Small Talk mit Michael Nattke, Geschäftsführer des Kulturbüro Sachsen, über rechts­extreme Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte in Sachsen

»Ein handlungsfähiger Haufen von Demokratiefeinden«

Ende September verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf eine geplante Geflüchtetenunterkunft im Dresdner Stadtteil Klotzsche. Gegen die Unterkunft hatte es zuvor Proteste gegeben. Die Jungle World sprach mit Michael Nattke, Geschäftsführer des Kulturbüro Sachsen, des Trägervereins der Mobilen Beratung gegen Rechts­extremismus in diesem Bundesland.
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Wie bewerten Sie die derzeitige Situation in der sächsischen Landeshauptstadt?

Die Stadt Dresden hat ein Rassismusproblem, das weit größer ist als in anderen deutschen Großstädten. Die Zahl der rechtsmotivierten Übergriffe ist nach wie vor hoch. Es finden wöchentlich mehrere rassistische Aufmärsche statt und es gibt eine eingeübte und professionelle rechtsextreme Protestbewegung, die die Stimmung immer wieder aufheizt. Der Brandanschlag auf die geplante Geflüchtetenunterkunft ist da leider nur eine Zuspitzung. Dresden war und ist nicht umsonst ein wichtiges Zentrum der organisierten rechtsextremen Szene in Deutschland.

Nicht nur die Stadt Dresden sucht dringend nach Unterbringungsmöglichkeiten für geflüchtete Menschen, andernorts sieht es ähnlich aus. Mit welchen Herausforderungen sind die Kommunen konfrontiert?

Grundsätzlich habe ich den Eindruck, dass viele Kommunen sich von den rassistischen Protesten auf den Straßen den Takt vorgeben lassen und nicht ausreichend auf die Potentiale ihrer demokratischen Zivilgesellschaft im Ort schauen. Wir erleben es selten, dass die Oberbürgermeister diejenigen Bürgerinnen und Bürger der Stadt ins Rathaus einladen, die mit anpacken und die Stadt bei der Bewältigung der Aufgabe ­unterstützen möchten. Solche Leute, die Geflüchtete unterstützen möchten, gibt es in jedem Ort. Auch in Sachsen. Stattdessen gibt es von den Städten die zehnte Dialogveranstaltung, bei der dann die Rassisten im Saal ihre rassistischen Positionen immer wieder aufs Neue wiederholen und sich als Stimme der Mehrheit inszenieren können.

Welchen Einfluss haben rechtsextremistische Vereinigungen wie die Freien Sachsen auf die Protestaktionen?

Wenn es um die Mobilisierung für rassistische Straßenproteste geht, ist die Neonazi-Kleinstpartei Freie Sachsen derzeit die stärkste Kraft im Bundesland. In der Partei sind inzwischen alle sächsischen Neonazis versammelt, die in den letzten 20 Jahren in der NPD oder ihrem Umfeld Erfahrungen gesammelt haben. Das ist ein handlungsfähiger Haufen von Demokratiefeinden.

Wir dürfen dabei aber nicht vergessen, dass die geistigen Brandstifter ganz woanders sitzen. Und damit meine ich nicht nur die AfD, sondern auch diejenigen Politiker demokratischer Parteien, in Sachsen und darüber hinaus, die mit ihren Ausgrenzungsphantasien immer wieder Öl ins Feuer gießen. Am Ende führen die Freien Sachsen auf der Straße nur das aus, was von Bundes- und Landespolitik verbal vorgekaut und als angebliche Meinung des Volkes verkauft wird.