Manar al-Sharif, Journalistin, im Gespräch über ihr oppositionelles Leben in Gaza und ihr Projekt »Voices from Gaza«

»Als ich über Gaza publizierte, wurde ich inhaftiert«

Im Jahr 2007 übernahm die Hamas gewaltsam die Macht im Gaza-Streifen, seit 2017 kam es dort vermehrt zu Protesten. Die »Jungle World« sprach mit der Journalistin Manar al-Sharif über ihr oppositionelles Leben in Gaza und ihr Projekt »Voices from Gaza«.

Sie betreiben das Projekt »Voices from Gaza«. Wie sieht Ihr Verhältnis zu Gaza aus?
Ich wurde in Damaskus in eine muslimische palästinensische Familie geboren. 2013 mussten wir im Bürgerkrieg Syrien verlassen. Wir gingen nach Ägypten und ich besuchte dort weitere sechs Jahre die Schule. Danach wollte meine Familie, dass ich zum Studieren an einen konservativen Ort gehe, wo beim Studium Männer und Frauen nicht gemischt sind. Einer war Gaza-Stadt, sie dachten, das sei ein super Platz zum Studieren. Das war 2017.

Wie alt waren Sie da?
Etwa 19. Ich hatte nicht viele Informationen über Gaza und ging dorthin an die Universität. Nach ein paar Monaten hörte ich auf, ich dachte, es sei nicht die richtige Wahl, da Journalismus zu studieren, und der Dresscode nervte. Ich blieb aber in Gaza.

»Seit 2017 kam es zu Demonstrationen, Leute wurden geschlagen, verhaftet, viele Leute wurden sauer auf die Hamas, teilweise wurden Sicherheitseinrichtungen angegriffen.«

Was haben Sie über die politischen Verhältnisse in Gaza erfahren?
Viele Leute beschwerten sich über die Hamas und ich fragte nach, was passiert war. Die Hamas hatte die Macht in Gaza nicht demokratisch übernommen, sondern gewaltsam, in einer Auseinandersetzung mit der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA). Seither hat die Hamas viel geändert in Gaza, erzählten mir die Leute. Sie schlossen Orte, an denen man Alkohol trinken konnte oder wo Konzerte stattfanden. Und sie stellten neue Regeln auf, die Frauen sollten zum Beispiel ihr Haar bedecken.

Wie ging es weiter?
Im Lauf der Jahre und der Kriege zwischen Gaza und Israel versuchte die Hamas immer stärker, die Leute in ihre Organisation und ihre Ideologie einzubinden. Die Hamas erhielt immer mehr Gelder für den Wiederaufbau von Gaza. Aber viele Leute begannen zu erkennen, dass diese Gelder nicht direkt an sie gingen, sondern von Hamas für sich und ihre Angehörigen genutzt wurden.

Was änderte sich sozial?
Mit der Zeit wurde es immer schwieriger, Arbeit zu finden, es gab immer größere Probleme beispielsweise mit der Elektrizitätsversorgung. Seit 2017 kam es dann zu Demonstrationen, Leute wurden geschlagen, verhaftet, viele Leute wurden sauer auf die Hamas, teilweise wurden Sicherheitseinrichtungen angegriffen. In dieser Periode, von 2017 bis 2020, war ich dort. Ich denke, diese Leute gaben ihr Bestes, aber es ist schwierig für sie, Menschen in anderen Ländern mitzuteilen, was in Gaza geschieht, weil die Hamas die Medien kontrolliert und jeder, der darüber spricht, in eine finstere Lage gerät. Das passierte auch mir: Als ich darüber sprach und Artikel publizierte, wurde ich inhaftiert. Das war zu Beginn der Covid-19-Pandemie 2020, da war ich drei Monate im Gefängnis.

Nachdem Sie sich am Gaza Youth Committee beteiligt hatten?
Ja, aber das war eine andere Geschichte. Wir machten als Gaza Youth Committee zum Beispiel eine Aktion an der Grenze, natürlich nicht so, wie Hamas es wollte; wir haben 200 weiße Tauben als Botschaft über die Grenze fliegen lassen, das haben auch viele Medien aufgegriffen. Auch viele meiner Freunde wurden später ins Gefängnis geworfen. Ich denke, jetzt ist vielen Leuten in Gaza völlig klar, dass die Hamas sie ausnutzt, und nicht wenige beten zu Gott, dass Israel ihnen die Hamas vom Hals schafft.

Sie sind nicht mehr in Gaza, richtig?
Ja, im Herbst 2020 haben sie mich ausgewiesen, ich kam zunächst nach Kairo, wo ich weiterhin Stimmen aus Gaza Gehör verschaffte, und dann in die Vereinigten Arabischen Emirate. Ich finde es immer noch wichtig, über das Leben in Gaza zu informieren. Ich mache einfach weiter.

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Eine längere Fassung des Interviews findet sich online auf dem Blog der Jungle World »Von Tunis nach Teheran«. Die Jungle World wird sich künftig an
Manar al-Sharifs Projekt »Voices from Gaza« beteiligen.