Der FC Bayern und die Juden. Eine Replik auf Dietrich Schulze-Marmeling

Keine Heldengeschichte beim FC Bayern

Sport im Kapitalismus und die Verharmlosung des Nationalsozialismus – ein Widerspruch zu Dietrich Schulze-Marmelings »Einspruch«.

Das Magazin Der Spiegel berichtete im Mai ausführlich über die Rolle des FC Bayern (FCB) in der NS-Zeit. Dafür hat der Sporthistoriker Dietrich Schulze-Marmeling, der Verfasser des Buchs »Der FC Bayern und seine ­Juden«, das Blatt mehrfach kritisiert, unter anderem in der Jungle World (29/2016), obwohl der Spiegel-Artikel ihn mit keiner Silbe erwähnt. Unter der Überschrift »Münchner Protokolle« hatten die Spiegel-Autoren neue Forschungen zur »Gleichschaltung« des Fußballs im NS aufgegriffen. Diese beleuchten kritisch die Rolle des Vereins in der NS-Zeit und die diesbezügliche Selbstdarstellung des Clubs. Vor diesem Hintergrund zeigt der Spiegel, dass das FCB-Museum »Erlebniswelt« die Vereinsgeschichte verfälscht und weißzuwaschen sucht. Dort ist beispielsweise zu lesen, der FCB sei in der NS-Zeit »systematisch benachteiligt« worden und habe deshalb seine sportliche Bedeutung nach 1933 eingebüßt. Jedoch gibt es für eine solche systematische Benachteiligung keinerlei Beweise. Überhaupt verfügt der Münchner Verein über so gut wie keine zeitgenössischen Archivalien aus der Clubgeschichte dieser Zeit. Fast alles sei im Krieg verloren gegangen.
Auch die im Audio-Guide vertretene These, die Bayern hätten »jahrelang« versucht, »Distanz zu den Machthabern zu bewahren«, oder die Behauptung, die »nationalsozialistischen Gesetze zwingen den Verein zum Ausschluss der jüdischen Mitglieder«, sind Geschichtsklitterung. Denn keine Instanz des NS-Staats hatte von den Fußballclubs einen derartigen Ausschluss verlangt, auch nicht der Deutsche Fußball-Bund (DFB). Ebenso beschönigt der in der »Erlebniswelt« zu lesende Satz, erst im Jahr 1943 sei »ein Wunschkandidat der Nazis an die Vereinsspitze« gelangt, die Geschichte. Denn seit 2005 ist Sporthistorikern hinlänglich bekannt, dass der FC Bayern bereits 1935 ein NSDAP-Mitglied zum »Vereinsführer« gekürt hatte.
Gestützt wird die Enthüllung dieses Geschichtsbildes als Mythos durch meine eigenen, im von mir her­ausgegebenen Sammelband »Die ›Gleichschaltung‹ des Fußballsports im nationalsozialistischen Deutschland« veröffentlichten Forschungen. In diesem Band werte ich die von mir entdeckten Dokumente des FC Bayern aus, die im Archiv des Registergerichts München liegen. Schulze-Marmeling hat diese leicht zugänglichen Unterlagen nie zur Kenntnis genommen, obwohl die Auswertung dieses Quellentyps in der Forschung längst Standard ist. Das wirft ein bezeichnendes Licht auf die Methoden seiner Recherche. Im Zuge meiner Forschungen habe ich dem Archiv des FC Bayern nun den größten bisher bekannten Bestand an Protokollen, Satzungen, Briefen und anderen Dokumenten des Clubs aus der NS-Zeit in Kopie zur Verfügung gestellt.
Die Kritik am offiziellen Bild der FCB-Geschichte wurde von Schulze-Marmeling zusammen mit Dirk Kämper, dem Drehbuchautor des Films »Der Präsident« über den ­jüdischen FCB-Vereinschef Kurt Landauer, im Blog des Verlags Die Werkstatt zurückgewiesen. Die beiden verteidigen ihre Sichtweise, indem sie behaupten, lediglich »den einen oder anderen Satz« hätte man im FCB-Museum »anders formulieren können« – auf die Korrektur falscher Tatsachenbehauptungen könne man also verzichten. Doch geht es hier nicht nur um »den einen oder anderen Satz«, sondern um den gesamten Duktus der Ausstellung, die vom FCB nicht nur einen Opfermythos zeichnet, sondern auch eine Geschichte der Widerständigkeit erzählt, die den NS-Rassismus verharmlost. Die Museumstexte wirken, als wären sie dem Persilschein eines Entnazifizierungsverfahrens entnommen.
In der Jungle World beklagte Schulze-Marmeling nun meine »Skrupel­losigkeit«, die gerade bei ihm zur Methode geworden ist. Dazu gehört beispielsweise die unwahre Behauptung, ich hätte den »Ältestenrat« des FCB, dem jüdische Mitglieder angehört hatten, übersehen. Das Gegenteil ist der Fall: Explizit gehe ich auf den Seiten 84 und 97 meines Buchs darauf ein. Damit fällt der gegen mich gerichtete Vorwurf »selektiver« Lektüre auf den Chronisten selbst zurück. Ebenso falsch ist die Behauptung, Schulze-Marmeling selbst habe bereits 2013 darauf hingewiesen, dass eine Mitgliederversammlung des FC Bayern am 19. September 1935 ­einen »Arierparagraphen« beschlossen hätte. Dies ergebe sich aus der Vereinszeitschrift. Dabei findet sich in der Publikation kein einziger Artikel über Verlauf und Beschlüsse dieser Versammlung. Schulze-Marmeling hat bisher sogar bezweifelt, dass diese in der Vereinszeitschrift angekündigte Versammlung überhaupt stattgefunden hätte.
Um die Fakten zu klären, muss man die Registergerichtsakten zur Hand nehmen. Nur weil Schulze-Marmeling sich nach wie vor weigert, diese Dokumente zur Kenntnis zu nehmen, wie er der Süddeutschen Zeitung Ende Mai sagte, kann er sich gegen die für ihn schmerzliche Erkenntnis immunisieren, dass der FCB sich in seinen Satzungen von 1935 antisemitischer positionierte als der DFB und die NS-Reichssportführung in den jeweiligen Vorschriften und der NS-Staat in seinen Rassengesetzen. Denn obwohl »Halbjuden« nach dem »Reichsbürgergesetz« von 1935 (vorläufig) Staatsangehörige waren, strich der Verein sie aus den Mitgliederlisten. Im Gegensatz zum FCB hatten andere Fußballclubs keinen »Arierparagraphen« aus freien ­Stücken und durch überwältigend einstimmigen Beschluss der Mitglieder in ihre Satzungen aufgenommen. Der Potsdamer Sporthistoriker Berno Bahro zeigt das im genannten Sammelband über die »Gleichschaltung« des Fußballsports in NS-Deutschland.
Last but not least: Noch am 25. Mai hatte Schulze-Marmeling vollmundig in der Süddeutschen Zeitung verkündet: »Es hat niemand behauptet«, dass die Historie des FC Bayern in der NS-Zeit »eine Heldengeschichte war!« Von einer gut informierten Leserbriefschreiberin musste sich Schulze-Marmeling dahingehend bloßstellen lassen, dass er selbst der Urheber der 2013 auf dem Onlineportal der Zeit verkündeten These ist. Schließlich musste er sich selbst dementieren.
In der Jungle World verteidigte Schulze-Marmeling das haarsträubende Bekenntnis, »die konkrete Realität des Alltags« im FC Bayern ohne gründliches Quellenstudium kennen zu können. Respekt – vielleicht glaubt er, über paranormale Fähigkeiten zu verfügen, die ihm sogar Zugang zur »Realität des Verborgenen« (wie es in dem mit Kämper verfassten Blogpost des Werkstatt-Verlags heißt) gewähren. Das ist purer Okkultismus, »Regression auf magisches Denken unterm Spätkapitalismus«, wie Adorno es in den Minima Moralia nannte. Stattdessen kritisiert Schulze-Marmeling, ich speiste meinen »Blick auf die Welt ausschließlich aus Akten«. Genau dies ist das mühsame Geschäft historischer Forschung, vor dem sich die Chronisten des FC Bayern drücken.
Schulze-Marmeling, sonst in Sachen Gesellschafts- und Kapitalismuskritik mit großem Aplomb unterwegs, geht es um etwas anderes: um Ideologie, PR und Propaganda für den in Deutschland am profitabelsten arbeitenden Agenten des globalen Fußballkapitalismus. Genau so wie es Herbert Marcuse 1964 in »Der eindimensionale Mensch« analysiert hat: Der Kapitalismus verleibt sich seine Kritiker ein, er transformiert Kritik in unterhaltsame Ware – Fußballmythen wie die von Schulze-Marmeling behauptete »Heldengeschichte« des FCB, die von Schurken im DFB beendet worden sei, gehören dazu. Bayern München als deutscher Branchenführer des internationalen Sportentertainments hat es in diesem Fall eindrucksvoll verstanden, die »kritische« Sportpublizistik zu absorbieren und deren »subversives« Potential zu neutralisieren. Das ist selbst dem DFB oder der Fifa nicht gelungen.