In Hamburg hat ein weiterer ­Prozess gegen Gegner des G-20-Gipfels begonnen

»Schön platt gemacht«

Schwerer Landfriedensbruch, tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall – wegen dieser und weiterer Vorwürfe stehen in Hamburg fünf Angeklagte vor Gericht. Allerdings gehen die Darstellungen darüber auseinander, was während einer Demonstration im Zuge der G20-Proteste im Hamburger Industriegebiet Rondenbarg tatsächlich geschah.

»Sie sollen gruppenweise abgeurteilt werden«, sagt Kim König von der Roten Hilfe Hamburg der Jungle World. »Seit vergangener Woche stehen fünf junge Genossinnen und Genossen aus der ersten Prozessgruppe vor Gericht, die zum Zeitpunkt der G20-Proteste unter 18 Jahren waren.« Die Angeklagten aus Halle, Stuttgart, Mannheim und dem Bonner Raum werden über Monate hinweg zu den Prozessterminen anreisen müssen.

Am Donnerstag voriger Woche begann am Landgericht Hamburg vor der Großen Jugendstrafkammer 27 unter dem Vorsitzenden Jugendrichter Georg Halbach die Hauptverhandlung gegen die fünf Angeklagten, die am 7. Juli 2017 im Zuge der Auflösung einer Protestdemonstration gegen den G20-Gipfel im Hamburger Industriegebiet Rondenbarg festgenommen worden waren.

»Die Staatsanwaltschaft braucht unbedingt eine Verurteilung. Diese würde endlich das offizielle G20-Narrativ über brutale Randalierende unterstützen, die nichtsahnende Polizisten überfallen haben.« Kim König, Rote Hilfe Hamburg


Die Anklageschrift wirft ihnen schweren Landfriedensbruch in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte in einem besonders schweren Fall, versuchte gefährliche Körperverletzung, die Bildung bewaffneter Gruppen und Sachbeschädigung vor. Einer Pressemitteilung zufolge, die auf dem Hamburger Justizportal veröffentlicht wurde, heißt es: »Die Staatsanwaltschaft sieht die Angeklagten, denen keine eigenhändigen Gewalthandlungen zuzuordnen sind, als Mittäter der Gewalttäter innerhalb des Aufzugs an. Die Angeklagten hätten von der mitgeführten Bewaffnung mit Steinen und Pyrotechnik gewusst, deren Einsatz gegen Polizeibeamte und Sachen gebilligt und eigene Tatbeiträge durch das Mitmarschieren in geschlossener Formation geleistet.«

Mit dieser Argumentation legt die Hamburger Staatsanwaltschaft das Delikt des schweren Landfriedensbruchs äußerst weit aus. Wie bereits in früheren Anklagen, etwa im sogenannten Elbchausseeprozess (Schuldig durch Teilnahme), will die Staatsanwaltschaft offenbar eine Bestrafung ohne konkreten Tatnachweis gegen einzelne Angeklagte erwirken. Die fünf Verteidigerinnen und Verteidiger der jüngst An­geklagten weisen dies in einer gemeinsamen Erklärung zurück: »Keiner und keinem der nun vor der Jugendstrafkammer in Hamburg Angeklagten wird so etwas vorgeworfen wie der Wurf eines Gegenstands in Richtung der Polizei oder eine Sachbeschädigung am Rande des Demonstrationswegs.« Eine Verurteilung wegen nicht einzeln zuordenbarer Delikte liefe auf eine tiefgreifende Einschränkung des Demonstrationsrechts hinaus.

König von der Roten Hilfe hat eine Vermutung, warum zuerst ein Jugendstrafprozess unter Ausschluss von Presse und Öffentlichkeit angestrengt wird: »Die Staatsanwaltschaft braucht unbedingt eine Verurteilung. Diese würde endlich das offizielle G20-Narrativ über brutale Randalierende unterstützen, die nichtsahnende Polizisten überfallen haben. Tatsächlich war es allerdings genau umgekehrt, und so lässt sich ein solches öffentlichkeitswirksames Urteil am ehesten erwirken, wenn keine kritische Presse und keine nervige solidarische Öffentlichkeit im Saal sind.« Die anderen 14 Angeklagten, die zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung noch minderjährig waren, sollen in einem späteren Prozess angeklagt werden, ebenso wie die Erwachsenen. Insgesamt wurden acht Anklagen gegen 73 Personen erhoben.

»Bislang unbekannte Täter hatten im Bereich der Straße Rondenbarg mehrere Sachbeschädigungen begangen«, meldete Polizeisprecher Holger Vehren am 7. Juli 2017 um 23.23 Uhr im Presseverteiler, am ersten Tag des G20-Gipfels in Hamburg. Polizisten seien mit Flaschen, Bengalofackeln und Böllern beworfen worden, die Angreifer seien auf ein Gelände geflüchtet, das von einer Mauer samt darauf montierten Zaun begrenzt gewesen sei.

Von verletzten Beamten oder Schäden an Einsatzfahrzeugen ist in dem Bericht nicht die Rede. In aller Kürze erwähnt er dagegen den Zustand mancher Demonstrantinnen und Demonstranten: »14 Personen wurden mit Verletzungen in Krankenhäuser transportiert. Über die Art der Verletzungen liegen keine gesicherten Erkenntnisse vor.«

Demonstrierende berichteten von schweren Knochenbrüchen. Augenzeugen schilderten, etliche der etwa 200 Demonstranten hätten versucht, vor einer heranstürmenden Hundertschaft über die mit einem Zaun versehene Mauer auf einen Firmenparkplatz zu flüchten. Doch wer über das Hindernis kletterte, stürzte fast drei Meter tief auf den Asphalt. Mit offenen Beinbrüchen und Verdacht auf Wirbelverletzungen wurden Demonstranten auf Liegen und mit Halskrausen abtransportiert. Die Hamburger Morgenpost schrieb über das Geschehen unter Berufung auf Aussagen von Demonstrationsteilnehmern einige Tage nach dem Polizeieinsatz: »So hätten die Polizisten die Gruppe grundlos und gewaltsam auseinandergetrieben, gar den Zaun umgedrückt, damit die Flüchtenden von der Mauer stürzen.«

Christiane Schneider, die 2017 innenpolitische Sprecherin der Fraktion der Linkspartei in der Hamburgischen Bürgerschaft war und sich mit der Aufarbeitung der Polizeieinsätze gegen die G20-Proteste beschäftigt hat, sagte im Gespräch mit der Jungle World: »Für mich ergibt sich aus dem, was wir in den Akten gelesen haben, und aus den Ausführungen der Innenbehörde im G20-Sonderausschuss, dass die Ereignisse am Rondenbarg nicht Ergebnis eines dynamischen Prozesses waren, sondern einer Falle.«

Zwei Polizeihundertschaften warteten auf die Demonstranten im Rondenbarg, eine davon die Beweissicherungs- und Festnahmehundertschaft (BFHu) aus dem badischen Blumberg, eine der fünf im Jahr 2015 aufgestellten Spezialeinheiten der Bundespolizei für die Terrorismusbekämpfung. Die Demonstration, so schildert es Schneider, sei zuerst auf eine Eutiner Hundertschaft gestoßen. »Dann, als die Demonstration vor der Konfrontation auswich, stieß sie auf die berüchtigte BFHu Blumberg. Diese stürmte binnen weniger Sekunden auf die vorderen Reihen des Zuges, zeitgleich rückten von hinten zwei Wasserwerfer und die Eutiner Hundertschaft an. Die Falle schnappte zu.« In der Videoaufzeichnung des Leitfahrzeugs der BFHu sei ein Kommentar des für die Aufnahme zuständigen Beamten zu hören, der sage: »Die haben sie aber schön platt gemacht, alter Schwede.«