Die Drone Music und ihr Verhältnis zur Bildenden Kunst

Umzingelte Rezipienten

Die Drone Music will heutzutage lieber Kunst sein statt Musik. Sie bäumt sich mit Praktiken wie der »Partizipation« und Begriffen wie »meditativ« oder »Deep Listening« auf, um am Ende in ein kulturindustrielles Dilemma zu geraten.

In den New Yorker Lofts und Galerien der sechziger Jahre spielten Musiker wie La Monte Young, Tony Conrad und Phill Niblock die ersten Stücke aus langen, stehenden Tönen – sogenannten Drones. Bemerkenswert war neben dem neuen, äußerst flächigen Sounds auch die fehlende Komplexität der Kompositionen. Weil ihre Form jegliche Idee von Entwicklung und Prozess verneint, drängt sich ein eigentümlicher Eindruck von Statik und Gleichförmigkeit auf, der im Grunde für die ganze Minimal Music kennzeichnend ist, zu der die Drone Music gehört. Ihr geht es um das dröhnende Stillstellen der Zeit, deren Verlauf sich Musik – als eine Zeitkunst – bei aller Anstrengung doch nie ganz entziehen kann.

Bei der Drone Music sind die Klänge weniger zeitlich nacheinander als räumlich beieinander angeordnet. Charakteristisch sind Schichtungen von Tönen und Obertönen, die sich zu endlosen Clustern und Klangfarben stapeln. Genauso zentral für diese Musik ist auch der tatsächliche physische Raum. Die anhaltenden Drones sollen den Raum durchmessen und so seine Ausdehnung und Beschaffenheit hörbar machen. Erst so entsteht das für Drone typische flackernde Spiel zwischen eng benachbarten Grund- und Obertönen. Damit hat Drone Music Teil an einem allgemeinen Prozess der Verräumlichung von Musik, dessen Tradition bis an den Anfang der Moderne zurückreicht. Dafür bezahlt sie mit einer Entleerung der Zeit.

Die bloße Textur, die sich bei Ellen Arkbro aus dem Zusammenspiel von Orgeltönen und ihren Interferenzen im konkreten akustischen Raum ergibt, wird verwechselt mit einem musikalischen Kunstwerk.

Das gilt umso mehr für die heutigen Drones von Musikerinnen und Musikern wie Ellen Arkbro, Kali Malone und Stephen O’Malley, die sich derzeit auf Avantgarde-Konzerten und Festivals großer Beliebtheit erfreuen. Arkbro, die bei La Monte Young und Marian Zazeela studierte, geht in dieser Hinsicht mit ihrem 2021 veröffentlichten Album »Sound While Waiting« am weitesten. Ihre Musik versucht, die Grenze zur Bildenden Kunst vollends aufzulösen, und ignoriert damit ihre konstitutive Dimension der Zeit. Statt die Musik in Zeitlichkeit einzubetten, stellt Arkbro sie in den Raum wie eine Skulptur. Zwei der Stücke heißen folglich auch »Sculpture I« und »Sculpture II«. Doch auf das Skulptieren – der Formung des Materials – wird weitgehend verzichtet.

Den Kern des Albums bilden Arkbros eigener Aussage nach Experimente mit stehenden Akkorden von zwei Orgeln, zu denen sie schlicht im Raum (einer alte Kirche im schwedischen Unnaryd) ihre Position veränderte und so an verschiedenen Punkten im Raum unterschiedliche Klangfarben hörte. Das aber ist am Ende kaum mehr als eine Versuchsanordnung zum Wahrnehmen von raumakustischen und hörphysiologischen Phänomenen, die dazu auffordert, diese Gegebenheiten selbst zu ergründen, und spricht daher streng­genommen gegen eine Veröffentlichung in fixierter Form wie einem Album, mit dem sich das Intendierte weder zu Hause und noch gar unterwegs über Kopfhörer hinreichend nachstellen lässt.

Keine Formung des Materials. Die Komponistin Ellen Arkbro

Keine Formung des Materials. Die Komponistin Ellen Arkbro

Bild:
LenSeb (CC BY-SA 4.0 Deed)

Denn hier ist nicht der konzentrierte Nachvollzug des musikalisch-zeitlichen Verlaufs gefordert, dem das heutzutage meist abwertend so bezeichnete Sitzkonzert entspricht, sondern das In-Bewegung-Bleiben der Hörer. Die daraus resultierende Mischung aus Hindernisparcours und monotoner Beschallung ergibt ein übersteigertes Beispiel für die unglückliche Verbindung von sogenannter E- und U-Musik, wie sie Adorno und Horkheimer der Kulturindustrie attestierten, nämlich eine konzen­trierte Langeweile.

Die nicht nur in künstlerischen Gefilden allerorten anzutreffende Aufforderung zum Mitmachen, zum »Partizipieren«, überträgt die Verantwortung allzu leichtfertig an die Rezipienten. Anstatt sich mit der Objektivität einer künstlerischen Arbeit zu konfrontieren und sich ihr hinzugeben, sollen die Betrachter und Zuhörer, die inzwischen ohnehin meist in eins fallen – zu jedem Musikstück braucht es nun was zu glotzen und zu jedem Anschauungsobjekt die obligatorische Hintergrundbeschallung –, sich ihr je eigenes kleines Kunstwerk schaffen.

Die bloße Textur, die sich bei Arkbro aus dem Zusammenspiel von Orgeltönen und ihren Interferenzen im konkreten akustischen Raum ergibt, wird verwechselt mit einem musikalischen Kunstwerk. Der reine, stehende Klang wird zur Musik erhoben. Allerdings nicht, wie sich der Komponist Gottfried Michael Koenig ein Musikstück durchaus hatte vorstellen können, nämlich »als ein einziger in sich reich gegliederter und artikulierter Klang«, sondern – ganz im Sinne von John Cages Fetischisierung des Geräuschs – in seinem bloßen Sosein, scheinbar von jedweder subjektiven Zutat befreit.

Das Gegenteil trifft zu: Was erst durch subjektive Anstrengung zum objektiven Kunstwerk wird, wird hier in einem Akt subjektivistischer Willkür einfach dazu erhoben. Dieses Prinzip dient als Blaupause für einen Großteil der heutigen postmodernen Musikkonzepte wie Klangkunst, Soundscape, Ambient Music und Installation. Cages Beharren auf der Schönheit und Selbstzweckhaftigkeit jeglichen Geräuschs, das sich in äußerster Isolation der Einzelklänge seiner Werke niederschlug, mag zu seiner Zeit ein Moment von Wahrheit gehabt haben, da die damalige serielle Musik durchaus dazu tendierte, Einzelmomente von oben her unter die Konstruktion zu zwingen.

Seitdem ist Cages Beharren zu einem Konformismus geronnen. An Cages Hypostasierung des bloßen Geräuschs – Echo des Futurismus, der sich noch an den Geräuschen des Kriegs zu berauschen wusste – hat der viel zu wenig gelesene Autor Konrad Boehmer bereits 1967 eine scharfe Kritik formuliert. Cage widmete er ein ganzes Kapitel seines Buchs »Zur Theorie der offenen Form in der neuen Musik«, das den »Zufall als Ideologie« behandelt. Den musikalischen Zusammenhang, den man als Teil menschlicher Naturbeherrschung verstehen kann, zugunsten isolierter Klangphänomene gleich ganz über Bord zu werfen, entlarvt Boehmer als kurzschlüssige Naturideologie. Cages Absage an den durchaus pro­blematisch gewordenen Begriff des musikalischen Zusammenhangs ist bei ihm wie bei seinen heutigen Wiedergängern »Resultat unterentwickelter, mangelnd reflektierter Kompositionstechnik und sollte«, so Boehmer, »Kritik nicht eigentlich genannt werden«. Aufgemotzt hat Cage diese »Simplizität im Technischen« bekanntlich mit Versatzstücken orientalischer Philosophie.

Die heutigen immersiven Sound-Installationen umhüllen den Hörer mit auftrumpfenden Schallereignissen und platzieren ihn so – analog zum Weltkriegs-Ego-Shooter – mitten im Geschehen, wo doch meist nur innere Ereignislosigkeit herrscht.

Auch eine Form des esoterischen Sprechs hat sich bei Drone-Musikern und ihren Begleittextschwaflern etabliert. Treffend führen sie stets Phrasen wie »meditativ«, »heilend« oder »trance-inducing« im Mund, die nicht nur den archaischen, vorkünstlerischen Charakter dieser Musik offenlegen, sondern vor allem auf die Überhöhung psychoakustischer Aspekte auf Seiten der Hörer verweisen, wie sie beinahe für die komplette Drone Music kennzeichnend ist.

Das in diesem Zusammenhang beliebte Konzept des »Deep Listening« – eine zur Lebensphilosophie aufgeblasene Psychotechnik – der 2016 verstorbenen Komponistin Pauline Oliveros bietet hierfür den adäquaten Wahrnehmungsmodus. Damit ist bei ihr nämlich gerade nicht gemeint, sich in das ästhetische Objekt gewissermaßen passiv einsinken zu lassen, wie die für Meditation und Ähnliches oft verwendete Bezeichnung »kontemplative Praxis« nahelegt, sondern vielmehr, es aktiv in sich hineinzunehmen, es sich gleich zu machen, um wahlweise »inneren Frieden« oder halbkomatöse Zustände zu provozieren. Das aber degradiert Musik in letzter Konsequenz zur Projektionsfläche für »Achtsame«, die sich von vornherein nicht für Erkenntnis, sondern bloß für sich selbst interessieren.

»Deep Listening« bedeutet also auch nicht, tief in die Klänge hineinzuhören. Es meint ein instrumentelles Verhältnis zum Erklingenden, das nur noch Werkzeug zur Selbstbespiegelung sein soll. Das ausgebreitete Material, das weder innere Entwicklung noch Spannung so recht zu entfalten vermag, wabert selbstzufrieden dahin wie ein Vorhang im Wind und hat dem Hörer somit nichts zu bieten, in das sich einzutauchen lohnte. Daraus erwächst wohl auch das ständige Bedürfnis nach »Immersion«, die das Eintauchen äußerlich zu erzwingen versucht: Die Rezipienten sollen umzingelt werden. Die heutigen immersiven Sound-Installationen umhüllen den Hörer mit auftrumpfenden Schallereignissen und platzieren ihn so – analog zum Weltkriegs-Ego-Shooter – mitten im Geschehen, wo doch meist nur innere Ereignislosigkeit herrscht.

Vielleicht wollen all diese Elaborate auch gar keine Kunstwerke mehr sein. Dann aber kapitulieren sie vorm verhängnisvollen Weltlauf, der die Voraussetzungen für die Entstehung von Kunstwerken immer mehr unterminiert, und bescheiden sich damit, ohnmächtiges Dekor zu sein.