Erdölmetropole im Aufstand

Nach einer konzertierten Aktion von Armee und Paramilitärs herrscht in der kolumbianischen Stadt Barrancabermeja Friedhofsruhe

Der Bürgerkrieg in Kolumbien greift auf die Städte über. In einer großangelegten Aktion überfielen Armee und Paramilitärs am 17. Mai drei Armenviertel im Osten von Barrancabermeja, einer Stadt mit 500 000 Einwohnern 300 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bogot‡.

Nach Berichten des örtlichen Menschenrechtskomitees CREDHOS begannen Armee und Polizei ab 20 Uhr, die Zufahrtswege in die Arbeiterviertel El Campestre, 9. April und Mar'a Eugenia abzuriegeln, die als Hochburgen der Linken gelten. Vier junge Männer wurden ermordet, und wenig später begannen 30 vermummte Uniformierte, die Gegend nach Jugendlichen zu durchkämmen, die sie der Zusammenarbeit mit den Volksmilizen, den Milicias Populares, verdächtigten. Einer der Anführer der Paramilitärs erklärte den Anwesenden, daß "von nun an auch in Barrancabermeja für Ordnung gesorgt" werde.

Einem Jugendlichen, der sich weigerte, den Bewaffneten auf den Lkw zu folgen, wurde mit der Machete die Kehle durchgeschnitten. Schließlich verschwanden die Paramilitärs mit mindestens 31 Personen zwischen 15 und 35 Jahren und entführten auf dem Weg aus der Stadt, der an zahlreichen Polizei- und Militärkontrollen vorbeiführte, eine weitere, unbekannte Anzahl von Menschen. Elf der Entführten wurden Mitte vergangener Woche tot aufgefunden.

So offen haben sich Paramilitärs in Städten bisher nicht bewegt. Und das in einer industriell besonders wichtigen Stadt. Das tropische Barrancabermeja besitzt die größte Raffinerie Kolumbiens, die mit der Erschließung neuer Ölvorkommen in Cusiania (Casanare) durch den Ölmulti BP 1995 noch erheblich an Bedeutung gewonnen hat. An keinem Ort sind die Verhältnisse so polarisiert wie hier. Zum einen gilt die Stadt als Gewerkschaftsbastion, zum anderen ist sie mit vier großen Armeestützpunkten aber auch die am meisten militarisierte Stadt des Landes.

In den Tagen nach dem Massaker herrschten denn auch bürgerkriegsähnliche Zustände. Die Angehörigen der Verschwundenen blockierten die Überlandstraßen, ein unbefristeter Generalstreik legte sämtliche Geschäfte, die Ölförderung sowie Flug- und Schiffsverbindungen lahm, die Regierung äußerte die Befürchtung, Gas und Öl müßten landesweit rationiert werden. Im Barrio Mar'a Eugenia, dem Ort des Massakers, kam es zu einem zweistündigen Schußwechsel zwischen Armee und Stadtguerilla.

Allerdings wurde die Metropole durch die Streikenden abgeriegelt, bis die Hintergründe des Massakers aufgeklärt sind. Besonderes Augenmerk liegt auf der Rolle der Armee. Die Mutter eines Verschwundenen berichtete beispielsweise, sie sei von offiziellen Festnahmen durch die Sicherheitsorgane ausgegangen, weil überall Soldaten patrouillierten.

Durch die Verbindungen zwischen Armeespitze und Todesschwadronen ist Bogot‡ jetzt allerdings auch international unter Druck geraten. Seit Anfang Februar mehren sich im US-Kongreß Stimmen, die die militärische Unterstützung von Umstrukturierungen in der Armee abhängig machen wollen. Die Auseinandersetzung eskalierte nach einem Artikel der Washington Post von Anfang Mai, in dem der XX. Brigade, der zentralen Geheimdienstabteilung des kolumbianischen Heeres, die Ermordung des Menschenrechtsaktivisten Uma-a Mendoza vorgeworfen wurde (Jungle World, Nr. 18/98).

Selbst für die Clinton-Administration scheint das Verhalten der Militärs nicht mehr vertretbar. Mitte Mai entzogen die USA dem Heeresinspekteur, General Ivan Ram'rez, die Einreisegenehmigung, zwei weiteren hochrangigen Offizieren drohen ähnliche Maßnahmen.

Die Entscheidung hat allerdings weniger mit Moral als mit internen Problemen zu tun. In einem informellen Gespräch mit der Tageszeitung El Tiempo unterstrichen Clinton-Mitarbeiter ihr Interesse an gemeinsamen Aktionen von kolumbianischer Polizei und Armee gegen den Drogenhandel. Solange die Militärs jedoch die Menschenrechte massiv verletzen, darf die Clinton-Administration nach dem Leahy-Gesetz keine Militärhilfe gewähren. Damit ist die Strategie zur Drogenbekämpfung ernsthaft gefährdet.

Überhaupt deutet sich an, daß die USA direkter als bisher in den kolumbianischen Bürgerkrieg eingreifen wollen. Nach den Niederlagen der Armee im Süden des Landes, wo die Guerillagruppierung FARC in den letzten Monaten mehrere Eliteeinheiten der Armee aufrieb und über 150 Soldaten entführte, wurden im Pentagon Befürchtungen laut, die Guerilla könnte den Krieg gewinnen. Das in London ansässige Internationale Institut für strategische Studien meldete zwar etwas vorsichtiger Zweifel an, "ob die Subversion tatsächlich einen militärischen Sieg erringen könne", aber unbestritten ist, daß die kolumbianische Armee seit 1996 deutlich geschwächt worden ist.

So haben sich seit August letzten Jahres die Größen der US-Sicherheitsorgane die Klinke in Bogot‡ in die Hand gegeben, um die Krise zu meistern. Dem DEA-Chef Thomas Constantine folgten Anti-Drogen-Zar Barry McCaffrey, FBI-Direktor Louis Freeh und schließlich der Chef des US-Kommandos Süd, Charles E. Wilhelm, der Kolumbiens Armeespitze Anfang Mai die Leviten gelesen haben muß. Kurz nach seiner Abreise gab Heereschef Bonnet kleinlaut eine grundlegende Umstrukturierung der Armee bekannt. Die umstrittene Geheimdienstabteilung XX. Brigade wird aufgelöst, und die Konterguerilla-Einheiten werden zu neuen Trainingskursen verdonnert.

Über die am 31. Mai stattfindenden Wahlen wird unter diesen Bedingungen nur am Rande gesprochen. Beide rivalisierenden Kandidaten, Ex-Innenminister Serpa Uribe und der konservative Aufsteiger Andrés Pastrana, vertreten die traditionelle politische Elite, die mit der Armee symbiotisch verknüpft ist. Entscheidender ist die Frage, ob die Armee wegen ihrer illegalen Aktivitäten international geächtet wird oder nicht. Davon hängt am Ende ab, ob der Paramilitarismus - wie schon in den fünfziger Jahren - in ein völlig ungezügeltes Massenmorden umschlägt.