Civan Akbulut, Informationsstelle Antikurdischer Rassismus, im Gespräch über die Arbeit seiner Einrichtung

»Kurd:innen konnten sich nie auf den Staat verlassen«

Vor kurzem hat die Informationsstelle Antikurdischer Rassismus ihre Arbeit aufgenommen. Die »Jungle World« traf Civan Akbulut, um mit ihm über die Arbeit und Notwendigkeit der Informationsstelle zu sprechen.
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Was ist die Informationsstelle Antikurdischer Rassismus?
Wir haben uns Ende letzten Jahres konstituiert, wir sind ein Verein in Gründung, der Prozess läuft noch. Seit dem 22. Februar kann man auf unserer Internetseite Vorfälle von antikurdischem Rassismus melden. Wir sind ein junges Team aus engagierten Leuten aus dem politischen, akademischen und aktivistischen Kontext. Unsere Informationsstelle möchte das Bewusstsein für antikurdischen Rassismus in Deutschland schärfen und den Betroffenen eine Stimme geben. Denn in Deutschland wurde antikurdischer Rassismus lange Zeit nicht ernst genommen.

Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
Unsere Arbeit lässt sich auf vier Punkte zusammenfassen. Punkt Nummer eins ist die Dokumentation von Vorfällen von antikurdischem Rassismus in Deutschland. Dazu können Betroffene wie auch Zeug:innen auf unserer Internetseite die Vorfälle melden. Die eingereichten Vorfälle werden von uns anonymisiert und syste­matisiert. Wir ordnen diese Vorfälle dann gewissen Kategorien zu, die wir aus den gemeldeten Vorfällen entnehmen können. Zum Beispiel gucken wir nach dem Geschlecht der Betroffenen, in welchem Monat, in welchem Jahr hat dieser Vorfall stattgefunden, wir gucken in welcher Stadt, in welchem Bundesland, wir gucken uns den Tatort an, also ob das etwa in einer Bildungseinrichtung war, in einer Behörde oder in öffentlichen Verkehrsmitteln.

… um diese Erkenntnisse dann auch zu veröffentlichen?
Genau, das ist der zweite Punkt: die Verfügbarmachung von Informationsmaterial. Perspektivisch beabsichtigen wir, die gemeldeten Vorfälle in Form eines Jahresberichts zu veröffentlichen. Dazu holen wir uns Wis­sen­schaft­ler:innen, Ex­­pert:in­nen und Multi­pli­kator:innen ins Boot. Wir machen die Daten verfügbar, die Kontextualisierung, also die Einordnung, obliegt dann den Wis­sen­schaftler:innen. An Informationsmaterial soll es aber nicht nur ­Jahresberichte geben, sondern auch Flyer und Analysen aktueller Entwicklungen.

»Die Informationsstelle ist neu – antikurdischer Rassismus ist es nicht.«

Und die beiden letzten Punkte?
Der dritte Punkt ist die Wissenschaftsförderung. Weil es bisher eine gewisse Leerstelle in der Wissenschaft gibt, haben wir die Absicht, Wissenschaftler:innen, die zu diesem Thema arbeiten, zu unterstützen. Indem wir ihnen etwa eine Plattform bieten, gemeinsame Projekte initiieren oder finanzielle Mittel bereitstellen, zumindest ist das perspektivisch unser Anspruch. Der vierte Punkt ist, Räume für Begegnungen zu schaffen, wo Betroffene sich mit Wissen­schaft­ler:innen, Expert:innen, Multiplikator:innen austauschen können. Im Grunde wollen wir Räume schaffen, damit Betroffene ihre Anliegen weiterreichen können.

Warum braucht es die Informationsstelle?
Die Informationsstelle ist neu – antikurdischer Rassismus ist es nicht. Wir sind ein nichtstaatliches Angebot und unsere Strategie ist gerade, vor allem in die Community hinein zu arbeiten. Die Informationsstelle Antikurdischer Rassismus ist ein weiteres Zeugnis kurdischer Selbstorganisation in Deutschland. Das ist etwas, womit Kurd:innen letztendlich Erfahrung haben, weil sie ja marginalisiert sind, und das nicht nur in Deutschland, sondern auch in ihrem Herkunftsgebiet in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien. Sie konnten sich nie auf den Staat verlassen. Das hat die kurdische Community gelernt und diese Informationsstelle bezieht sich darauf. Es ist wieder ein Angebot von Betroffenen für Betroffene.

Zur Website der Informationsstelle Antikurdischer Rassismus