Murad von der irakischen Band Dark Phantom im Gespräch über Metal im Irak

»Auf Tour zu gehen, wäre zu gefährlich«

Dark Phantom sind eine Metal-Band, die 2009 in Kirkuk gegründet wurde. Im September spielten sie auf dem Peacecore Fest im Berliner »SO36« mit Bands aus dem Iran, der Türkei und Israel. Es war der erste Auftritt einer irakischen Metal-Band in Deutschland. Die »Jungle World« sprach mit dem Gitarristen Murad über Metal im Irak.
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Ihr habt 2011 euer erstes Konzert gespielt. Was hat sich seitdem verändert? Hat sich eine Metal-Szene im Irak entwickelt?
Damals hatten wir mit dem Terror von al-Qaida zu kämpfen. Die haben uns nach unserem ersten Konzert auch direkt eine Botschaft geschickt. Sie ließen uns wissen, dass sie unsere Familien und Freunde kennen. In den Freitagspredigten in Moscheen wurde über die neue satanische Musik in Kirkuk gesprochen. Als al-Qaida auf Facebook unsere Familiennamen zusammen mit einigen Koranversen erwähnte, bekamen wir Angst und mussten vorsichtig sein. Wir haben uns einige Monate nicht mehr getroffen, nichts auf Social Media veröffentlicht. Danach haben wir uns entschlossen, in den kurdischen Gebieten im Norden Iraks zu spielen, weil es dort sicherer war. In Kirkuk haben wir seit 2011 nicht mehr gespielt, es gab nur kleine Veranstaltungen mit Metal-Musik in Cafés. Es gibt in Kirkuk nur eine sehr kleine Metal-Szene, und die Leute, die Metal hören, kennen sich und kennen uns. Man kann nicht viel machen, es gibt keine Räume für Musik.

Wie sieht es in anderen Teilen des Irak aus?
Wir wissen nicht, was passieren würde, wenn wir woanders spielen, weil wir nicht viel reisen. Wir haben Familien und müssen auf uns aufpassen. Auf Tour zu gehen, wäre zu gefährlich. Es könnte immer sein, dass eine Miliz ein Konzert angreift.

»Explosionen waren Teil unseres Lebens, wir haben viele Freunde verloren. Extreme Gitarrenmusik hat sich wie ein Teil von mir angefühlt. Deshalb hab ich eine Metal-Band gegründet.«

Gibt es in anderen Ländern in der Region die Möglichkeit zu spielen?
2019 sind wir nach Syrien gereist. Alle sagten, dass es gefährlich sei, weil wir nicht so weit vom Gebiet des »Islamischen Staats« entfernt waren. Aber das Konzert war großartig. Die syrische Metal-Szene ist so extrem. Es waren vielleicht 100 Leute, und das Ticket hat nur zwei oder drei Dollar gekostet. Aber weil die syrische Ökonomie so am Boden ist, haben wir einige ­Leute umsonst reingelassen. Es war eine tolle und neue Erfahrung, zum ersten Mal außerhalb des eigenen Landes aufzu­treten, das fühlt sich einfach anders an.

Krieg, Tod und Zerstörung sind prominente Themen im Metal. Fällt es euch manchmal schwer, Bands aus Ländern wie Deutschland oder Schweden ernst zu nehmen, die noch nie erlebt haben, worüber sie singen?
Manchmal ja. Wir haben das alles erlebt, wir reden nicht nur ­darüber. 2003 oder 2004 haben wir Krieg und Bomben wirklich erlebt. Explosionen waren Teil unseres Lebens, wir haben viele Freunde verloren. Extreme Gitarrenmusik hat sich wie ein Teil von mir angefühlt. Deshalb hab ich eine Metal-Band gegründet.

Auch Blasphemie und Religionsfeindlichkeit in Text und Bild sind fester Teil der Metal-Szene. Gibt es bei diesen Themen im Irak, wo Religion wichtiger ist als etwa in Europa, Grenzen, die nicht überschritten werden können?
Viele Metal-Bands singen über Satan und ähnliche Dinge, aber unsere Themen sind Korruption in Politik und Religion. Wir sind nicht antireligiös, aber wir kritisieren, wie Religion für politische Zwecke korrumpiert wird. Viele Menschen in Europa oder den USA halten alle Muslime für Terroristen, aber so ist es nicht. Unsere Musik soll unsere Lebenssituation reflektieren. Metal bedeutet für uns auch Frieden. Wenn wir Metal-Fans auf der Straße oder in Bars treffen, kümmert sich niemand um Religion, Nationalität oder Hautfarbe. Man fühlt eine Nähe, als ob man sich schon lange kennen würde, und freundet sich an. Metal ist für uns nicht nur Musik, sondern eine Lebenseinstellung und eine Gemeinschaft.