Christine de Pizan und ihr »Buch von der Stadt der Frauen«
Gegenwärtigkeiten
Christine de Pizan, aktiv vor mehr als sechshundert Jahren, ist dennoch eine noch immer extrem präsente, ja fast populäre Autorin. Sie wirkt überraschend nah und zeitgenössisch, obwohl sie die Mode des 15. Jahrhunderts trägt und ihre Ideen gern in Allegorien kleidet, eine mittelalterliche Denkform, bei der uns abstrakte Vorstellungen oder Eigenschaften wie Gerechtigkeit, Vernunft oder Geiz wie lebende Figuren begegnen. Heute gehört sie zu den meistgelesenen Autor:innen des europäischen Mittelalters. Christine de Pizan und ihr Werk faszinieren noch immer und regen zu neuen Aktualisierungen an, in der Literatur, der Musik oder in anderen Künsten wie Film, Fotografie oder Tanz.
Obwohl ihr »Buch von der Stadt der Frauen« erst in den 1970er-Jahren wiederentdeckt und – was sehr ungewöhnlich ist – nicht im Original, sondern über seine Übersetzungen zu einem Klassiker der Weltliteratur wurde, war seine Verfasserin auch in den Jahrhunderten davor nie vollständig vergessen.
Die oft aufwändig illuminierten Abschriften ihrer Werke waren immer kostbare Schätze vieler großer europäischer Bibliotheken und in Christines Zeit im Besitz von Adligen wie Isabeau de Bavière (Elisabeth von Wittelsbach), später von Diana von Poitiers oder Margarete von Navarra. Im 16./17. Jahrhundert gilt sie als Initiatorin des großen Geschlechterstreits, der »Querelle des Femmes«; im 18. Jahrhundert kennen sie Aufklärer wie Denis Diderot und Christoph Martin Wieland oder die Feministin Madame de Kéralio; der frühe Feminismus um 1900 macht sie zu einer Leitfigur von emanzipatorischen Bewegungen unterschiedlichster Couleur. Während die Sozialdemokratin Lily Braun (1865 bis 1916) in ihr eine Vorläuferin der modernen Frauenbewegung sieht, feiern sie andere als Verfechterin eines konservativen Frauenideals.
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