Die RN-Politikerin simuliert Distanz zu Wladimir Putin und zur AfD

Marine Le Pen, Putin und die AfD

Marine Le Pen simuliert Distanz zu Wladimir Putin und zur AfD, um sich bessere Ausgangsbedingungen für die Präsidentschaftswahl 2027 zu verschaffen.

Paris. Im Osten geht die Sonne auf. Brachte unter diesem Motto seit Ende der zwanziger Jahre Stalin, der »Führer der Werktätigen«, Glanz und Gloria in die moskautreuen Kommunistischen Parteien weltweit, ist mittlerweile Wladimir Putin mit seinem Regime eine Inspirations- und oft auch Finanzquelle für europäische rechtsextreme Parteien.

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine differenzieren sich die Positionen der europäischen Rechtsextremen jedoch aus. In Italien unterstützt Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die der faschistischen Partei Fratelli d’Italia vorsitzt, die Position der EU und der Nato gegen die russische Invasion und findet damit auch Anerkennung von den Spitzen der EU. Hingegen ist ihr rechter Rivale und Infrastrukturminister, Matteo Salvini von der Lega, von Vertrauten Melonis dazu aufgefordert worden, nachzuweisen, dass das seit 2017 bestehende Kooperationsabkommen zwischen seiner Partei und der in Moskau regierenden Präsidentenpartei Einiges Russland tatsächlich ausgesetzt ist.

Neben Meloni bemüht sich auch Marine Le Pen in Frankreich, Distanz zu Putin zu simulieren; ihre Partei, der Rassemblement national (RN), bezichtigt Meloni indes des Verrats an Prinzipien in der Migrationspolitik – die habe sie für EU-Subventionen verkauft, die seit dem Post-Covid-Konjunkturpaket von 2021 reichlich an Italien flossen. Im französischen Präsidentschaftswahlkampf 2022 betonte Marine Le Pen jedenfalls, das Beispiel der Ukraine beweise, wie wichtig ein »nationaler Befreiungskampf« sein könne.

Im Februar distanzierte sich Marine Le Pen von der AfD: Es müsse geklärt werden, ob eine weitere Kooperation mit der deutschen Partei sinnvoll sei.

Nur steht die Position ihrer Partei im Europaparlament, kurz vor dessen in drei Monaten anstehender Neuwahl, dazu im Widerspruch. Dort zählen die RN-Abgeordneten zur Fraktion Identität und Demokratie (ID) mit derzeit 63 Mitgliedern. Diesen Namen trägt seit 2019 die Parlamentariergruppe, die in der Legislaturperiode zuvor seit 2015 zunächst »Europa der Nationen und der Freiheit« hieß und sich rund um den französischen Front national, der sich später in RN umbenannte, gruppierte. In der jetzigen Legislaturperiode dominiert allerdings die italienische Lega, die mit 23 Sitzen stärker vertreten ist als die französische Partei mit 18 und auch den Fraktionsvorsitzenden, Marco Zanni, stellt.

Am 28. Februar registrierte die ID-Fraktion die Aufnahme zweier neuer Mitgliedsparteien, der bulgarischen Partei Wasraschdane (Wiedergeburt) sowie der unter dem populistischen Ministerpräsidenten Robert Fico mitregierenden rechtsextremen Slowakischen Nationalpartei (SNS). Beide befürworten offen eine Annäherung an die russische Außenpolitik. Drei Mitglieder der bulgarischen Partei flogen am 16. Februar zu einer Veranstaltung der Putin-Partei Einiges Russland in Moskau.

Der Pariser Abendzeitung Le Monde zufolge kritisierte Marine Le Pen Anfang Februar bei einer Whatsapp-Gruppe ihrer Partei die Aufnahmeentscheidung. Doch bei ihren Europaparlamentariern dominiert die Absicht, die Fraktion zu erweitern. In deren Reihen hält zudem die österreichische FPÖ an einer Annäherung an Russland fest. Von 2016 bis 2021 hatte auch die FPÖ ein Kooperationsabkommen mit Einiges Russland.

Etwas weniger weit östlich von Frankreich ist eine andere Partei mit politischen Problemen konfrontiert: die AfD. Im Laufe des Februar distanzierte Marine Le Pen sich von ihr – die Fraktionsvorsitzende des RN in der französischen Nationalversammlung sagte, es müsse geklärt werden, ob eine weitere Kooperation mit der deutschen Partei sinnvoll sei. Grund dafür waren die Massendemonstrationen gegen die AfD und die gesellschaftliche Empörung über die Partei seit dem 10. Januar wegen der Veröffentlichung des Magazins Correctiv.

Dabei störte Le Pen sich wohl nicht so sehr an Inhalten wie dem auf einem Treffen in Potsdam im November 2023 benutzten Begriff der Remigration – darüber hatte Correctiv ­berichtet –, der die Vertreibung von Millionen ­Menschen aus Deutschland umschreibt. Auch beim langjährigen Kooperationspartner des RN, der FPÖ, wird der Begriff benutzt, beispielsweise vom seit 2021 amtierenden Bundesparteiobmann und früheren Innenminister Herbert Kickl. Störend für Le Pen bei ihrem Bemühen um innenpolitische Reputation und Regierungsfähigkeit im Hinblick auf die französische Präsidentschaftswahl 2027, die sie derzeitigen Umfragen zufolge gewinnen würde, ist hingegen die durch die Publikation ausgelöste Massenmobilisierung gegen die AfD.

In Frankreich soll in den kommenden drei Jahren kein Skandal Marine Le Pens derzeit sehr gute Wahlchancen schmälern. Bereits seit 2015 berät eine aus 400 Personen, die mehrheitlich anonym bleiben – darunter hohe Staatsbeamte und Wirtschaftsfunktionäre –, bestehende Gruppe, deren Name Les Horaces auf die römische Antike anspielt, die rechtsextreme Politikerin. Nach ihrer Wahlniederlage 2017, die sie nicht zuletzt durch offensichtliche ökonomische Inkompetenz in einer Fernsehdebatte mit Emmanuel Macron verschlimmert hatte, rückten viele der damaligen Mitglieder der Geheimgruppe von ihr ab. Doch bildeten Les Horaces sich in der Folgezeit neu und bemühten sich nach Kräften, Le Pen als qualifizierte Staatsfrau darzustellen und in allen bedeutenden Fragen kompetent erscheinen zu lassen.

Die linksliberale Tageszeitung Libération publizierte am 26. Februar Auszüge aus internen Publikationen der Gruppe. Demnach gehören Les Horaces unter anderem ein Vorsitzender des Oberverwaltungsgerichts von Paris, ein führender Manager des exportstarken Unternehmens LVMH – französischer Marktführer im Luxuswarensegment – und ein leitender Direktor der fran­zösischen Postbank sowie ein früheres Vorstandsmitglied des Arbeitgeberverbands Medef, Yvon Jacob, sowie mehrere prominente Anwälte an.

Chef der Gruppe ist demnach der J­acob nahestehende Europaabgeordnete André Rougé. Er gehörte in jüngeren Jahren einer gewalttätigen rechtsextremen Gruppe an, dem Groupe Action Jeunesse (GAJ). Vorige Woche fiel der heute 62jährige allerdings aus anderen Gründen auf. Bei einer Großveranstaltung in Marseille, bei der Marine Le Pen und der Parteivorsitzende Jordan Bardella den Europawahlkampf vor rund 5.000 Anhängern offiziell eröffneten, prangerte Bardella lautstark die von »EU-Eliten« und Emmanuel Macron absichtlich betriebene »Aus­löschung« (effacement) Frankreichs an, Le Pen pries das gigantische französische Atomprogramm der siebziger Jahre als Beispiel für erfolgreiche nationale Politik. Rougé hingegen versuchte, eine Flasche Rum in den Saal zu schmuggeln. Er wurde vom Sicherheitsdienst daran gehindert.