Der ehemalige deutsche Nationalspieler Mesut Özil und sein Brusttattoo

Özils Tattoo

Die Tätowierung eines ehemaligen deutschen Nationalspielers mit dem Symbol der rechtsextremen Grauen Wölfe interessiert kaum jemanden. Warum eigentlich nicht?

Man hatte es lange schon geahnt, wie der ehemalige deutsche Nationalspieler Mesut Özil tickt. Als im Sommer in den sozialen Medien ein Foto auftauchte, auf dem der heute 35jährige mit dem eintätowierten Symbol der Grauen Wölfe, einer rechtsextremistischen Bewegung aus der Türkei, auf seiner Brust posierte, war niemand mehr wirklich überrascht.

Die meisten Kommentatoren waren froh, dass der Ausnahmefußballer seine sportliche Karriere gerade beendet hatte – und das beim in der Türkei recht unbeliebten FC Başakşehir, einem 1990 gegründeten Club der Istanbuler Stadtverwaltung, spöttisch auch »FC Erdoğan« genannt. Man konnte somit über die Veröffentlichung des Fotos wenig mediales Aufhebens machen. Wegducken war die Devise.

Es gibt eine häufig bemühte Mär – zum Beispiel von Claudia Roth anlässlich des Rücktritts Özils aus der deutschen Nationalmannschaft im Jahr 2018 –, wonach als Auslöser für die Hinwendung Özils zu autoritären Politikern und rechtsextremen Organisationen einzig und allein fehlende Integration, der in der deutschen Gesellschaft fest verwurzelte Rassismus und die öffentliche Missgunst zu gelten hätten. Mit dem Bekanntwerden des rechtsextremen Tattoo-Motivs wurde diese Ansicht obsolet.

Die meisten Kommentatoren waren froh, dass der Ausnahmefußballer seine sportliche Karriere gerade beendet hatte und man somit über die Veröffentlichung des Fotos wenig mediales Aufhebens machen konnte.

Dabei ist Özils Werdegang als Enkel eines türkischen »Gastarbeiters« exemplarisch für die bundesrepublikanische Migrationsgeschichte. Aufge­wachsen ist Özil in Gelsenkirchen, einer Stadt, die als Symbol des gesellschaftlichen Abstieges gilt – in der vergangenen Saison kam der fußballerische für das Aushängeschild der Stadt, den FC Schalke 04, hinzu – und deren Zweitklassigkeit sogar statistisch belegt ist: In einer Studie aus dem Jahre 2018 zur Lebensqualität in Deutschland landete Gelsenkirchen auf dem letzten Platz.

Erinnerungen an die Kontroverse um Özils Foto mit Erdoğan kurz vor der WM 2018

In der Familie Özil wurde Türkisch gesprochen, statt eines Kindergartens besuchte er eine Vorbereitungsschule. Nur mit dem Lehrer wurde dort in deutscher Sprache kommuniziert, die Schüler sprachen mehrheitlich Türkisch. Der Heranwachsende hatte Schwierigkeiten bei dem Erlernen der deutschen Sprache. Es blieb die universelle Sprache des Fußballs. Darin war Mesut Özil überragend.

Viele Fürsprecher des einstigen Aushängeschilds für ein neues multikulturelles Fußballdeutschland, die Özil in der Kontroverse um sein Foto mit dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan kurz vor der Weltmeisterschaft 2018 verteidigt hatten, reagierten eher wortkarg auf die neueste Enthüllung. Der Fußballer selbst hat sich bisher noch nicht öffentlich zu dem rechtsextremen Symbol auf seiner Brust geäußert.

Wenn Fußballer Politik machen. Mesut Özil begrüßt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Istanbul im Juni

Wenn Fußballer Politik machen. Mesut Özil begrüßt den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan in Istanbul im Juni

Bild:
picture alliance / AA / Mustafa Kamaci

Nur die beiden Autoren des im November erschienen Podcasts »Schwarzrotgold – Mesut Özil zu Gast bei Freunden«, Khesrau Behroz und Karim Khattab, versuchten sich in einem Interview mit N-TV trotz der vorliegenden Bildnachweise als zukünftige Pressesprecher des ehemaligen Fußballers zu bewerben. »Wir haben in der Türkei mit extremen Grauen Wölfen, die vom großtürkischen Reich träumen, gesprochen«, sagte Behroz und fuhr fort: »Die haben Özil laut ausgelacht, als sie das Tattoo gesehen haben.« Denn sie seien der Ansicht, ein Fußballer, der sich für die deutsche Nationalmannschaft entschieden hat, könne »kein türkischer Nationalist« sein.

Khattab berichtet, dass die beiden Journalisten in all ihren Gesprächen »auf das Tattoo nur zwei Reaktionen« bekommen hätten: »Erstens: ›Na und?‹ Zweitens: ›Glauben wir ihm nicht. Der ist keiner von uns.‹« Er spekuliert, dass es sich in Özils Fall wahrscheinlich eher um »ein nationalistisches als ein faschistisches Bekenntnis« handelt. Um sich dann schlussendlich völlig ahnungslos zu stellen: »Ist Özil ein krasser Nationalist und Rassist? Das wissen wir nicht. In der Öffentlichkeit gibt es dafür zumindest keine Anzeichen.« Beide Autoren erhielten für den Podcast kein Interview mit Özil, was sie aber nicht davon abhielt, öffentlich über seine Motive zu spekulieren.

»Dass sich Özil politisch engagiert und im Wahlkampf für Erdoğan wirbt, ist bekannt. Dass er die Grauen Wölfe unterstützt, wurde nur gemunkelt. Jetzt bekennt er sich«, sagte dagegen Hakan Taş, ehemaliges Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses für die Linkspartei, der Berliner Zeitung. »Die Grauen Wölfe sind nicht besser als die Neonazis bei uns«, so Taş weiter, »ein Neonazi ist ein Neonazi, ob nun in Deutschland oder in der Türkei.«

Die schon länger bekannte Hinwendung Özils zu rechtsextremistischen und islamistischen Vorstellungen geht einher mit der Parteinahme für die Belange der Palästinenser – in der scheinpazifistischen Gleichstellung der israelischen Armee mit der Terrororganisation Hamas

Die schon länger bekannte Hinwendung Özils zu rechtsextremistischen und islamistischen Vorstellungen geht einher mit der Parteinahme für die Belange der Palästinenser – in der scheinpazifistischen Gleichstellung der israelischen Armee mit der Terrororganisation Hamas. Im Zusammenhang mit der israelischen Bodenoffensive im Gaza-Streifen, nachdem die Hamas am 7. Oktober das größte Pogrom seit dem Holocaust verübt hatte, veröffentlichte Özil nur wenige Tage darauf einen Post auf Instagram, in dem er ein Ende des Kriegs fordert: »Beten für die Menschheit. Für den Frieden beten. Unschuldige Menschen und insbesondere unschuldige Kinder verlieren im Krieg ihr Leben – auf beiden Seiten. Es ist so herzzerreißend und traurig.«

Auf dem dazu veröffentlichten Bild ist in einer Montage der Fußballer mit einem Shirt abgebildet, auf dem die türkische und palästinensische Flagge ineinanderfließen. Des Weiteren zeigt auf dem Bild ein palästinensisches Kind einem israelischen Soldaten die Rote Karte. Abgerundet wird die ganze Montage mit dem Hashtag #freepalestine am unteren Bildrand.

Loyalität, Rassismus und Hetze

Die Reaktionen im Kommentarbereich fallen recht unterschiedlich aus. Neben vielen Solidaritätsbekundungen fragen sich manche User auch, wieso sich Özil einst für die deutsche und nicht die türkische Nationalmannschaft entschieden hat. Und ein User schrieb: »Als Fan von Arsenal (Özil spielte von 2013 bis 2021 beim FC Arsenal, Anm. d. Red.) wusste ich schon damals, warum ich dich hasste.«

»Mesut Özil hat die etwas seltsame Frage nach dem deutschen Fußball verkompliziert«, analysierte Volkan Ağar nach Özils Karriereende in der Taz. Auch die Frage nach Identität und Zugehörigkeit in Deutschland sei durch den Fußballer unübersichtlicher geworden. Es wäre, so Ağar weiter, niemals »so erregt und ausdauernd diskutiert worden, wäre Özil nicht einer der besten Fußballer, die dieses Land je hervorgebracht hat«.

Besonders deutlich wird dies angesichts einer Aussagen des ehemaligen Nationalspielers und Fernsehkommentators Mario Basler. »Wenn ich was zu sagen hätte, würde ich ihn nicht mehr nach Deutschland lassen«, knüppelte dieser im Boulevard gegen Özil, der mit 18 Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hat. Özils Vater Mustafa hatte die Hoffnung geäußert, dass sich sein Sohn und der Deutsche Fußball-Bund eines Tages versöhnen und dieser dereinst eine Aufgabe im deutschen Verband übernehmen könnte. »Die Aussage von Mario Basler ist krass – und völlig unakzeptabel«, sagte Mustafa Özil dem Magazin Sport-Bild. Sie grenze an Hetze.