Der zweite Monitoringbericht zu homo- und transphober Gewalt in Berlin

Die Frage der Gewalt

Am 5. Dezember hat der Berliner Senat den zweiten Moni­toring­bericht zu homo- und transphober Gewalt ver­öffentlicht. Die Zahl der erfassten Angriffe ist deutlich gestiegen. Doch der Bericht hat auch Schwächen.
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Der jüngst veröffentlichte Monitoringbericht zu homo- und transphober Gewalt in Berlin liefert besorgniserregende Daten. Bemerkenswert ist neben der generellen Zunahme von Gewalttaten gegen queere Menschen, dass die Tatverdächtigen in gut 90 Prozent aller Fälle männlich und mehrheitlich jung sind. Gerade in der Altersgruppe der Zehn- bis 20jährigen gab es im Vergleich zu den Vorjahren einen deutlichen Zuwachs. In drei Vierteln aller Fälle sind die Täter bereits wegen anderer Delikte polizeibekannt. Auffällig ist ­außerdem, dass in Ausgehvierteln für queere Menschen die meisten Straftaten registriert wurden: Berlin-Mitte, Tempelhof-Schöneberg, Friedrichshain-Kreuzberg und Neukölln führen die Liste an. Zugleich sind die Tatorte oftmals auch die Stadtviertel, in denen die Täter ihren Wohnsitz haben.

Unter den Gewaltopfern ist ein hoher Anteil Männer und Trans-Personen. Der Anteil von Gewaltdelikten (im Vergleich zu Delikten ohne körperliche Gewaltanwendung) gegen Trans-Personen liegt mit 31,6 Prozent zehn Prozentpunkte höher als gegen Homosexuelle. Bei Übergriffen auf Trans-Personen kommt es wesentlich häufiger zu Körperverletzungen, insbesondere schweren Körperverletzungen. In fast allen Fällen gab es zuvor keine Beziehung zwischen Tätern und Opfern. Eine Befragung mit Schwerpunkt auf Transfeindlichkeit ergab zudem, dass sich die meisten der Befragten im öffentlichen Raum besonders unsicher fühlten und sich dies nicht auf bestimmte Territorien eingrenzen ließe.

Leider gelingt es dem Bericht nicht, seine Befunde mit sinnvollen Analysen zu verbinden. Stattdessen wurde für den Schwerpunkt unter anderem ein ergänzender Text gewählt, der für einen erweiterten Gewaltbegriff plädiert. Dabei liegt der Fokus nicht mehr auf ­direkter interpersoneller Gewalt, sondern vor allem auf »symbolischer und normativer Gewalt«, die in gesellschaftlichen Normen, Strukturen und Institutionen wirkt. Diese sei auf »eine Abwertung oder Nicht-Anerkennung ihrer geschlechtlichen Identität« gerichtet. Ursache dieser Gewalt sei nicht bewusstes, intendiertes Handeln Einzelner, sondern internalisierte »strukturelle Muster der binären Geschlechterordnung«. Im Mittelpunkt des Gewaltbegriffs stehen dabei die falsche Ansprache von Trans-Personen, also die Verwendung des abgelegten Namens oder falscher Pronomen. Dabei wird allerdings nicht zwischen absichtlicher oder versehentlicher Fehlleistung differenziert. Dies verkennt völlig die Ambivalenzen des menschlichen Umgangs und der Wahrnehmung sowie die Herausforderungen für Trans-Personen, die gerade zu Beginn eines Angleichungsprozesses mitunter noch auf der Suche nach einer stimmigen Selbstpräsentation sind.

Viel dringlicher wäre es hingegen, sich mit den Täterprofilen zu befassen und wirkungsvolle Präventionsstrategien zu entwickeln. Dies hieße, sich mit Herkunft und Milieu zu beschäftigen, in dem die zumeist jungen männlichen Täter zu finden sind. Die Stadtteile mit den höchsten Zahlen an dokumentierten Gewalttaten sind zugleich auch die, denen die regelmäßigen Monitoringberichte zur Stadtentwicklung eine hohe Konzentration an sozialer Benachteiligung (Arbeitslosigkeit, Kinderarmut) attestieren. Die hohe Dichte von queeren Ausgehorten gerade in diesen Vierteln ist historisch durch die soziale Marginalisierung queerer Menschen bedingt. Während einige Queers ebenfalls in diesen sozioökonomisch schwachen Vierteln leben, zieht es viele von auswärts zum Feiern dort hin. Auf der Straße treffen sie häufig gesellschaftlich abgehängte Jungmänner. Es ist hinlänglich bekannt, dass eine sozial prekäre Lage oft auch mit einem geringeren Selbstwertgefühl einhergeht – ein psychologisch wichtiger Faktor, der Homo- und Transfeindlichkeit begünstigt. Dies zeigt sich in einer aggressiven Abwehr von allem, was offensichtlich von der Norm abweicht.

Im Hinblick auf Jungen und junge Männer ist zudem relevant, dass latente homoerotische Tendenzen in geschlechtshomogenen Gruppen bei diesen jungen Männern Ängste vor eigenen homo­sexuellen Begehrensanteilen wecken können. Der Basler Psychologe Udo Rauchfleisch meint, dass es vor allem um immer auch vorhandene passiv-rezeptive Anteile in Persönlichkeit und Begehren gehe, die fälschlicherweise als Weiblichkeit und daraus resultierend als Homosexualität interpretiert würden. Eigentlich gehe es, so Rauchfleisch, um Angst vor emotionaler Schwäche, also vor als unmännlich angesehenen Regungen. Dies wird dann gerade auf schwule Männer und Trans-Personen projiziert.
Wie notwendig eine intensivere Auseinandersetzung mit den Tätern und ihren Milieus wäre, zeigt auch der aktuelle Bericht »­Islamismus im Netz«. Darin heißt es unter anderem, dass derzeit islamistische Influencer ihre Aktivitäten im Netz verstärken, um ­Jugendliche in Deutschland zu beeinflussen und den Hass besonders auch auf queere Personen zu schüren.