Kurz vor Beginn der Wahlen in Indien werden Oppositionspolitiker inhaftiert

Modi im Wahlkampf

Kurz vor den indischen Parlamentswahlen wurde in Delhi das Oberhaupt der Regionalregierung aufgrund von Korruptionsvorwürfen verhaftet.

Ein Gericht hat am Montag die Untersuchungshaft von Arvind Kejriwal um zwei Wochen bis zum 15. April verlängert. Damit bleibt eine der profiliertesten Persönlichkeiten der indischen Opposition bis kurz vor den am 19. April beginnenden Parlamentswahlen weggesperrt. Der aus der indischen Antikorruptionsbewegung stammende Chief Minister von Delhi ist am 21. März festgenommen worden – es ist ein Novum in der Geschichte des seit 1947 unabhängigen Indien, dass das amtierende Oberhaupt einer Regionalregierung, vergleichbar dem Ministerpräsidenten eines deutschen Bundeslands, im Gefängnis sitzt.

Kejriwal ist auch Vorsitzender der linksliberalen Aam Aadmi Party (Partei des einfachen Mannes, AAP), die im Punjab und Delhi regiert und der Indian National Development Inclusive Alliance (I.N.D.I.A.) angehört. In diesem im vergangenen Juli gegründeten Oppositionsbündnis hat sich die sozialdemokratische Kongresspartei (Indian National Congress, INC) mit zwei Dutzend linken, liberalen und regionalen Parteien zusammengeschlossen, um bei den Wahlen die – Umfragen zufolge sehr wahrscheinliche – dritte Amtszeit von Premierminister Narendra Modi und den Sieg seiner hindunationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) und dem von ihr dominierten Parteienbündnis NDA doch noch zu verhindern.

Auffällig erscheint zudem nicht nur indischen Oppositionellen der Zeitpunkt der Festnahme Kejriwals kurz vor Beginn der ersten Abstimmungsrunde der Parlamentswahlen.

Kejriwal wird vorgeworfen, Hauptverantwortlicher in einem noch unbewiesenen Skandal zu sein, der sich um die zeitweilige Liberalisierung des Alkoholverkaufs in Delhi und vermeintliche Bestechungsgelder an die AAP dreht. Die von Modis Regierung kontrollierte Bundesbehörde Enforcement Directorate (ED) beschuldigte Kejriwals Partei und Minister, eine Milliarde Rupien (elf Millionen Euro) von Spirituosenhändlern angenommen zu haben.

Zwei vormalige Stellvertreter Kejriwals sitzen wegen gleicher Anschuldigungen bereits seit rund einem Jahr im Gefängnis, ohne dass stichhaltige Belege für die angeblichen Schmiergeldzahlungen präsentiert wurden. Die Befragungen durch ED-Beamte dauern an. Kejriwal hatte sich zuvor neun Vorladungen widersetzt, weil er sie als illegal einstufte.

Auffällig erscheint zudem nicht nur indischen Oppositionellen der Zeitpunkt der Festnahme Kejriwals kurz vor Beginn der ersten Abstimmungsrunde der Parlamentswahlen, die sich bis 1. Juni hinziehen werden. Mahnende Worte kamen auch aus den USA und Deutschland – was dazu führte, dass ein hochrangiger US-Diplomat und der stellvertretende deutsche Botschafter, Georg Enzweiler, zur Kenntnisnahme einer Protestnote einbestellt wurden.
Bis zu 30.000 Menschen hat die vereinte Opposition am Sonntag im Zen­trum Delhis zu Protesten und als Zeichen der Einigkeit auf die Straße gebracht.

Doch nicht nur die AAP hat mit Hindernissen zu kämpfen. Auch andere Kräfte aus dem I.N.D.I.A.-Block beklagen Einschränkungen durch die Regierung. Sie werfen Modi und der BJP vor, staatliche Behörden für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. So fehlen dem INC finanzielle Mittel für den Wahlkampf, weil die Parteikonten eingefroren wurden. Die entsprechende Anordnung wird mit einer verspätet abgegebenen Steuererklärung begründet.

Einen Tag vor dem Massenprotest erhielt Kejriwals Frau Sunita Besuch von Kalpana Soren, der Ehefrau von Hemant Soren von der Regionalpartei Jharkhand Mukti Morcha (Befreiungsfront von Jharkhand), der Chief Minister im ebenfalls von der Opposition regierten Bundesstaat Jharkhand gewesen ist. Er war am 31. Januar in Zusammenhang mit einem angeblichen Geldwäsche- und Immobilienskandal ins Gefängnis gebracht worden und reichte seinen Rücktritt ein. Sein Amtsnachfolger gehört der BJP an. »Wir werden unseren Kampf um Gerechtigkeit vereint fortsetzen«, teilten Sunita Kejriwal und Kalpana Soren nach ihrem Treffen mit. Sie setzen derzeit den Wahlkampf anstelle ihrer Ehemänner fort und nahmen auch an der Protestkundgebung teil.

Immer mehr Oppositionelle sprechen von einer akuten Gefährdung der indischen Demokratie.

Immer mehr Oppositionelle sprechen von einer akuten Gefährdung der indischen Demokratie. »Kejriwals Inhaftierung ist ein Versuch, die Opposition zu schwächen und das demokratische System im Land zu beseitigen«, sagte Jitu Patwari, Regionalvorsitzender des INC im Unionsstaat Madhya Pradesh, am 29. März. Noch deutlicher wurde Uddhav Thackeray, der Vorsitzende der Regionalpartei Shiv Sena (UBT) aus dem Unionsstaat Maharashtra, auf der Oppositionskundgebung. »Vor einigen Tagen gab es die Besorgnis, dass unser Land in eine Diktatur abgleitet. Doch jetzt ist es keine Besorgnis mehr, sondern Realität«, sagte er vor den Versammelten, während auf der Bühne symbolisch zwei Stühle für die Inhaftierten Kejriwal und Soren freigehalten wurden.

Anwesend waren nahezu alle, die in den Parteien des Bündnisses I.N.D.I.A. Rang und Namen haben, darunter Doraisamy Raja und Sitaram Yechury, die Generalsekretäre der Communist Party of India (CPI) und der CPI (Marxist), Akhilesh Yadav, Vorsitzender der sozialdemokratischen Samajwadi Party (SP), und Mehbooba Mufti, die ehemalige Chief Minister von Jammu und Kaschmir und Vorsitzende der lokalen Jammu and Kashmir People’s Democratic Party (JKPDP). Seitens des INC war neben dem Parteivorsitzenden Mallikarjun Kharge auch Sonia Gandhi mit ihren politisch aktiven Kindern Rahul und Priyanka dabei.

BJP-Vertreter unterstellten dabei spöttisch, der Oppositionsprotest diene nicht der Rettung der Demokratie, sondern vielmehr der Pflege korrupter Netzwerke. Die AAP konterte solche Vorwürfe mit Verweis auf die am 15. Februar vom Supreme Court als verfassungswidrig verbotenen »Wahlanleihen« (electoral bonds). Das vor sieben Jahren von Modi eingeführte Wahlfinanzierungssystem ermöglichte Privatpersonen und Unternehmen über sogenannte Wahlanleihen anonyme Spenden in unbegrenzter Höhe an politische Parteien. Vor allem die Kassen der BJP wurden so mit knapp 70 Milliarden Rupien (ungefähr 750 Millionen Euro) gefüllt – das ist mehr als die Hälfte aller über Wahlanleihen geflossenen Gelder.