Jana Costas schreibt über Reinigungskräfte und ihren Kampf um Würde

Zu wenig Schmutz aufgewirbelt

Für ihre Feldstudie »Im Minus-Bereich« tauchte die Wirtschaftsprofessorin Jana Costas ein halbes Jahr lang in die Unterwelt der Putzdienste ab – und kratzt in ihrem Report doch nur an der Oberfläche.

Der Potsdamer Platz gehört zu den Prestigeprojekten der Nachwendezeit in Berlin: eine am Reißbrett entworfene Stadt in der Stadt, die perfekt zum neoliberalen Denken der neunziger Jahre passt. Zugeschnitten auf die Konsum- und Lebensgewohnheiten einer exklusiven Klientel, finden sich zwischen Bahntower, Sony Center und Daimler-Benz-Areal sowohl Luxushotels wie das Ritz-Carlton oder das Marriott als auch Nobelrestaurants und mondäne ­Appartements.

Um diesen »Nicht-Ort«, wie ihn Jana Costas in Anlehnung an Marc Augé nennt, dreht sich ihr kürzlich erschienenes Buch »Im Minus-­Bereich. Reinigungskräfte und ihr Kampf um Würde«. Jedoch nicht um die Welt an der Oberfläche, sondern um die unter dem Potsdamer Platz. Dort nämlich erstreckt sich auf bis zu vier Ebenen der sogenannte »Minus-Bereich«, ein Gangsystem mit Lagerräumen und Entsorgungseinrichtungen. Ein halbes Jahr lang schloss sich Costas für ihre ethnographische Feldstudie einem Putztrupp an, der von hier aus den Potsdamer Platz und seine Gebäude sauber hält.

Der von Costas präsentierte Kon­trast ist gut gewählt: Hier die glitzernde und saubere Welt an der Oberfläche mit ihrer offenen und lichtdurchfluteten modernen Architektur. Dort die tristen, fensterlosen Wartungsgänge, Schächte und Lastenaufzüge der Unterwelt. Hier die von Costas so genannten »Oberweltler«, die gutverdienenden Büroangestellten, betuchten Anwohner und kaufkräftigen Konsumenten und Touristen. Dort die »Unterweltler«, die als Dienstboten des 21. Jahrhunderts den Dreck beseitigen – am besten unbemerkt. »Die Regularien des Potsdamer Platzes sehen vor, dass sie sich nach neun Uhr morgens nicht mehr in ihrer Arbeitskleidung durch die Oberwelt, also etwa die Shopping Mall, bewegen dürfen. Für notwendige Gänge sollen sie stattdessen die Tiefgeschosse nutzen«, beschreibt Costas das in der Branche übliche Bemühen, den Kontakt zwischen Reinigungskräften und Kunden auf ein Minimum zu reduzieren.

Detailliert beschreibt Costas die zunehmende Auslagerung von Reinigungsaufgaben an externe Dienstleiter, durch die Deutschland zum größten europäischen Markt für gewerbliche Reinigung wurde.

Wer sich von »Im Minus-Bereich« jedoch eine investigative Enthüllungsreportage im Stil von Günter Wallraff über die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in der Reinigungsbranche verspricht, wird enttäuscht. Die renommierte Wirtschaftsprofessorin forschte nicht verkleidet und im Geheimen, sondern mit Zustimmung und Unterstützung eines Reinigungsunternehmens, das zu den bundesweit größten Anbietern von Facility-Management-Leistungen gehört. Der Konzern ließ sich die Ergebnisse auch gerne präsentieren, um die eigene Personalführung zu verbessern. Nach Costas’ Angaben befand die Unternehmensleitung, ihre Untersuchungsergebnisse seien ein »bedenkens­werter Input«.

Lesenswert macht die Studie vor allem der für eine wissenschaftliche Arbeit bemerkenswert packende Schreibstil Costas’. Ihr gelingt es, die Lebenswege der oft prekär lebenden Reinigungskräfte eindrücklich nachzuerzählen. Zudem schildert sie eindrucksvoll die Stigmatisierung und Ausgrenzung, die mit der Arbeit im Reinigungsgewerbe verbunden ist, berichtet aber auch von Momenten kollegialer Solidarität und gegenseitiger Hilfe – ohne jedoch die Rücksichtslosigkeit und Brutalität der durch die Herrschaft geformten Subjekte zu unterschlagen.

So beschreibt »Im Minus-Bereich« auch die verschiedenen Formen der Entsolidarisierung unter den Betroffenen, vom allgegenwärtigen Rassismus über Sexismus bis hin zur gegenseitigen Kontrolle. Wie diese Mechanismen teils zum Unternehmenserfolg beitragen, schildert Costas am Beispiel einer migrantischen Reinigungskraft, die von einer Kollegin rassistisch beleidigt wird. Im Gegenzug arbeitet sie am nächsten Tag absichtlich so schnell, dass ihre ältere deutsche Kollegin nicht hinterherkommt. Diese revanchiert sich, indem sie am darauffolgenden Tag ohne Pause und noch schneller arbeitet, um anschließend ihre Kontrahentin anzutreiben.

Daneben liefert Costas in »Im Minus-Bereich« ein fundiertes Branchenporträt des Reinigungsgewerbes und der Entwicklung des Sektors in den vergangenen Jahren. Detailliert beschreibt sie die zunehmende Auslagerung von Reinigungsaufgaben an externe Dienstleiter, durch die Deutschland zum größten europäischen Markt für gewerbliche Reinigung wurde. Im Zuge einer Novellierung des Handwerksrechts 2004 wurde zudem die Zulassungspflicht im Reinigungsgewerbe aufgehoben, für die Gründung eines Reinigungsunternehmens ist seitdem kein Meisterbrief mehr erforderlich. Das war der Startschuss für den Boom der großen Facility-Management-Unternehmen, die heute den Markt dominieren und dank konstanter Wachstumsraten Milliardenprofite erwirtschaften.

Nicht dass Menschen unter teils katastrophalen Bedingungen für ­einen Hungerlohn den Dreck anderer beseitigen, erscheint in »Im Minus-Bereich« als Problem, sondern der gesellschaftliche Blick darauf.

Überraschend oberflächlich bleibt demgegenüber die Auseinander­setzung mit den Folgen dieser Entwicklung für die stetig wachsende Zahl der Beschäftigten in der Branche. Die extrem prekären Arbeits­bedingungen im Reinigungssektor, geprägt von niedrigen Löhnen, ungünstigen Arbeitszeiten und hoher sozialer Unsicherheit durch Befristungen, Minijobs und Teilzeit, spielen in »Im Minus-Bereich« nur eine untergeordnete Rolle. Statt der konkreten materiellen Lage der Betroffenen widmet sich die Wirtschaftsprofessorin Costas vor allem dem mangelnden Respekt, der ausbleibenden Wertschätzung und der fehlenden Anerkennung durch Kunden und Gesellschaft, mit der Reinigungskräfte häufig konfrontiert sind. Als Ursache dafür sieht Costas vor allem die gesellschaftliche Wahrnehmung der Tätigkeit als »schmutzig« und unqualifiziert und verliert sich, um die Schmutzbeseitigung von diesem Stigma zu befreien, immer wieder in fragwürdigen philosophischen Erwägungen über die »Endlosigkeit des Schmutzes« oder die »Unheimlichkeit« des Mülls im Sinne Freuds.

Nicht dass Menschen unter teils katastrophalen Bedingungen für ­einen Hungerlohn den Dreck anderer beseitigen, erscheint in »Im Minus-Bereich« als Problem, sondern der gesellschaftliche Blick darauf. Damit liegt Costas ganz auf einer Wellenlänge mit dem Reinigungskonzern, in dem sie ihre Feldstudie absolviert hat. Dieser »orientiert sich am Konzept der sozialen Marktwirtschaft und versucht, die Anforderungen des Marktes mit sozialen Bedürfnissen zu versöhnen«, lobt Costas. Gänzlich unkritisch referiert sie die Marketingbemühungen des Unternehmens zur Entstigmatisierung der Branche und zur öffentlichen Darstellung des Reinigungsgewerbes als »modernes Dienstleistungshandwerk« mit Karrierechancen. So mutiert bei Costas am Ende die Schmutzbeseitigung selbst zur »Quelle der Zufriedenheit und des Stolzes« und die Reinigungsarbeit firmiert »als Tor zur Würde«.

Die Leerstelle bei der Analyse der konkreten materiellen Lage der Betroffenen hat auch Auswirkungen auf die Schlussfolgerungen, die Costas aus ihrem halbjährigen Ausflug in den Reinigungssektor zieht. Relevante politische oder gesellschaftliche Forderungen leitet sie aus ihren akribischen Beobachtungen jedenfalls nicht ab, und wie die Betroffenen ihre prekäre Lage überwinden könnten, bleiben ebenfalls im Ungefähren. So scheint die titelgebende Würde etwas zu sein, das die Lohnabhängigen vor allem individuell erringen. Gewerkschaften, kollektives Handeln oder gar organisierte Gegenwehr spielen in Costas’ Beschreibung des »Kampfs um Würde« keine Rolle. Erwähnung finden sie in der Studie zumindest nicht, ebenso wenig wie der Zusammenhang zwischen den Milliardenprofiten in der Branche und den prekären Arbeits­bedingungen derjenigen, die diese erwirtschaften.


Buchcover_Im_Minus_Bereich

Jana Costas: Im Minus-Bereich. Reinigungskräfte und ihr Kampf um Würde. Aus dem Englischen von Richard Barth, Stephan Gebauer und Michael Müller. Suhrkamp, Berlin 2023, 280 Seiten, 20 Euro