Glatteis und Glaskeramik

Der analoge Mann

Aus Kreuzberg und der Welt: Die Villa auf dem Berg

»Tja, äh, eine Sache muss ich dir noch erzählen«, sage ich zu Julia. Wir sitzen am Samstagvormittag in der Küche und malen. Zwischendurch mache ich Kaffee, und weil ich ­dabei vor dem Regal mit den Gewürzen stehe, räume ich die ein wenig auf.

»Am Donnerstag, als ich zur Villa Neukölln gefahren bin und es so glatt war … « »Bist du gestürzt!« unterbricht mich Julia. »War klar ge­wesen«, sagt sie ärgerlich. »Also, was ist passiert?« »Ja, warte. Eines nach dem anderen«, antworte ich.

»Also, du kommst rein … « sagt Julia. Eine Art Code-Wort zwischen uns, das klarstellen soll, dass man dem anderen die ganze Geschichte von Anfang an und chronologisch erzählen soll. »Auf der Hinfahrt war ich sehr vorsichtig«, sage ich. »Zuerst habe ich das Rad mit der Platten­kiste noch den Berg hochgeschoben, dann bin ich aber langsam weiter und auch gut durchgekommen.

Zweimal wurde ich von Fußgängerinnen darauf hingewiesen, dass es spiegelglatt ist. Von einer sogar mit einer gewissen Empörung. Außer mir war niemand mit dem Fahrrad unterwegs. Die Villa war natürlich noch leer. Es war viel zu gefährlich draußen. Die Leute kamen alle erst später, als es taute.

Natürlich war nicht alles in Ordnung und alles gut. Hilfe hätte ich gut gebrauchen können.

Dann wurde der Abend aber echt super. Ich habe ganz gut aufgelegt, die Leute waren zufrieden und ich blieb viel zu lang. Um zwei war ich endlich umgezogen und hatte meine Platten­kiste auf dem Gepäckträger festgeschnallt. Draußen war es aber mittlerweile wieder spiegelglatt. Sehr langsam schob ich mein Fahrrad mit der schweren Plattenkiste vorwärts, als ich vor mir eine junge Frau sah, die in kleinen Schritten auf dem Fahrradweg ging. Ich versuchte noch, ihr auszuweichen und rutschte sofort mit dem Fahrrad aus. Krachend zerbrach meine Plastikkiste und ich fiel auf mein Bein.«

»Hast du dir weh getan?« fragte Julia entsetzt. Ich schiebe meine Hose ein wenig herunter und zeige ihr meine Schürfwunde am Oberschenkel: »Nicht so schlimm. Ich hatte riesiges Glück. Die Frau hat sich überrascht umgedreht und mich wortlos angeguckt. Als ich ›Ist schon in Ordnung. Nichts passiert. Alles gut‹ gesagt habe, ist sie sofort weitergegangen.

Natürlich war nicht alles in Ordnung und alles gut. Hilfe hätte ich gut gebrauchen können. Das Fahrrad mit der zerbrochenen Plattenkiste aufzurichten, hat bestimmt zehn Minuten gedauert, weil es so glatt war. Ich bin später grimmig an ihr vorbeigefahren, während sie schuldbewusst gelächelt hat. Aber dann bin ich gut nach Hause gekommen und die Platten sind auch alle heil ge­blieben. Ich hatte verdammt viel Glück.«

Als ich meinen letzten Satz beende, fällt ein kleines Gewürzglas (Kurkuma), das ich nicht richtig abgestellt hatte, vom Regal und schlägt auf der Ceranplatte des Herdes auf. Das Gewürzglas bleibt ganz, aber die Glaskeramik ist kaputt.

»So ein verfluchter Mist!« Unser schöner, gemütlicher Maltag in der Küche ist beendet. Julia googelt und landet schnell bei Megakurzschluss und Starkstromschlag. Deshalb fahre ich sofort zum »Mediamarkt«, um für 30 Euro eine elektrische Kochplatte zu kaufen. Ich nehme natürlich mein Fahrrad. Es ist kalt und es ­regnet, aber wenigstens sind die Straßen nicht mehr glatt.