Sam Mendes’ »Empire of Light« ist zu rührselig geraten

Von sich selbst gerührt

Der neue Film von Sam Mendes spielt in einem Kino Anfang der achtziger Jahre und will Rassismus und Sexismus thematisieren – verliert sich dabei allerdings in Rührseligkeiten und verlagert ­zeitgenössische Debatten allzu schematisch in die Vergangenheit.

Die achtziger Jahre: In einem Küstenort in Süd­england arbeitet Hilary (Olivia Colman) in einem alten Kino, dem »Empire«. Der Art-déco-Palast strahlt noch den alten Glanz der goldenen Zeiten aus, gleichwohl ist ein Trakt des Gebäudes bereits stillgelegt und verfällt. Hilarys Kollegen sind halbwegs sympathisch, mit ihrem Chef (Colin Firth) führt sie widerwillig eine Affäre, die in erster Linie dazu dient, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Etwas abgestumpft fühle sie sich, erzählt sie ihrem Psychiater, der sich erkundigt, wie sie mit den ihr verschriebenen Psychopharmaka zurechtkomme.

Das Gefühl, sich hinter einer dicken Milchglasscheibe zu befinden, teilt der Zuschauer von Sam Mendes’ neuem Film »Empire of Light« unweigerlich mit Hilary – unter der glatten Oberfläche der perfekt komponierten Bilder scheint nichts lebendig werden zu können. Anders als etwa in Florian Zellers 2022 erschienenem Film »The Son« ist das hier jedoch kein bewusst gewähltes filmisches Mittel, das dem Zuschauer den Eindruck einer depressiven Weltwahrnehmung vermitteln soll. Denn auch später, als Hilary eine Affäre mit ihrem neuen Kollegen Stephen (Micheal Ward) beginnt, ihre Medikamente absetzt und endlich wieder wahres Glück zu empfinden scheint, erscheint dem Zuschauer das Geschehen seltsam hermetisch und fremd.

Rassistische Skinheads
Stephen ist schwarz und leidet im England der frühen Achtziger unter regelmäßigen Angriffen und Drangsalierungen durch rassistische Skinheads. Hilary reagiert darauf schockiert, sie scheint zuvor keine Vorstellung von der rassistischen Gewalt gehabt zu haben – ein wenig subtiler Kommentar zur gegenwärtigen »Sensibilisierung«, der sich »Empire of Light« offenbar verpflichtet fühlt. Dabei bleiben die Skinheads bloße Staffage, sie scheinen aus dem Nichts zu kommen. Der Film hat keinen Begriff von Gesellschaft, der über eine aus Klischees zusammengeflickte Kulisse für die Liebesgeschichte der beiden Außenseiter hinausweisen würde.

Sam Mendes’ Film ist der Versuch, auf drei fahrende Züge gleichzeitig aufzuspringen.

Diese ist leider nicht weniger hölzern geraten: Nach einem Kuss auf dem Dach des Kinos während des Silvesterfeuerwerks pflegen Hilary und Stephen gemeinsam eine verletzte Taube und verbringen glückliche Stunden in der Rollerdisco und auf dem Rummel, bevor es dann beim Bauen von Sandburgen am Meer zu einem ersten großen Streit kommt. Schnell wird deutlich, dass Stephen, für den das Kino nur eine Zwischenstation auf dem Weg zum Architekturstudium ist, nicht möchte, dass aus der Affäre eine öffentliche Beziehung wird. Zugleich erfährt der Zuschauer, dass Hilary im Vorjahr psychisch auffällig wurde und wohl unter Schizophrenie leidet.

Sie zieht sich schließlich zurück und verbarrikadiert sich tagelang in ihrer Wohnung. Erst zu einer lang­erwarteten, wichtigen Premiere erscheint sie wieder im »Empire« und stürmt im Festkleid die Bühne, um vor verdutzten Upper-Class-Gesichtern eine wirre antirassistische Rede zu halten: »Mehr denn je müssen wir uns als Teil einer Gemeinschaft fühlen – schwarz oder weiß, ganz egal.« Da solche großspurigen Gesinnungsbekenntnisse bei heutigen Filmpreisverleihungen gang und gäbe sind, ließe die Rede sich mit viel Wohlwollen noch als Satire interpretieren.

Sexuelle Übergriffigkeit
Betrachtet man allerdings die Konzeption der Figur Hilary in ihrer Gesamtheit, drängt sich vielmehr der Verdacht auf, dass hier in der Manier eines Paulo Coelho die Krankheit, in diesem Fall die Schizophrenie von Hilary, zur gesunden Voraussetzung dafür erklärt werden soll, die Wahrheit über die falsche Gesellschaft zu erkennen. Dieser Eindruck konnte schon bei Mendes’ ­Richard-Yates-Verfilmung »Zeiten des Aufbruchs« von 2008 entstehen, ­allerdings noch ungleich vielschichtiger und uneindeutiger.

Hilary jedenfalls konfrontiert anschließend ihren Chef in Anwesenheit von dessen Ehefrau mit seiner sexuellen Übergriffigkeit, der reagiert mit einer Meldung an das Sozialamt. Stephen findet sie in ihrer Wohnung, wo sie sich versteckt hält und ihm einen Einblick in ihren Wahnsinn und dessen Ursprung in kindlichen Erfahrungen des Missbrauchs durch ihre Mutter gewährt – diese habe ihre Wut über die Affäre ihres Mannes an der Tochter ausgelassen. Hilary wird schließlich in eine Klinik gebracht, Stephen kommt derweil wieder mit seiner ehemaligen Freundin zusammen.

Nach ihrer Entlassung veranstalten Hilarys Kollegen eine Willkommens­party, die jäh von einem Angriff ­einer Horde Skinheads auf das »Empire« unterbrochen wird. Nach einem Krankenbesuch bei dem verletzten Stephen beschließt sie, dessen Rat zu folgen und sich das erste Mal seit langer Zeit als Zuschauerin auf einen Kinofilm einzulassen. Der Filmvorführer Norman (Toby Jones) zeigt einen Film nur für sie im sonst leeren Kinosaal. Hilary ist zu Tränen gerührt, wobei man unweigerlich den Eindruck gewinnt, hier rühre »Empire of Light« sich selbst zu Tränen – was durch das sentimentale Finale noch verstärkt wird.

Sam Mendes’ Film ist der Versuch, auf drei fahrende Züge gleichzeitig aufzuspringen. Neben einer weiteren Hommage an die Magie des Kinos will er ein Kommentar zu den Themen Rassismus und Sexismus sein. Leider hat Mendes aber zu nichts davon eine neue oder auch nur halbwegs interessante Sichtweise zu bieten. Auch wollen die Erzählstränge nicht zueinanderfinden und Hilarys Krankheit bleibt ebenso farblos und schemenhaft wie die gesellschaftlichen Phänomene, die überdies allzu schematisch heutige Debatten in die erzählerische Vergangenheit zu ver­lagern scheinen.

»Empire of Light« hat keinen Begriff von Gesellschaft, der über eine aus Klischees zusammen­geflickte Kulisse für die Liebesgeschichte zweier Außenseiter hinausweisen würde.

Das tut umso mehr weh, als mit Olivia Colman, Colin Firth und Toby Jones wirklich hochkarätige Schauspieler an dem Film beteiligt sind. Firth ist in der schablonenhaften Rolle des unsympathischen, übergriffigen Chefs ebenso verschwendet wie Jones in der des eigenbrötlerischen Filmvorführers. Micheal Ward spielt die Rolle des Stephen solide, doch auch für ihn hält das Drehbuch wenig Gelegenheit bereit, wirklich aufzufallen. Einzig Colman ­gelingt es durch ihr herausragendes Spiel, Mendes’ schwachem Drehbuch etwas abzutrotzen und »Empire of Light« vor dem Totalausfall zu bewahren.

Zivilisierende Kraft des Kinos
Dabei vermitteln einige Szenen durchaus einen Begriff von der zivilisierenden Kraft des Kinos, zum Beispiel wenn Hilary ihre Kollegen zurechtweist, als diese einen alten, humpelnden Gast verhöhnen – »Leute kommen hierher, um eine gute Zeit zu haben, und nicht, um ausgelacht zu werden« – oder Stephen ihr empfiehlt, selbst einen Film zu sehen – »Setz dich zwischen Leute, die dich nicht kennen, dir noch nie begegnet sind. Sie können dich nicht mal sehen. Dieser kleiner Lichtkegel bedeutet Zuflucht.« Doch selbst diese besseren Szenen stehen im Schatten von Klassikern wie »Cinema Paradiso« und auch neueren Filmen über Filme wie »Die Fabelmans« oder »Babylon«.

Es stellt sich unweigerlich die Frage, woher dieses Bedürfnis nach sentimentalen Metafilmen und flachen Kommentaren zu Rassismus und ­Sexismus kommt. Vielleicht hat sich Mendes, der erstmals alleinverantwortlich ein Drehbuch verfasste, auch schlicht übernommen. Dann bliebe zu hoffen, dass er als Regisseur künftig wieder da anknüpft, wo er mit seinem Vorgängerfilm, dem herausragenden One-Cut-Kriegsdrama »1917«, aufgehört hat.

Empire of Light (UK/USA 2022). Buch und Regie: Sam Mendes. Darsteller: Olivia ­Colman, Micheal Ward, Colin Firth, Toby Jones