Der Rechtspopulismus des stellvertretenden bayerischen Ministerpräsidenten Hubert ­Aiwanger

Der bayerische Lautsprecher

Hubert Aiwanger ist zwar Bayerns stellvertretender Ministerpräsident, im Landtagswahlkampf gibt er sich aber als rechter Rebell gegen die Bundesregierung. Mit einigem Erfolg.

Der frühere SPD-Bundeskanzler Willy Brandt sagte seinerzeit, in Bayern gingen die Uhren anders. Sein Zeitgenosse und jahrelanger Widersacher Franz Josef Strauß von der CSU stimmte ihm damals zu und ergänzte: »Hier« – also in Bayern – »gehen sie richtig.«

Ob die heutigen Vertreter der CSU das immer noch so sehen, seit die Zeiten der Alleinherrschaft der CSU in Form von absoluten Mehrheiten im bayerischen Landtag vorbei sind, darf bezweifelt werden. Aber ganz unzweifelhaft gehen die politischen Uhren in Bayern weiterhin anders als in vielen der übrigen Bundesländer.

Dass sowohl ein Ministerpräsident als auch dessen Stellvertreter auf einer Demonstration auftreten und reden, zu der auch die AfD aufgerufen hat– wie kürzlich im bayerischen Erding bei einer Demonstration gegen die »Heizungsideologie« der Bundesregierung –, kann man sich allenfalls noch in Ostdeutschland vorstellen. In Bayern ist so etwas bereits Realität.

Während der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) dort ausgebuht wurde, beklatschten die Zuhörer seinen Stellvertreter und Wirtschaftsminister, Hubert Aiwanger von den Freien Wählern (FW). Es sei »der Punkt erreicht«, sagte Aiwanger in Erding, an dem »endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss«.

Hubert Aiwanger sagte bei einer Demonstration in Erding, es sei »der Punkt erreicht«, an dem »endlich die schweigende große Mehrheit dieses Landes sich die Demokratie wieder zurückholen muss«.

In Bayern ist derzeit Wahlkampf, Anfang Oktober soll ein neuer Landtag gewählt werden, und Aiwanger tut gerade so, als komme er aus der Opposition beziehungsweise als könne bei der Landtagswahl die Bundesregierung von SPD, Grünen und FDP abgewählt werden. Das Kalkül scheint bislang aufzugehen. In Umfragen zur bayerischen Landtagswahl spricht alles dafür, dass die Landesregierung aus CSU und FW ihre Koalition fortsetzen könnte. Die CSU kommt auf Werte um die 40 Prozent und Aiwangers FW auf zehn bis zwölf Prozent. Zählt man die Werte der extrem rechten AfD hinzu, kommen die drei rechten Parteien insgesamt auf etwa 65 Prozent, während die Parteien der Ampelregierung in Bayern zusammen nicht mal 30 Prozent erreichen. Die FDP muss bei Umfragewerten um die vier Prozent sogar um den erneuten Einzug in den bayerischen Landtag bangen.

Insbesondere die Vertreter von SPD und Grünen haben Aiwangers Aussagen in Erding kritisiert. Der SPD-Spitzenkandidat für die bayerische Landtagswahl, Florian von Brunn, nannte Aiwanger einen »Mini-Trump aus Niederbayern«. Und die Fraktionsvorsitzende der Grünen im bayerischen Landtag, Katharina Schulze, sagte, Aiwanger sei ein »geistiger Brandstifter«. Beide forderten Aiwanger auf, von seinen Ämtern zurückzutreten. Doch der sieht sich im Recht: »Die, die vor Ort waren, haben es richtig verstanden«, sagte Aiwanger der Zeit. »Erst im Nachhinein wurde versucht, mich absichtlich misszuverstehen, mich mundtot zu machen, weil ich offenbar zu viel Beifall bekommen habe.«

Populismus gehört nun mal zum politischen Konzept von Aiwanger, der seine Reden grundsätzlich frei hält. Dazu passt, dass er in ihnen weniger Fakten als vielmehr Geraune präsentiert. Aiwanger ist der personifizierte Bierzelt- und Stammtischredner. Das ist eine Domäne, die früher vor allem Politiker der CSU dominierten. Das Kunststück von Aiwanger und den FW ist es, inhaltlich ganz nah an der CSU zu sein, aber trotzdem den Eindruck zu erwecken, man würde sich von deren Gutsherrenmentalität gegenüber dem »einfachen Volk« abgrenzen.

Aiwangers politische Biographie muss beeindrucken: Als weitgehend Unbekannter schaffte er es 2006, in einer Kampfabstimmung zum Vorsitzenden der bayerischen FW gewählt zu werden – mit 340 zu 322 Stimmen und gegen einen vom damaligen Vorstand vorgeschlagenen Kandidaten. Bereits 2008 zogen die FW mit Aiwanger als Spitzenkandidat erstmals in den bayerischen Landtag ein. Dort war er bis 2018 Fraktionsvorsitzender der FW, seit 2018 ist er bayerischer Wirtschaftsminister und stellvertretender Ministerpräsident; die CSU hatte damals die absolute Mehrheit im Parlament verloren und war gezwungen, eine Koalition einzugehen.

Aiwanger ist zudem seit 2010 auch Vorsitzender der Bundesvereinigung der FW. Sein Führungsstil gilt, angesichts der Ämterhäufung kaum überraschend, als autokratisch. Aiwanger ist so etwas wie der Sonnenkönig der FW. 2013 warf ihm der designierte Spitzenkandidat der FW für die Bundestagswahl, Stephan Werhahn, vor, »diktatorische Führungsverhältnisse wie in Kuba« zu pflegen. Bei der Bundestagswahl 2021 trat Aiwanger einfach selbst als Spitzenkandidat an, die FW kamen bundesweit allerdings nur auf 2,4 Prozent der Zweitstimmen, wobei in Bayern 7,5 Prozent der Zweitstimmen auf die FW entfielen.

Politisch bedient Aiwanger die gängigen rechten Positionen. In der Hochphase der Covid-19-Pandemie wetterte er gegen den vermeintlich zu vorsichtigen Kurs des bayerischen Ministerpräsidenten Söder und sprach bezüglich des Umgangs mit Ungeimpften von einer »Apartheidsdiskussion«. Forderungen nach einer Verschärfung des Waffenrechts begegnete er 2019 mit der Behauptung, »Bayern und Deutschland« wären sicherer, »wenn jeder anständige Mann und jede anständige Frau ein Messer in der Tasche haben dürfte«. Und, na klar, die Unanständigen sind wohl vor allem die Asylbewerber beziehungsweise die »Gäste auf Zeit«, wie Aiwanger sie nannte.

Kürzlich, nach seinem Auftritt bei der Demonstration gegen das Heizungsgesetz der Bundesregierung in Erding, sagte Aiwanger in der ZDF-Sendung »Markus Lanz«, es gebe hierzulande »Parallelwelten«, in denen »die heimische Justiz« nicht mehr anerkannt werde. Die Ursache dafür sehe er vor allem in der Politik, die ein »zu liberales Aushändigen unserer Pässe« betreibe. So würden »diese Syrer, die seit 2015 bei uns sind«, eingebürgert, obwohl sie »noch nicht unbedingt im Arbeitsmarkt integriert« seien. Auf Nachfrage des Moderators Markus Lanz gab Aiwanger freilich an, nicht »pauschal alle Syrer« gemeint zu haben, um dann noch mal nachzulegen: »Ich sehe es als politischen Fehler, hier zu schnell denen mit dem Pass hinterherzulaufen.«

Zu seiner Wortwahl in Erding sagte Aiwanger: »Ich habe das Volk dort abgeholt, wo es war. Wenn es mich nicht gäbe, wäre das Land noch polarisierter.« Die Debatte über das Heizungsgesetz habe, so Aiwanger, deutlich gemacht, dass die Bundesrepublik Deutschland nur noch »formal« eine Demokratie sei und die Bevölkerung sich »nicht mehr abgeholt« fühle. Auf die Frage von Lanz, ob er sich »als Lautsprecher für Sätze, die sich sonst keiner zu sagen traut«, verstehe, antwortete Aiwanger: »Teilweise ja.«

Sollten die Freien Wähler tatsächlich irgendwann in den Bundestag einziehen, dann wohl nur mit Aiwanger, denn die Partei hat mit ihm den Großteil ihrer Erfolge erzielt und ist daher von ihm abhängig.

Im derzeitigen bayerischen Landtagswahlkampf fiel Aiwanger auch mit der Forderung auf, dass es bei der Einkommenssteuer einen Freibetrag von 2.000 Euro im Monat geben solle. Derlei Steuergesetze werden freilich auf Bundesebene beschlossen und nicht im bayerischen Landtag. Sollten die FW aber tatsächlich irgendwann in den Bundestag einziehen, dann wohl nur mit Aiwanger, denn die Partei hat mit ihm den Großteil ihrer Erfolge erzielt und ist dementsprechend von ihm abhängig. Außer in Bayern sitzen nur im Landtag von Rheinland-Pfalz noch FW-Abgeordnete, seit 2021. Zudem kooperiert der Bundesverband der FW mit den von ihnen unabhängigen Brandenburger Vereinigten Bürgerbewegungen/Freie Wähler, die in Fraktionsstärke im brandenburgischen Landtag vertreten sind.

Zum Vorwurf, ein Populist zu sein, sagte Aiwanger 2018 dem Bayerischen Rundfunk: »Wie man hier genannt wird, ist mir wurscht.« Er höre »aus dem Bürgermund häufig«, dass er sich diese Vorwürfe »den Buckel runterrutschen« lassen solle. Und der vermeintliche ideelle Gesamtbürgermund, dem Aiwanger sein Ohr geliehen zu haben glaubt, ist weiterhin seine einzige Richtschnur.

Der Professor für Soziologie der Hochschule Magdeburg-Stendal, Matthias Quent, der vor allem zur extremen Rechten forscht, sagte vergangene Woche der Münchner Abendzeitung: »Wenn ich manche Tweets von Hubert Aiwanger sehe, dann frage ich mich, wo da der Unterschied zur AfD ist. Populistisch-autoritäre Tendenzen sind nicht auf die AfD beschränkt.« Allerdings verharmlose es die AfD, so Quent weiter, Aiwanger und die AfD gleichzusetzen. Was Aiwanger sage, »ist populistisch und irreführend, was die AfD vertritt, ist umfassend demokratie- und menschenfeindlich«.