Populäre Extremisten

In ganz Europa sind rechte Parteien auf dem Vormarsch. In den Niederlanden könnte ihnen der nächste Wahlerfolg gelingen.

Pim Fortuyn gilt als eloquenter und wortgewandter Politiker und als Extremist. Der rechte Shooting-Star eroberte im vergangenen November auf Anhieb das Bürgermeisteramt von Rotterdam. Seine populistische Lijst Fortuyn könnte nun bei den Wahlen am 15. Mai zur zweitstärksten Kraft in den Niederlanden werden, bis zu 20 Prozent werden dem ehemaligen Soziologieprofessor vorausgesagt. Damit liegt die Liste Fortuyn nur noch knapp hinter der Arbeiterpartei des zurückgetretenen Ministerpräsidenten Wim Kok, gleichauf mit den Christdemokraten und vor den Liberalen.

Gut möglich also, dass nach dem spektakulären Erfolg von Jean-Marie Le Pen nun bald ein weiterer Populist triumphieren wird. Europaweit verlieren die sozialdemokratischen Regierungen und Koalitionen an Einfluss, während rechte Parteien von Lissabon bis Kopenhagen eine Wahl nach der anderen gewinnen.

So unterschiedlich die jeweiligen rechtsextremen Parteien auch sein mögen, so liegen ihren Erfolgen doch einige Gemeinsamkeiten zugrunde. Sie profitieren davon, dass sich die Programme ihrer sozialdemokratischen und konservativen Konkurrenten immer mehr gleichen. Repräsentierten diese Parteien bis zum Ende des vergangenen Jahrhunderts noch mehr als 90 Prozent der Wähler, so sind es mittlerweile nur noch 70 Prozent.

Die traditionellen Parteien erscheinen vielen als bloße Sachverwalter der wirtschaftlichen und sozialen Probleme. In einer verwalteten Welt ohne Visionen und Aussicht auf Veränderung wird daher der Ruf nach einer Instanz wieder lauter, die vor den Gefahren eines entfesselten Kapitalismus schützen soll. Besonders auffallend ist dabei, dass sowohl die rasant wachsenden Bewegungen auf der Linken, wie etwa Attac, als auch die Rechtspopulisten wieder auf einen starken Staat setzen, wenn auch aus unterschiedlichen Motiven.

Die Globalisierungskritiker wollen mehr Regulierung und verlangen, dass die Politik den Casinokapitalismus in seine Grenzen weist. Die Rechten hingegen fordern mehr Sicherheit und machen Stimmung gegen die fremden Habenichtse, die vor Europas Türen stehen. Niemand verkörpert diesen neuen Euro-Mix so gut wie Fortuyn, der als Marxist begann und heute bei der neuen Rechten gelandet ist.

Wie so viele seiner europäischen Gesinnungsfreunde möchte er die Einwanderung beschränken und das Schengener Abkommen, das den freien Personen- und Güterverkehr in der EU regelt, kündigen. Seiner Ansicht nach stellen vor allem die muslimischen Einwanderer das liberale niederländische Gesellschaftsmodell in Frage. Und als bekennender Homosexueller führt Fortuyn, der sich selbst gern als »Ethiker im Darkroom« bezeichnet, auch einen persönlichen Kampf gegen den Islam.

Fortuyn mag als bizarre Persönlichkeit erscheinen, er gilt aber, ebenso wie Le Pen in Frankreich, für viele Niederländer als ein Politiker, der offen ausspricht, was viele denken. Der Traum von einer anderen Welt wird heute vor allem von rechts formuliert. »Habt keine Angst zu träumen, ihr kleinen Leute, das Fußvolk, die Ausgeschlossenen, (...) ihr Bergarbeiter, ihr Stahlarbeiter, Arbeiter in all den Industrien, die von der Euro-Globalisierung von Maastricht ruiniert wurden«, formulierte Le Pen pathetisch nach der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen. »Ich bin sozial gesehen links, wirtschaftlich gesehen rechts und national gesehen aus Frankreich«, teilte er seinen jubelnden Anhängern mit.

Weder links noch rechts, sondern nationalistisch und sozial: Knapp ein halbes Jahrhundert nach der Zerschlagung des Faschismus sind in allen europäischen Ländern neofaschistische Organisationen wieder populär. Zwar hatten diese Bewegungen auch in den vergangenen Jahrzehnten zeitweilig regen Zulauf. Doch in einem wesentlichen Punkt unterscheidet sich die heutige Situation. Galt es in der Nachkriegszeit als ausgemacht, dass Rechtsextreme nicht in der Regierung sitzen dürfen, so sind heute die Konservativen bereit, sie an der Macht zu beteiligen.

Schließlich sind in fast allen europäischen Ländern neofaschistische Parteien auf dem Vormarsch. »Wir sind Waffenbrüder«, erklärte der Vorsitzende des Vlaams Blok, Filip Winter, in der vergangenen Woche. Die belgischen Rechtsextremisten, die bereits in Antwerpen die stärkste Fraktion im Gemeinderat stellen, sehen sich nach Le Pens Erfolg im Aufwind. »Was in Frankreich passiert ist, wird auch in unserem Land passieren«, sagte Winter euphorisch.

In anderen EU-Mitgliedsstaaten ist es schon geschehen. Jörg Haiders Freiheitliche Partei in Österreich (FPÖ) und Gianfranco Finis Alleanza Nazionale (AN) sind nur die bekanntesten Beispiele. Beide Parteien gelangten durch ein Bündnis mit konservativen Kräften in die Regierung. Und noch eine andere Gemeinsamkeit weisen die beiden erfolgreichen Parteien auf. Sie entstanden als Nachfolgeorganisationen faschistischer und nationalsozialistischer Bewegungen. So entwickelte sich die FPÖ aus dem »Verband der Unabhängigen«, der nach dem Zweiten Weltkrieg als Sammelbecken ehemaliger Mitglieder der NSDAP fungierte und bewusst an die Tradition des - in den dreißiger Jahren völlig in der Nazipartei aufgegangenen - deutschnationalen »Dritten Lagers« anknüpfte.

Die AN wiederum ist das Produkt einer schlichten Namensänderung des MSI (Movimento Sociale Italiano), der Partei der italienischen Faschisten. Ihr Vorsitzender Fini hielt noch vor kurzem Benito Mussolini für einen ehrenwerten Mann, bis er erkannte, dass für den Marsch an die Spitze der Republik zumindest eine formale Distanzierung von den ideologischen Wurzeln seiner Partei nötig ist. Gemeinsam mit Silvio Berlusconi und Umberto Bossi von der Lega Nord besiegte er im vergangenen Jahr das linksliberale Regierungsbündnis.

Erfolglos sind derzeit auch die portugiesischen Sozialisten. In Lissabon bilden die konservativen Sozialdemokraten seit Anfang April mit dem Rechtspopulisten Paolo Portas von der Volkspartei (PP) eine Koalition. Portas hatte im Wahlkampf unter anderem schärfere Gesetze gegen Immigranten gefordert und sich für die Wiedereinführung des Fahnenappells in den Schulen eingesetzt.

Und auch im vermeintlich liberalen Skandinavien weht der Wind von rechts. In Norwegen ist die rechte Fortschrittspartei die zweitstärkste Kraft im Parlament. Mit einer Kampagne gegen Flüchtlinge und dem populistischen Vorschlag, die Einnahmen aus den reichen Ölvorkommen vor allem für die Sanierung des Staatshaushaltes zu verwenden, konnte die Partei die Norweger gewinnen.

In Dänemark avancierte die fremdenfeindliche Volkspartei von Pia Kjaersgard im vergangenen November zur dritten Kraft im Lande. Indirekte Unterstützung erhielt sie von der damaligen Innenminsterin Karen Jespersen, die in den siebziger Jahren ihre Karriere als Feministin bei den Linkssozialisten begann. Sie forderte vor den Wahlen, kriminelle Asylbewerber auf eine einsame Insel zu deportieren.

Ihr Versuch, mit rechten Parolen die Wahlen zu gewinnen, scheiterte kläglich. Die sozialdemokratische Regierung wurde kurz darauf abgewählt, während die Volkspartei ein spektakuläres Ergebnis erzielte. Die Rechtspopulisten regieren seitdem als Mehrheitsbeschaffer der Konservativen faktisch mit.