. Die Rede von »der Politik« an sich folgt einer unseligen deutschen Tradition.
Das letzte Wort Von

Es ist wahr, dass die Sprache geprägt ist von der Geschichte derer, die sie sprechen. Das bezieht sich allerdings weniger auf die Grammatik, das logische Gerüst von Sprache, wie viele glauben, die jenen Satz nur zu gerne unterschreiben. Vielmehr drückt sich Überlieferung, besonders die, auf die man verzichten könnte, eher in der Wortbildung und mehr noch in der Wortbesetzung aus. Ein Beispiel: »Die Politik« an sich als etwas »den Menschen« und ihren Bedürfnissen Äußerliches, nahezu Entgegengesetztes anzusehen, wie es im deutschen Flugblatt- und Journalistenjargon üblich ist, setzt, meist wohl unwissentlich, eine deutsche (Un-)Geistestradition fort: eine Tradition, die Politik und Demokratie als etwas dem Wesen nach Undeutsches und wahlweise von England oder Frankreich Oktroyiertes angesehen hat.

So schrieb pars pro toto Thomas Mann in seinen »Betrachtungen eines Unpolitischen« 1918: »Warum fordern die mit Lust und Talent politisierenden Völker die Demokratie? Eben weil sie die politisierenden Völker sind! Der Geschmack eines Volkes an der Demokratie steht im umgekehrten zu seinem Ekel vor der Politik.« Deutsch hingegen sei, die Politik zu hassen, weil »der Deutsche« eben das Absolute dem Dissens und insgesamt die tiefe Kultur und Kunst der bloßen Zivilisation vorziehe.

Gefällt dem Einzelnen keine der politischen Gruppen, nun, dann gründe er eine neue. Das Problem: Hier könnte sich erweisen, dass man Kompromisse mit Mitstreitern, bisweilen sogar Gegnern eingehen muss – das allerdings ist Michels hehrer deutscher Seele zuwider.

Diese Verurteilung der Politik als etwas stets Provisorisches, Revidierbares und von materiell-ökonomischen Interessen Kontaminiertes lebt weiter in der Rede von »der Politik«, die etwas tun oder lassen solle – als ob es nicht gerade die gute Nachricht wäre, dass es »die Politik« nicht gibt, sondern nur widerstreitende politische Gruppen, die der Einzelne unterstützen oder bekämpfen mag. Gefällt ihm keine der Gruppen, nun, dann gründe er eine neue. Das Problem: Hier könnte sich erweisen, dass man Kompromisse mit Mitstreitern, bisweilen sogar Gegnern eingehen muss – das allerdings ist Michels hehrer deutscher Seele zuwider.

Die, wie gesagt, ist eher den sogenannten inneren Werten zugetan, die viel zu delikat sind, um ein Pendant zu »der Politik« (analog: »der Wirtschaft« und »den Medien«) zu bilden. Von »der Kultur« zu sprechen, fällt den Schreibern nämlich nicht ein, denn hier machen sich »die Menschen« die Finger nicht schmutzig – oder wenn, dann höchstens mit Klebstoff oder Plakatfarben.