Eine Kritik an Cynthia Fleurys Studie »Hier liegt Bitterkeit begraben«

Therapeutin der Massenseele

Cynthia Fleurys Theorie des Ressentiments verscherbelt Adorno, Freud und Améry an Frantz Fanon.

Dass Intellektuelle als Sprachrohre ideologischer Staatsapparate agieren, ist kein neues Phänomen. In Frankreich, dessen Laizismus im Zuge der Delegierung kultureller Repräsen­tationsaufgaben der Kirche ans bildungsbürgerliche Milieu einen Intellektuellentypus hervorgebracht hat, in dem sich Staatsferne und Devotion gegenüber den Herrschenden verbinden, ist diese Doppelgesichtigkeit seit dem 19. Jahrhundert notorisch.

Julien Benda hat sie in seinem 1927 erschienenen Pamphlet »La Trahison des Clercs« (»Der Verrat der Intellektuellen«) für die Zeit nach dem Ende des Ersten Weltkriegs beschrieben. Gerade diejenigen, denen aufgrund ihrer Fähigkeiten die Aufgabe zukäme, historische Erfahrung auf den Begriff zu bringen und die Idee, die eine Gesellschaft von sich selbst hat, mit der Wirklichkeit zu konfrontieren, laufen in Zeiten autoritärer Krisenlösungen zu den Exekutoren blinder Herrschaft über; sie diffamieren Skepsis und Kritik und adeln stumpfsinniges Mitmachen als Ausdruck vernünftiger Einsicht.

Als jüngstes Verfallsprodukt eines solchen Konformismus kann Cynthia Fleurys vielbejubeltes Buch »Hier liegt Bitterkeit begraben« gelten. Dass die Autorin, gleichwohl sie sich des Jargons der Kritischen Theorie bedient, als Therapeutin der Massenseele spricht, zeigt sich schon im Untertitel – »Über Ressentiments und ihre Heilung« –, der eine Kur gegen die allgemeine Unzufriedenheit verspricht. Das Ressentiment ist für Fleury anders als für die Kritische Theorie und die Psychoanalyse keine falsche, in ihrer Falschheit aber notwendige Bewusstseinsform, deren Widersprüchlichkeit zu durchdringen und aufzuheben wäre, sondern eine Krankheit, von der diejenigen, die von ihr befallen sind, erlöst werden müssen.

Wie jeder schlechte Lebenshilferatgeber gliedert sich Fleurys Buch in drei Teile, die die Verderbnis, ihren Gipfel- und Umschlagpunkt sowie die empfohlene Kur behandeln.

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