Die Wüste der Besserwisserei
Aufbruchstimmung verbreiten! Das ist die oberste Direktive, die die Führung der Linkspartei um Janine Wissler und Martin Schirdewan nach dem Abgang Sahra Wagenknechts und ihres Anhangs ausgegeben hat. Was bleibt ihr auch anderes übrig? Will die von vielen bereits totgesagte Partei noch eine Chance haben, muss sie erst einmal den in den ätzenden innerparteilichen Auseinandersetzungen der vergangenen Jahre verloren gegangenen Glauben an sich selbst zurückgewinnen. Das ist kein leichtes Unterfangen, aber die Grundvoraussetzung für eine Renaissance in der Wähler:innengunst. Ob das gelingen wird, ist völlig offen.
Auf ihrem Höhepunkt 2009 hatte die Linkspartei rund 78.000 Mitglieder, Ende vergangenen Jahres waren es nur noch um die 54.200. Seitdem sind weitere mehrere Tausend ausgetreten oder gestorben. Doch nach der Abspaltung von Wagenknecht & Co. Mitte Oktober soll es rund 1.600 Eintritte gegeben haben – und nur etwa halb so viele Austritte. Dass die Zu- die Abgänge überwiegen, hat die Partei schon lange nicht mehr erlebt.
Dass die Zu- die Abgänge überwiegen, hat die Partei schon lange nicht mehr erlebt.
Es scheint also noch nicht alles verloren zu sein. Auch auf dem Bundesparteitag Mitte November rang die Partei darum, neuen Mut zu schöpfen. Deutlich sichtbar war jedenfalls die Erleichterung darüber, dass das Kapitel Wagenknecht jetzt endlich abgeschlossen ist. Das ist derzeit allerorten in der Partei zu spüren. Kein Wunder, denn die in trüben rechten Gewässern fischende Populistin und ihre Mitstreiter:innen haben es nicht nur geschafft, dass die Linkspartei in keiner der zentralen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen der jüngsten Zeit mehr vermitteln konnte, wofür sie eigentlich steht. Mit ihren Umgangsformen aus der Hölle haben Wagenknecht und die Ihren zudem das Klima in der Partei nachhaltig vergiftet.
Der quälend lange Trennungsprozess hat tiefe Spuren hinterlassen, die nicht so einfach zu beseitigen sind. Die erlittenen Verletzungen sind schwer. Deswegen ist es auch keineswegs ausgemacht, dass sich die Linkspartei von der jahrelangen systematischen Zerstörung von innen heraus erholen kann. Zumal mit dem Abschied der – so Wagenknechts Selbstbezeichnung – »Linkskonservativen« keineswegs alle Probleme gelöst sind. Eine Rückbesinnung auf alte Rezepte hilft da nicht weiter. »Wenn wir im Osten stärker werden, werden wir auch im Westen wieder stärker werden«, hat Dietmar Bartsch, der langjährige und letzte Vorsitzender der seit diesem Mittwoch nicht mehr existenten Bundestagsfraktion, auf dem Augsburger Parteitag verkündet. Das ist die abgestandene Erzählung, die schon zu PDS-Zeiten nicht stimmte. Weswegen die PDS ja auch als bundesweite Partei am Ende war, nachdem sie 2002 bei der Bundestagswahl mit nur vier Prozent der Stimmen und zwei Direktmandaten aus dem Parlament geflogen ist. Ohne die westdeutsche WASG hätte es 2005 kein Comeback gegeben.
In der Zeit dazwischen hatte die PDS eine Diskussion über ihr Selbstverständnis geführt, die 2004 in der Einigung auf eine interessante Ausrichtung mündete: »Für sozialistische Politik nach unserem Verständnis bilden Widerstand und Protest, der Anspruch auf Mit- und Umgestaltung sowie über den Kapitalismus hinaus weisende Alternativen ein unauflösbares strategisches Dreieck.« Eingelöst wurde das nie. Aber sich daran zu erinnern, könnte ein zukunftsweisender Ansatz sein.
Weiterhin bestehen in der Partei große soziokulturelle Unterschiede zwischen Ost und West, jüngeren und älteren Mitgliedern; parlamentarisch fixierten Politikvorstellungen stehen mehr bewegungsorientierte Ansätze gegenüber; sozialdemokratische Reformer:innen tummeln sich mit traditionslinken Gewerkschafter:innen, Ökosozialist:innen und Linksradikalen verschiedener Couleur.
Weiterhin bestehen in der Partei große soziokulturelle Unterschiede zwischen Ost und West, jüngeren und älteren Mitgliedern; parlamentarisch fixierten Politikvorstellungen stehen mehr bewegungsorientierte Ansätze gegenüber; sozialdemokratische Reformer:innen tummeln sich mit traditionslinken Gewerkschafter:innen, Ökosozialist:innen und Linksradikalen verschiedener Couleur. Besinnen sie sich auf das Gemeinsame, um das Trennende aushaltbar zu machen, vielleicht sogar produktiv werden zu lassen? Wird es gelingen, eine solidarische Diskussionskultur zu entwickeln, die den Anspruch, eine pluralistische linke Partei zu sein, auch praktisch einlöst?
Das sind sehr alte Fragen, die in der Geschichte der Linken insgesamt allzu oft negativ beantwortet wurden. Dass die Antwort auch der Partei mit dem anmaßenden Namen nicht leichtfallen wird, wusste auf deren Gründungsparteitag 2007 in Berlin bereits Lothar Bisky, an der Seite Oskar Lafontaines der klügere der beiden Gründungsvorsitzenden: »Ach, hätten wir Linken doch in der kategorialen Wüste der Besserwisserei ein Stück jener sinnlichen Vorstellungskraft schon zurückerobert, die für andere Menschen nachvollziehbar den Lebensgenuss vor den Besserwisserfrust stellt«, sagte der DDR-sozialisierte sanftmütige Intellektuelle seinerzeit und fügte nachdenklich hinzu: »Noch haben wir das nicht.«
Der weitsichtige, vor zehn Jahren viel zu früh gestorbene Bisky warnte: »Eines brauchen wir in der neuen Partei bestimmt nicht: Unterstellungen und Denunziationen.« Das gilt damals wie heute. Es mag banal klingen und ist doch wahr: Leute, die nicht mal mehr ein Bier (oder irgendetwas anderes) miteinander trinken wollen, können auch nicht die Hoffnung auf eine andere, eine bessere Gesellschaft verkörpern. Genau das jedoch ist existentiell für eine Linke, die Anziehungskraft entwickeln will.