Neues von Billy Bragg und Bernadette Hengst

Die bessere Welt ist nicht im Angebot

Billy Bragg singt vom Elend des Ist-Zustands. Bernadette Hengst singt davon, dass er nicht so bleiben kann.

Was ist eigentlich Protestmusik? Ist es Rock? Ist es Pop? Protestmusik ist heute, wenn man der vereinigten Musikpresse Glauben schenken darf, wohl vor allem eine Musik mit elektronischen Beats. Es gibt kaum einen Techno-Act, der sich nicht für ein politisches Projekt hält. Und sei es wegen der Botschaft »Frieden und Liebe«, die sich in den Loops verbergen soll. Sollte es sich gar um ein verstörendes oder - was auch immer das genau sein mag - so genanntes dekonstruktivistisches Soundgefüge handeln, das ein einsamer Computerbastler herbei- und zusammengesamplet hat, findet sich prompt ein Spex-, Groove- oder Intro-Autor für den Job, das Ganze zu einer halben Musikrevolution, vor allem aber zu einem »wichtigen Statement« zu erklären. Doch nicht nur in der Von-der-Szene-für-die-Szene-Szene ist das so.

Auch wenn man die Ankündigungen für die in ganz Deutschland stattfindenden 1. Mai-Konzerte liest, gibt es neben den altbekannten Klampfenschlägern auf den DGB-Kiezfesten fast nur noch HipHop-Acts oder Postrocker. Und ihre Musik wird ganz selbstverständlich für politisch befunden. Selbst im archaischen Rock richtet sich die Wahrnehmung kaum noch auf die Texte, vor allem das Gitarrenriff und der Brachialbass sind es, die diese Musik zu einer des Aufstandes machen sollen. Der Sound hat den Text im politischen Lied nahezu vollständig abgelöst.

Daran ist zunächst nichts Böses. Auch bei Degenhardt- oder Wader-Konzerten galt die Politpose weit mehr als das, was in den Liedern beschrieben wurde. Jetzt macht eben der Sound die Politik.

Tatsächlich ist es in solchen politikfernen Zeiten, in denen sich das Politische schon durch das Vorzeigen einer zerfurchten Stirn und die Geste der ruhigen Hand verkaufen lässt, außerordentlich einfach und bequem geworden zu behaupten, dass man protestiere. Folglich ist das politische Potenzial eines Songs oder Tracks kaum mehr festzustellen, schlicht deshalb nicht, weil die Stücke keine Reaktionen mehr hervorrufen. Günther Jacob hatte Recht, als er Mitte der Neunziger konstatierte, dass die Lieder von Michael Jackson gegen Rassismus und für Toleranz zu den Protestsongs gehören. Allerdings blieben die politischen Lieder von Michael Jackson genauso folgenlos wie heute die Musik von Attwenger, von Le Tigre oder von Wilco. Sie dienen ihren Konsumentinnen und Konsumenten lediglich als Unterhaltung. Die Reaktion auf die Musik ist fast immer die gleiche: Irgendwer findet irgendwas ganz fürchterlich scheiße, ist das nicht toll? Irgendjemand ruft endlich zum Aufstand auf, ist das nicht chic?

Das gilt für die Rechte wie für die Linke. Unter dem Begriff Pop ist endgültig egal geworden, worüber geredet wird. Angesichts eines solchen Klimas der repressiven Toleranz nicht zu verzweifeln, verdient daher Bewunderung. Also wollen wir schon deshalb das Erscheinen der neuen Alben von Billy Bragg und Bernadette Hengst begrüßen.

Bragg ist ja seit Jahren allseits als derjenige Labour Party-Sänger bekannt, der in den achtziger Jahren nicht die Welt verändern wollte, sondern nur nach einem neuen England suchte und auf diese Weise der Eisernern Lady Margret Thatcher und ihrem konservativen Kulturkampf trotzen wollte. Als dann jedoch die Labour Party unter Tony Blair dieses neue, dynamische und zugleich tief reaktionäre England zu verkörpern begann, widmete er sich lieber den hinterlassenen Songbüchern von Woody Guthrie, dessen Texte er gemeinsam mit der Band Wilco neu vertonte.

Zu den Vorgängen in »seinem« England schwieg er. Stattdessen stilisierte er sich mittels des amerikanischen Ernst Busch, der es nie zum Staatsparteisänger hat bringen können, zu einer Protestsong-Singer-Underground-Legende. Doch dieser gute, in linken Kreisen bewährte Ruf war, wie er selbst es wohl am besten wusste, stets ein nur billig geliehener.

Nun ist sein Album »England, Half English« erschienen, das er gemeinsam mit seiner Band The Blokes eingespielt hat. Billy Bragg konzentriert sich hier wieder ganz auf die eigene Person und das Leben in einem Land, das noch immer von seiner einstigen Weltmachtstellung und seinen Kolonien träumt, während Großbritannien in ein Stückwerk aus teilautonomen Republiken zerfällt. Im Titelstück singt er: »Britannia, she's half English, she speaks Latin at home / St. George was born in the Lebanon, how he got here I don't know / And those three lions on your shirt / they never sprang from England's dirt / Them Lions are half English and I'm half english too.« Er hat das neue England Blairs also endlich sehen gelernt und befunden: Es sieht ebenfalls recht scheiße aus.

Bragg beschreibt sein Leben in einem Land, das sich ziert, in der europäischen Union aufzugehen, das aber allein nicht mehr existieren kann. Der Traum vom nationalen Aufbruch hat sich als Albtraum erwiesen, und der sterbende Nationalstaat kann nur noch den Konservativen und den Skins als Hoffnung dienen. Bragg versucht aber nicht, jetzt doch noch die Welt zu verändern, vielmehr hat er gelernt, sich zu bescheiden. Er beschreibt lediglich das Elend, das er vorfindet. Das aber beschreibt er sehr genau.

Anders geht Bernadette Hengst die Sache an. Sie war Anfang der neunziger Jahr mit der später so bezeichneten Hamburger Schule aufgebrochen, um eine neue, deutschsprachige Protestliedkultur zu etablieren, spielte zunächst bei Huah! und den Mobylettes und versuchte dort gemeinsam mit Knarf Rellöm aus dem Schlager und europäischem Rock'n'Roll der fünfziger Jahre eine neue Songkultur zu entwickeln. Dann versuchte sie mit ihrer Band Die Braut haut ins Auge eine Art Glamour-Riot-Girl-Big-Band-Pop-Songform. Beide Unternehmungen waren letzlich zum Scheitern verurteilt, denn sie waren einfach zu deutsch, spielten zu sehr mit Musikwissen und Szenevorlieben und wollten partout als schlau gelten.

Bernadette Hengst ist nicht die einzige, die scheiterte. Bis auf einige, zum Teil schwer erhältliche Platten von Britta, Stella, Parole Trixi, Knarf Rellöm Ism oder den Goldenen Zitronen, ist von der politischen Musik, an der damals gearbeitet wurde, heute kaum etwas Neues zu hören.

Entgeistert allerdings musste Hengst in den letzten Jahren zusehen, wie viele ihrer Kollegen - und es waren überwiegend Männer - im neuen Deutschland und mithilfe der deutschen Sprache ihr Ich entdeckten und sich in die Pose des unglücklichen Narziss flüchteten. Diese Jungs hatten jetzt Erfolg. Bernadette Hengst reagierte konsequent, beendete das Band-Experiment und arbeitete an Solo-Stücken.

Hengsts Platte »Der Beste Augenblick in Deinem Leben ist Gerade Eben Jetzt Gewesen«, die beim Kleinlabel Trikont erscheint, präsentiert Songs, die sich aufs Wesentliche konzentrieren, von zwei, drei Musikern begleitet werden und immer auf der Suche nach neuen Aktivismusformen sind. Die Musik, auf die sie sich bezieht, heißt nun vor allem New Wave, und sie fordert Aktivismus, Organisierung und Gegenwartsorientierung. Der Titelsong des Albums ist dafür bezeichnend: »Der beste Augenblick in deinem Leben / ist nicht morgen sondern gerade eben.« Allerdings verspricht Hengst keine bessere Welt, sie betont nur, dass es bleibt, wie es ist, wenn niemand was macht. Sie erspart ihren Hörerinnen und Hörern nicht den Aktivismus.

Die Platten von Bragg und Hengst verbindet vor allem eine neue Selbstverständlichkeit. Diese Musikerin und dieser Musiker behaupten nicht mehr länger, dass sie unbedingt eine politische Platte machen wollen, sie betonen das nicht lautstark in Interviews und schauen auf Pressefotos nicht kritisch in die Welt, sondern reden schlicht von dem, was sie angeht und von dem sie glauben, dass es auch andere betrifft. Ihre Platten sind frei von großen Posen.

Sie agieren dabei als Liedermacher, arbeiten allerdings mit einer Band. Sie haben sich durchaus dem Starmodell verpflichtet, pflegen aber keine Allüren. Sie benutzen gern die Gitarre, bieten aber keine Lagerfeuerromantik an. Sie machen Popmusik und sind dennoch bereit, sich für den politischen Gehalt ihrer Texte verpflichten zu lassen. Ihre Texte und ihr Gesang haben durchaus etwas Privates, dennoch sind ihre Songs alles andere als authentisch. Gleichzeitig sind ihre Platten sehr direkt und sehr tricky.

Natürlich kann man auch diese Platten einfach nur konsumieren. Auf beiden findet sich je eine gute Stunde guter Musik, Bragg ist mehr den späten achtziger Jahren verpflichtet, als man entweder mit einer einzelnen Gitarre intim tat oder mit einer großen Band großen Radiopop machte, während Hengst hörbar den frühen achtziger Jahren nachhängt, in denen noch im Freundeskreis im kleinen Studio gefrickelt wurde und es Punk und New Wave gerade erlaubt hatten, dass nicht alles sehr gut produziert sein musste. Und beide Platten versuchen dabei gar nicht, diesem Konsumiert-Werden-Können etwas entgegenzusetzen. Sie bieten lediglich für diejenigen, die subversiven Gehalt in Songs suchen, etwas an. Vielleicht sind es ja die gewachsenen Erfahrungen und die Routine, die es diesen beiden Künstlern erlauben, ganz ohne blöde große Posen auszukommen.

Billy Bragg: England, Half English. Cooking Vinyl
Bernadette Hengst: Der Beste Augenblick in Deinem Leben ist Gerade Eben Jetzt Gewesen. Trikont